Editorial

Spiegel des Staates

Ein Polizeistaat ist kein sicherer Staat. Erschüttert begriff der Westen in den vergangenen Monaten, was es für viele Araber bedeutet, darin zu leben. Ägypten war ein so genannter Polizeistaat, Tunesien auch, Libyen erst recht. Der Begriff steht im klaren Gegensatz zum Bild der Polizei als Freund und Helfer: Er bezeichnet Staaten, in denen bewaffnete Regierungstruppen das Recht in die eigene Hand nehmen, statt dem Gesetz zu dienen.

Im Handeln der Polizei spiegelt sich wie bei keiner anderen Instanz die Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft. Denn neben dem Militär ist die Polizei das einzige Organ mit unmittelbarer Gewaltbefugnis. Ihre Zwangsmittel richten sich jedoch immer nach innen – gegen die eigene Bevölkerung. Der Grat zwischen Schutz und Bedrohung der Bürger ist dabei oft schmal. Es kommt sehr darauf an, in welchem Maße eine Regierung der Bevölkerung gegenüber Rechenschaft ablegen muss.

In Ägypten zeigte sich am Verhalten der vermeintlichen Ordnungshüter kürzlich die volle Unmenschlichkeit des nun gefallenen Regimes: Das untergehende Regime schickte Polizisten unter friedliche Demonstranten, um Chaos zu stiften. Machterhalt war ihm offensichtlich wichtiger als die Unversehrtheit der Bürger. Die Polizei war kein Gesetzeshüter, sondern ein Gesetzesbrecher, der versuchte, einen illegitimen Gesetzgeber zu schützen.

Autoritär regierte Länder sind Extremfälle. Leider fürchten aber auch die Bürger einigermaßen demokratisch regierter Entwicklungsländer die staatlichen Ordnungshüter. Sie erfahren Korruption, willkürliche Festnahmen und unverhältnismäßige Gewaltanwendung. Zudem wird der Polizei regelmäßig Schlamperei, Inkompetenz und politische Instrumentalisierbarkeit vorgeworfen. Zu den Ursachen gehören oft geringe Bezahlung, schlechte Ausbildung und Überlastung der Beamten. Typischerweise genießt die Polizei in Entwicklungsländern aus solchen Gründen nur wenig Vertrauen. Eine häufige Folge ist Selbstjustiz, die ihrerseits die Glaubwürdigkeit des Rechtssystems unterhöhlt. Dabei könnten die Missstände angegangen werden – vorausgesetzt, der Staat ist willig, in Ausbildung und Lohn der Beamten zu investieren. Guter Journalismus kann dazu beitragen, diesen Willen zu fördern.

Medien tragen auch dazu bei, gesellschaftliche Normen und Vorstellungen zu definieren und zu reflektieren. Derlei spiegelt sich wiederum in der Arbeit der Ordnungskräfte. Vorurteile gegenüber Frauen und Minderheiten beispielsweise führen oft zur Benachteiligung oder gar Misshandlung durch die Polizei – wie wiederholte Klagen über rassistische Haltungen der Polizei selbst in reichen Nationen zeigen. Die Polizei kann solche Probleme sicherlich nicht allein lösen. Aber als Repräsentantin des Staates muss sie versuchen, Vorbild zu sein. Es ist unerlässlich, Angehörige benachteiligter Gruppen in die Einheiten zu integrieren.

Die Arbeit an der Glaubwürdigkeit und „Sauberkeit“ der Polizei ist somit immer auch Staatsaufbau. Gerade in Umbruchsituationen ist es wichtig, dass sich das Polizeicorps in seiner Funktion als Repräsentant des Staates und Vorbild für die Gesellschaft neu aufstellt. In Ägypten, Tunesien und vielleicht auch weiteren arabischen Staaten wird sich demnächst unter anderem an der Qualität der Polizeiarbeit zeigen, in welche Richtung sich die Revolutionen bewegen. Und wenn die neue Polizei sich korrekt verhält, wird sie ihrerseits einen großen Beitrag zur positiven Entwicklung ihres Landes leisten.

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