Staatsfinanzen

Es ist Zeit, sich zu verbünden

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich die internationale Steuerdebatte deutlich verändert. Entwicklungsländer sind immer noch benachteiligt, aber sie können politischen Einfluss nehmen. Wenn sie sich zusammentun und gemeinsam arbeiten, haben sie die Chance, das internationale Steuersystem fairer zu gestalten.
Postfächer auf den Cayman Islands. picture-alliance/Westend61 Postfächer auf den Cayman Islands.

Das System der Besteuerung internationaler Transaktionen ist nicht kohärent und verdient eigentlich nicht einmal die Bezeichnung „System“. Es beruht auf einem Mix von nationalen Gesetzen, bilateralen Verträgen und internationalen Abkommen und Praktiken, die sich teilweise widersprechen. Es ist komplex, bezieht viele Parteien ein und ist kaum zu verstehen. Für die Steuerpolitik gibt es kein Gegenstück zur Welthandelsorganisation (WTO – World Trade Organization).

Wenn wir von einem „System“ sprechen wollen, so wurden seine Grundlagen vor fast einem Jahrhundert geschaffen. Die Hauptfrage war – damals wie heute –, wie das Recht, Steuern auf international tätige Firmen zu erheben, zwischen Regierungen geregelt werden sollte. Von Anfang an hatte das System zwei Fehler:

  • Es begünstigte die Regierungen kapitalexportierender Länder sowie die großen Unternehmen, die dort beheimatet waren und für fast alle internationalen Privatinvestitionen aufkamen.
  • Firmen und reiche Individuen konnten mit der Unterstützung gut bezahlter Anwälte und Berater Schlupflöcher ausnutzen oder auch schaffen, um Steuerpflichten zu umgehen. Bis zu den sechziger Jahren war die Schweiz als einzige große Steueroase der Hauptnutznießer davon.

Mehrere Faktoren führten dazu, dass das System sich seit den 1960er Jahren verändert hat. Relevant waren

  • die Liberalisierung des Kapitalverkehrs,
  • kontinuierlich wachsende transnationale Finanzströme,
  • wirtschaftliche Globalisierung und
  • der Wunsch der vielen kleinen Inselstaaten, die zum britischen Kolonialreich gehört hatten, Einkommensquellen zu erschließen.

Die Zahl der Steueroasen hat sich vervielfacht, und die Geschäfte, die dort gemacht werden, haben noch deutlich schneller zugenommen.

Klare Verlierer des Systems waren die Regierungen von Entwicklungsländern, denn dort aktive transnationale Unternehmen waren geneigt und in der Lage, ihre Gewinne buchhalterisch in Steueroasen zu verschieben. Folglich zahlten sie kaum oder gar keine Steuern. Im Lauf der Zeit stellten aber auch die Regierungen der reicheren Länder fest, dass das System nicht mehr in ihrem Sinn funktionierte. Ihre eigenen transnationalen Unternehmen siedelten Tochterfirmen in Steueroasen an, verbuchten ihre Gewinne dort und zahlten im Heimatland weniger Steuern. Die Geheimhaltungspolitik der Steueroasen förderte obendrein Terrorismus, Drogenhandel und Korruption.


Das neue Millennium

Nach dem Jahrtausendwechsel beschleunigte sich der Wandel. Zivilgesellschaftliche Initiativen wie etwa das Tax Justice Network oder Global Witness entstanden und machten vor allem in Industrieländern auf Steuervermeidung und -flucht aufmerksam. Erstmals gab es Schlagzeilen über die Steuerpraktiken multinationaler Konzerne, und die Öffentlichkeit erfuhr immer mehr. Der jüngste Coup waren die sogenannten Paradise Papers im Herbst.

2008 folgte dann die globale Finanzkrise, die in vielen Mitgliedsländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD – Organisation for Economic Co-operation and Development) schnell zu Haushaltskrisen führten. Regierungen mussten sich für die Bankenrettung massiv verschulden. In dem Maße, wie sie neue Geldquellen suchten, gerieten die Steueroasen und das System, auf dem sie beruhten, in den Blickpunkt.

Im Auftrag der Gruppe der 20 führenden Volkswirtschaften (G20) startete die OECD 2013 ein zweijähriges Verfahren, Politikvorschläge zu formulieren. Der Prozess wurde mit dem Kürzel BEPS benannt, das für "base erosion and profit shifting" (Erosion der Steuerbasis und Profitverschiebung) stand.

BEPS war komplett auf internationale Steuerfragen ausgerichtet und beschäftigte sich nicht mit dem verwandten Thema der Geldwäsche. Das entsprach nicht den Vorstellungen der Regierungen vieler Entwicklungsländer, besonders in Afrika. Diese schätzten mittlerweile den Diskurs der „illegitimen Finanzflüsse“, in dessen Zusammenhang üppige Schätzungen darüber kursierten, wie viel Geld Afrika durch Finanztransaktionen verlor. Starken Schub vermittelte 2015 der "Report of the high level panel on illicit financial flows from Africa" (Mbeki-Report) von UN und Afrikanischer Union.

„Illegitime Finanzflüsse“ sind indessen nicht objektiv definiert. Die Statistiken sind fragwürdig und werden oft auf täuschende Weise verwendet. Sie sagen leider nur wenig darüber aus, wie viel Steuereinnahmen afrikanischen Ländern tatsächlich entgehen. Stattdessen nähren sie Illusionen darüber, wie viel Geld afrikanische Staaten einnehmen könnten, wenn die illegitimen Finanzflüsse reduziert würden.

Im Zuge dieser Debatte wuchs derweil der Unmut vieler Vertreter des globalen Südens mit Blick auf den BEPS-Prozess. Von Anfang an wurde die Frage gestellt, weshalb die OECD – der Dachverband der reichen Nationen – die Zuständigkeit für ein globales Thema übernahm. Diese Kritik hält bis heute an.

War also von Anfang an klar, dass BEPS scheitern musste? Oder trug die Kritik dazu bei, derartig Druck auf die OECD zu machen, dass deren Empfehlungen nicht nur die Interessen ihrer Mitglieder, sondern die der ganzen Welt berücksichtigen würde? Beide Thesen lassen sich mit empirischen Erfahrungen untermauern.

Die BEPS-Empfehlungen, die 2015 ausgesprochen wurden, haben sicherlich viele Menschen enttäuscht. Sie liefen nicht auf eine radikale Reform des internationalen Steuersystems hinaus. Allerdings war das auch nicht der Auftrag. Einige BEPS-Empfehlungen sind nützlich. Das gilt besonders für den Vorschlag, alle großen transnationalen Unternehmen dazu zu verpflichten, über Einnahmen und Gewinne für jedes Land einzeln Rechenschaft abzulegen ("country-by-country reporting").

Mit den Empfehlungen ist die Debatte aber noch nicht abgeschlossen. Im Rückblick ist klar, dass die Dinge nun erst in Bewegung geraten sind. Diverse andere Reforminitiativen wurden jenseits dieses Rahmens gestartet. Eine aus Sicht der Entwicklungsländer besonders wichtige Initiative geht abermals von der OECD aus. Sie soll den Informationsaustausch zwischen nationalen Finanzämtern verbessern. Das erklärte Ziel ist, das Auskunftssystem global anzulegen und zu automatisieren, so dass alle Staaten Zugriff auf Informationen über relevante Steuerzahler bekommen.

Damit solche Reformschritte Wirkung zeigen, muss noch viel geschehen – und das gilt besonders mit Blick auf die Entwicklungsländer. Deren Steuerbehörden stehen vor dem neuen – aber eigentlich recht willkommenen – Problem, dass ihnen viel mehr Daten zur Verfügung stehen, als sie verarbeiten können. Der Trend zum Einsatz digitaler Technik in der Steuerverwaltung verstärkt diese Herausforderung.

Die Steuerdebatte läuft in der breiten Öffentlichkeit sowie in der Fachwelt. Sie führt allmählich zu echtem Wandel. Die Entwicklungsländer sind von der Entscheidungsfindung längst nicht mehr in dem Maße ausgeschlossen wie noch vor zehn Jahren. In verschiedener Hinsicht nimmt die OECD die Anliegen der Entwicklungsländer heute sehr ernst.

Die OECD agiert dabei nicht sonderlich selbstlos, sie steht aber vor einigen ernsten Herausforderungen. Das UN-Steuerkomitee ist ein potenzieller Konkurrent, was die Vertretung der Entwicklungsländer angeht, und es wurde kürzlich aufgewertet. Wichtiger noch ist, dass die großen Schwellenländer immer weniger geneigt sind, sich den Sichtweisen der OECD anzuschließen. Die OECD hat ein großes Eigeninteresse daran, zu einem glaubwürdigeren globalen Forum zu werden, das nicht nur die Mitgliedsstaaten akzeptieren.


Kein Ende des Kampfes

All dies heißt nicht, dass die Entwicklungsländer oder Initiativen, die sich für deren Interessen einsetzen, aufhören sollten, Reformen der internationalen Steuerordnung zu fordern. Mir scheint aber die Zeit gekommen zu sein, in der sich die Entwicklungsländer zusammentun und gemeinsam aktiv werden sollten. Dabei könnte es beispielsweise um folgende Dinge gehen:

  • Die Geberländer haben sich verpflichtet, mehr zur Stärkung der „heimischen Ressourcenmobilisierung“ in Entwicklungsländern beizutragen. Die Empfängerländer müssen entscheiden, wie sie diese Mittel nutzen wollen. Sinnvoll wäre es, wenn sie sich selbst in die Lage versetzen, mit der neuen Informationsflut zurechtzukommen und von den innovativen Systemen des Austausches von Steuerdaten Gebrauch zu machen.
  • Was die Steuerpolitik angeht, gibt es bislang zwischen Entwicklungsländern bislang kaum Harmonisierung – weder mit Blick auf die Gesetzgebung noch auf die Behördenstruktur. Jedes Land hat seine eigenen, oft recht vielfältigen Regeln. Andererseits haben manche Länder auch gar keine Regeln für die wichtige Frage der Transferberechnung. Dabei geht es darum, wie multinationale Konzerne interne Zahlungen verbuchen und damit Profite von Land zu Land verschieben. Zudem hat jeder Staat eigene Gesetze, Verordnungen und Verfahren, was die Gewährung von Steuererleichterung für Investoren angeht. Da es keine Harmonisierung gibt, können mächtige transnationale Konzerne und ausländische Regierungen in Verhandlungen einzelne Entwicklungsländer unter Druck setzen und große Vorteile erzielen.

Zu erwarten, dass sich alle Entwicklungsländer innerhalb von zehn Jahren über solche Fragen einigen, wäre überzogen. Auf der Ebene der Weltregionen und Subregionen ließe sich aber viel erreichen. Die Entwicklungsländer sind nun am Zug.


Mick Moore leitet das the International Centre for Tax and Development und ist Professorial Fellow des Institute of Development Studies der Universität Sussex.
m.moore@ids.ac.uk

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