Kommentar

Interessante Wahl

Die Exekutivdirektoren der Weltbank haben einen neuen Präsidenten berufen. Sie haben nicht die politisch korrekte, sondern die politisch opportune Person gewählt. Dennoch ist die Entscheidung besser, als auf den ersten Blick ersichtlich wird.

Von Hans Dembowski

Ngozi Okonjo-Iweala bleibt nigerianische Finanzministerin und wird nicht Weltbankpräsidentin. Sie klagt zu Recht, das Auswahlverfahren sei nicht völlig „offen, transparent und leistungsbasiert“ gewesen. Das Executive Board, das von den wohlhabenden Nationen dominiert wird, hat Jim Yong Kim berufen. Er ist Bürger der USA. Präsident Barack Obama hatte ihn vorgeschlagen.

Okonjo-Iweala wäre bestimmt eine starke Weltbankpräsidentin geworden. Sie ist eine profilierte Ökonomin und hat als Finanzministerin und als Managing Director der Weltbank eine gute Reputation. Die Berufung einer Frau aus Afrika an die Spitze der multilateralen Finanzinstitution wäre ein willkommenes Signal gewesen.

Andererseits war Okonjo-Iweala die Mainstream-Kandidatin. Das zeigte schon, dass die Londoner Financial Times und der Economist sie unterstützten. Sie hat zudem jahrzehntelang für die Weltbank gearbeitet – von 2007 bis 2011 sogar in einem Spitzenjob. Sie weiß, wie die Weltbank tickt, wurde aber persönlich auch selbst von der Bank geprägt. Ihr Versprechen eines völligen Neuanfangs klang deshalb hohl.

Kim ist bei der Weltbank dagegen ein Außenseiter. Sein Lebenslauf ist für seine künftige Aufgabe zwar ungewöhnlich, aber durchaus relevant. Er hat als Arzt bahn­brechende Arbeit auf dem Gebiet der Graswurzelversorgung in Entwicklungsländern geleistet. Als ehemaliger Leiter der HIV/Aids-Abteilung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kennt er sich zudem mit multilateraler Politik aus. Und wegen seiner koreanischen Wurzeln berühren ihn die Nöte der armen Welt auch persönlich.

Sein Grundanliegen wird sein, dass soziale Dienste funktionieren. Volkswirte interessieren sich dagegen tendenziell vor allem für Wirtschaftswachstum. Jahrzehntelang monierten Kritiker, die Weltbank kümmere sich im Auftrag der reichen Nationen zu sehr um makroökonomische Dinge und achte zu wenig auf Sozialpolitik. Das war berechtigt, und die Bank hat in den vergangenen Jahren diesbezüglich auch umgesteuert. Es ist dennoch eine Überraschung, dass ausgerechnet die USA diesen Paradigmenwechsel durch die Nominierung eines Arztes weiter bekräftigt haben.

Die akademische Ausbildung der nigerianischen Kandidatin ist übrigens ebenso amerikanisch wie die ihres in Korea geborenen Gegenkandidaten. Beide haben an der Harvard University studiert. Kim hat dort auch promoviert. Okonjo-Iweala erwarb ihren Doktortitel am Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Okonjo-Iweala war eine starke Kandidatin aus einem Entwicklungsland. Sie war aber nicht die Kandidatin der Entwicklungsländer. José Antonio Ocampo, der frühere Finanzminister von Kolumbien, zog seine Kandidatur erst kurz vor Schluss zurück. Nun erklingen in den BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) erwartbare Klagen, der Westen habe sich mal wieder durchgesetzt. Allerdings haben sich die BRICS nicht geschlossen für die Nigerianerin ausgesprochen. Am Schluss unterstützten Russland und Mexiko sogar Kim. Manche Entwicklungsländer wollten dagegen Jeffrey Sachs, den prominenten Entwicklungsökonomen von der Columbia University, als Weltbankchef. Sie unterstützten bewusst einen US-Bürger, der sich seit langem für mehr Entwicklungshilfe ausspricht.

Vorigen Sommer wurde Christine Lagarde aus Frankreich Chefin des Internationalen Währungsfonds, der Schwester der Weltbank. Das beruhte auf dem stillschweigenden Einverständnis der Schwellenländer, dass Europäer die Euro-Krise lösen sollen. Das war ihnen wichtiger, als Europas Zugriff auf das IWF-Spitzenamt zu beenden.

Kims Berufung ist anders. Sie zeugt vom uneingestandenen Konsens, dass er für den Job geeignet ist – und dass es falsch wäre, den multilateral denkenden Obama im US-Wahlkampf zu schwächen. Zudem achten die BRICS-Vertreter in nichtöffentlichen Gremien wohl vor allem darauf, ihre IWF-Beiträge gering zu halten und ihre ­Position in den Exekutivdirekto­rien der ­Finanzinstitutionen auszubauen. Einen kompetenten US-Bürger an der Weltbankspitze zu verhindern, hat für sie keine Priorität.

Erwähnenswert ist zudem, dass Kim als Hochschulpräsident leichter zu ersetzen sein dürfte als Okonjo-Iweala als reformorientierte ­Finanzministerin. Nigeria braucht sie.

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