Sommer-Special

Islamistischer Terror aus muslimischer Sicht

Im Westen heißt es immer wieder, Muslime stellten sich nur halbherzig gegen den islamistischen Terror. Wer das denkt, sollte sich Abderrahmane Sissakos Film „Timbuktu“ anschauen. Er handelt von der Schreckensherrschaft einer islamistischen Miliz in einer Stadt in der Sahelzone. Der Regisseur nutzt poetische Mittel, aber seine Botschaft ist alles andere als halbherzig. Sein eindrucksvolles Werk verdient breite Aufmerksamkeit.
Die Islamisten wollen in Timbuktu alles kontrollieren. Film still/Cannes Film Festival/picture-alliance/dpa Die Islamisten wollen in Timbuktu alles kontrollieren.

Der Film wurde in Mauretanien gedreht, trägt aber den Namen der Stadt in Mali, in der er spielt. Islamistische Fundamentalisten hielten sie mehrere Monate lang besetzt, bis sie von malischen und französischen Truppen im Frühjahr 2013 befreit wurde.

Sissako ist nach der Geburt in Mauretanien selbst in Mali aufgewachsen. Er studierte im sowjetischen Moskau und lebte später lange in Frankreich. Seine Erzählweise ist differenziert und stellt nicht platt gut gegen böse. Alle Personen, die vorkommen, sind menschliche Wesen mit Gefühlen und Gedanken. Sie diskutieren miteinander, Glaube und Zweifel prägen sie. Viele Milizionäre sind unsicher und verwirrt, und manche agieren unglaublich brutal. Wie ihre Opfer werden auch sie als Menschen gezeigt.

Die fundamentalistischen Befehlshaber stützen sich auf ihre Waffen, können aber nicht auf Augenhöhe mit dem örtlichen Imam diskutieren, der ihr Handeln verurteilt. Einer macht ständig Zigarettenpausen. Rauchen ist zwar verboten, aber seine Sucht hat ihn im Griff.

Gut gemachte Szenen verdeutlichen, wie absurd es ist, Musik oder Fußball zu verbieten. Einmal wird eine junge Frau ausgepeitscht, weil sie gesungen hat. In ihrem Schmerz beginnt sie ein Gebet zu singen. Ein andermal spielen junge Männer imaginären Fußball. Sie rennen über den Platz, winken sich zu, und einer schießt sogar ein Tor – alles ohne Ball.

Sehr unterschiedliche Leute kommen vor. Wegen einer Kuh eskaliert ein Streit, und dabei stirbt jemand. Die selbsternannten religiösen Führer sind offensichtlich damit überfordert, Gericht zu halten. Sissako zeigt die Arroganz und Brutalität der islamistischen Ideologie und stellt zugleich ihre religiöse wie weltliche Unzulänglichkeit bloß.

Timbuktu hat zu Recht mehrere Césars, die französischen Gegenstücke zu Hollywoods Oscars, gewonnen. Wie echte Kunst das tun muss, unterhält der Film nicht nur, er klärt auf. Er beweist auch, dass schwierige politische Verhältnisse am besten von Künstlern behandelt werden sollten, die Land und Leute kennen. Kein Außenseiter könnte Malis jüngste Tragödie so kompetent behandeln.

Hätte ein nordamerikanischer oder europäischer Regisseur sich dieses vielschichten Themas angenommen, hätte vermutlich ein weißer Entwicklungshelfer, der sich in Afrika zurechtfinden muss, im Mittelpunkt gestanden. So war das beispielsweise auf deprimierende Weise bei „Der letzte König von Schottland“, einer britisch-amerikanischen Koproduktion. Dieser Film gewann viel internationale Aufmerksamkeit, unter anderem weil Forest Whitaker 2006 für seine Rolle als Ugandas Diktator Idi Amin einen Oscar gewann. Der Film handelte von einem jungen schottischen Arzt, der Ugandas Armen helfen will und sich in ein brutales Regime verstrickt. Unterschwellig bediente er das Klischee vom gefährlichen Kontinent, wo Gutmenschen aus Europa nichts ausrichten können. Er bot keine Einblicke in die Komplexität einer afrikanischen Gesellschaft.

Sissako arbeitet ganz anders. Er untersucht afrikanische Probleme aus einer afrikanischen Perspektive. Die Rollen, die er präsentiert, gehören nicht zu einer Masse armer Menschen, auch wenn sie nach EU-Verständnis nicht wohlhabend sind. Ihre Existenz ist sinnvoll und entspricht kulturellen Werten. Verelendung wird gezeigt – aber es ist die spirituelle und politische Verelendung der islamistischen Unterdrückung.

Sissako verdient als Regisseur international Beachtung – und selbstverständlich auch in Mali. Wie er im Mai 2015 aber der britischen Zeitung The Guardian sagte, ist sein Film dort gar nicht gelaufen. Der Grund war ihm zufolge nicht Angst vor Islamisten, sondern schlicht der Mangel an Kinos.


Filme

Timbuktu, 2014, Frankreich/Mauretanien, Regisseur: Abderrahmane Sissako

The last king of Scotland, 2006, Britannien/USA, Regisseur: Kevin Macdonald

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