Ungleichheit

Was Ungleichheit mit Suchtverhalten zu tun hat

Richard Wilkinson und Kate Pickett von der University of York sind Spezialisten für soziale Ungleichheit. Ihr aktuelles Buch „The inner level“ untersucht die Auswirkungen dieses Phänomens auf mentales Wohlbefinden. Sie kommen zu dem Schluss, dass gesellschaftliche Gräben nicht nur die ökonomisch benachteiligten Gruppen belasten, sondern sämtliche Mitglieder ungleicher Gesellschaften beeinträchtigen.
Glücksspiel und anderes Suchtverhalten sind in besonders ungleichen Gesellschaften besonders verbreitet: Spielautomaten in Las Vegas. Moritz Wolf/Lineair Glücksspiel und anderes Suchtverhalten sind in besonders ungleichen Gesellschaften besonders verbreitet: Spielautomaten in Las Vegas.

Die beiden britischen Intellektuellen führen aus, dass Menschen auf zwei grundverschiedene Weisen miteinander umgehen können: Zusammenarbeit oder Konkurrenz. Während gelungene Kooperation Menschen nach allgemeiner Erfahrung psychisch stärkt, führt harter Wettbewerb zu Stress und Unbehagen.

Die Autoren stützen sich auf Daten aus Britannien, den USA und anderen weit entwickelten Nationen. Sie belegen, dass Ängste mit Ungleichheit korrelieren, und begründen dies damit, dass Menschen sich mehr Sorgen um ihren sozialen Status machen und entsprechend stärker von Selbstzweifeln geplagt werden. Wer meine, sein Schicksal selbst in der Hand haben zu müssen, sehe sich oft vor schier unüberwindbaren Hürden.

Gefühle, unzureichend oder ohnmächtig zu sein, unterhöhlen dieser Argumentation zufolge aber die Fähigkeit, sich mit anderen offen auszutauschen oder mit ihnen auf gemeinsame Ziele wirksam hinzuarbeiten. Die Statistiken zeigen, dass mit wachsender Ungleichheit Einsamkeit zunimmt, gesellschaftliches Engagement aber abnimmt. Klinische Depressionen werden wahrscheinlicher und Selbstmordraten steigen.

Wie Wilkinson und Pickett erläutern, fällt es Menschen leicht, anderen zu trauen, wenn sie diese als gleichrangig erleben. Ungleichheit bedeutet dagegen, dass mehr Wert darauf gelegt werde, Eindruck zu schinden, wozu beispielsweise teure Kleidung oder Autos dienen könnten. Der entsprechende Finanzbedarf steigere dann wieder den Karrieredruck. Selbst professionell sehr erfolgreiche Menschen litten unter überzogenem Stress.

Die beiden Co-Autoren wundert es also nicht, dass in diesem Szenario auch Alkohol- und Drogenmissbrauch zunehmen. Das gilt ähnlich für exzessives Glücksspiel und anderes Suchtverhalten.

Neben Statusängsten prägt den Wissenschaftlern zufolge auch narzisstischer Größenwahn ungleiche Gesellschaften. Sie warnen, dieser werde oft mit gesundem Selbstvertrauen verwechselt, obwohl die betroffenen Personen keine Empathie zeigten und ihr Urteilsvermögen unterentwickelt sei. Heute versprächen Spitzenleute in Politik und Wirtschaft oft großartige Dinge, könnten dann aber nicht liefern, denn narzisstische Visionen seien nun einmal unrealistisch. Pläne, sie zu verwirklichen, seien meist kaum durchdacht, schreiben Wilkinson und Pickett.

Sie wenden sich überzeugend gegen die Vorstellung, Ungleichheit spiegle nur unterschiedliches individuelles Leistungsvermögen wider. Tatsächlich hängen die Chancen, die jemand hat, erheblich vom Wohlstand und Bildungsniveau des jeweiligen des Elternhauses ab (siehe hierzu auch Cema Tork im Schwerpunkt in E+Z/D+C e-Paper 2019/05). Wilkinson und Pickett zufolge geht es Menschen gut, die sich von einem starken Netzwerk aus Verwandten, Nachbarn, Kollegen und Freunden getragen fühlen. Die psychische Gesundheit profitiert also von starken Gemeinschaften, die in eher egalitären Gesellschaften häufiger vorkommen.

Die Thesen des Buchs sind plausibel und mit empirischen Statistiken untermauert. Ein Schwachpunkt ist, dass auf die Lage in Schwellen- und Entwicklungsländern kaum eingegangen wird. Die Einsichten treffen aber tendenziell auch dort zu, denn bekanntlich wächst die Ungleichheit weltweit, während traditionelle Bindungen erodieren.

In den letzten Kapiteln des Buchs geht es dann darum, wie Abhilfe geschaffen werden kann. Psychologische Themen stehen nicht mehr im Vordergrund; es geht um ökonomische Fragen sowie um Möglichkeiten, wie die Politik soziale Sicherheit und Inklusion stärken kann. Ein wichtiger Aspekt ist, dass Wilkinson und Pickett egalitären Gesellschaften eher zutrauen, die Transformation zur ökologischen Nachhaltigkeit zu schaffen. In ihnen sei nämlich Luxuskonsum weniger attraktiv – und sie lenkten die Aufmerksamkeit eher auf das Gemeinwohl als nur auf das persönliche Schicksal.


Buch
Richard Wilkinson und Kate Pickett, 2018: The inner level. How more equal societies reduce stress, restore sanity and improve everyone’s well-being. London, Allen Lane.

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