Gewaltpotenzial

Der Kalaschnikow-Fluch

Große Artillerie richtet mehr Schaden an als eine Kleinwaffe. Zählt man jedoch die Toten in vielen bewaffneten Konflikten, zeigt sich, dass Klein- und Leichtwaffen verheerender sind.
Im Jahr 2007 kostete eine neue AK47 in Somalia rund 300 Dollar. Frederic Courbet/Lineair Im Jahr 2007 kostete eine neue AK47 in Somalia rund 300 Dollar.

Es gibt zwei Kategorien von Militärwaffen. Große internationale Kriege werden meist mit schweren Waffen wie Panzern, Kampfflugzeugen und harten Geschützen ausgefochten. Solche Kriege sind inzwischen relativ selten. Der letzte war der zwischen Russland und Georgien im Jahr 2008.

Zwei andere Kriegsarten hingegen werden häufiger. Zum einen asymmetrische Konflikte, in denen eine konventionelle Armee gegen leichtbewaffnete Gruppierungen kämpft, die Guerrilla-Methoden anwenden. Zum anderen Konflikte zwischen leicht bewaffneten regulären oder irregulären Kräften auf beiden Seiten. Diese Konflikte werden vor allem mit so genannten Small Arms and Light Weapons (SALW) ausgetragen:

  • Kleinwaffen, zu denen auch Gewehre, Pistolen und leichte Maschinengewehre zählen, sowie alle Waffen, die eine Person alleine tragen und bedienen kann; und
  • Handwaffen – inklusive schwere Maschinengewehre, raketenbetriebene Granaten, tragbare Luftabwehrsysteme, Mörsergranaten und andere Waffen – , die nur mehrere Menschen gemeinsam bedienen können.

SALW sind als solche zwar weniger gefährlich als schwere Waffen, haben aber dennoch eine verheerende Wirkung. Es gibt sehr viele von ihnen, sie sind billig und einfach zu bedienen und zu verstecken. In den letzten Jahrzehnten haben SALW mehr Schaden angerichtet und Menschen getötet als schwere Waffen.

Der ehemalige UN-General Sekretär Kofi Annan sagt, dass Hand- und leichte Waffen „auch als Waffen zur Massenvernichtung” bezeichnet werden könnten. Jährlich werden schätzungsweise 50 000 bis 100 000 Menschen weltweit durch SALW getötet. Die Zahl der indirekten Toten durch bewaffnete Gewalt, die an mangelnder medizinischer Versorgung, Hunger oder Durst sterben, ist viermal so hoch. Zudem werden rund eine Million Menschen pro Jahr beim Bedienen von SALW verletzt. Man schätzt, dass etwa 875 Millionen solcher Waffen in Umlauf sind, und weitere 700 000 bis 900 000 jährlich produziert werden. Fast Dreiviertel davon sind im Besitz von Zivilisten.

 

Gewehre im Überfluss

Afrika ist buchstäblich überschwemmt von SALW. Sie haben in allen größeren aktuellen Konflikten eine wichtige Rolle gespielt, so auch in Darfur, Somalia und Ruanda. Das hat mehrere Gründe.

Zum einen ist die Nachfrage hoch:

  • Kriegsführende Parteien sind meist relativ arm und SALW erschwinglich und verfügbar.
  • Viele Regierungen sind schwach und nicht in der Lage, für Sicherheit zu sorgen; folglich steigt auch bei Zivilisten der Bedarf für Gewehre.

Zum anderen werden genug Waffen angeboten. Sie stammen vor allem aus drei Quellen:

  • Regierungsangehörige versorgen nichtstaatliche Milizen mit Waffen.
  • Die staatlichen Waffenlager werden oft nicht ordentlich verwaltet und bewacht, so dass SALW verloren gehen, gestohlen oder illegal verkauft werden.
  • In unruhigen Zeiten kommt es vor, dass Waffen aus Depots entnommen und dann weiträumig verwendet oder verkauft werden.  

Politische Unruhen und die mangelhafte Verwaltung von Waffenlagern haben in den letzten Jahren zur Verbreitung von SALW in Afrika beigetragen. Das dramatischste Beispiel dafür war der Sturz des Gaddafi-Regimes in Libyen. Die Regierung war überversorgt mit SALW – und kaum waren diese Waffen aus den aufgebrochenen Waffendepots verschwunden, tauchten sie auf dem Schwarzmarkt auf. Neben Mali (siehe Kasten, S. 330) wurden sie auch an Orten wie dem Sinai und Burkina Faso gesichtet.

 

Waffenlager schützen

Die meisten illegalen SALW stammen aus staatlichen Waffenlagern. Während ein Teil der Waffen von staatlichen Bediensteten bewusst entwendet wird, werden andere gestohlen, kommen abhanden oder werden von korrupten Beamten verkauft.

Um den Missbrauch staatlicher SALW zu verhindern, gibt es physische Sicherheitsmaßnahmen – massive Gebäude, solide Schlösser oder Sicherheitszäune. Wichtig ist es zudem, Waffen zu markieren und zu registrieren, um dann dokumentieren zu können, wohin sie verteilt werden. Moderne Armeen und Polizeidienste nutzen meist ausgeklügelte Systeme um ihre Depots zu verwalten. Gebäude (inklusive Umzäunung und Beleuchtung), Überwachung und gut ausgebildetes Personal kosten aber Geld.

In vielen Ländern Sub-Sahara Afrikas ist es mit dem PSSM (physical security and stockpile management) leider nicht sehr weit her. Es gibt zwar international vereinbarte Standards (siehe Kasten), aber oft werden sie in der Praxis nicht beachtet.

Untersuchungen des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC) zeigen, dass etwa im Sudan Waffen und Munition oft in schlecht bewachten Waffenlagern verwahrt sind. Manche SALW werden in Übersee-Containern aus Metall verstaut, andere in traditionellen Lehmhütten, teils türmen sie sich auch einfach nur irgendwo auf dem Boden. Dem Land fehlen die Kompetenzen, die Ressourcen und die Infrastruktur, um selbst die niedrigsten internationalen Standards einzuhalten.

Schlechte Verwaltung der Waffenlager birgt zwei unmittelbare Gefahren:

  • Bewaffnete Gruppierungen gehen mit staatlicher Munition gegen staatliche Truppen vor. Genaue forensische Untersuchungen der Kriegsstätten von Regierungstruppen und Rebellen in Ost- wie in Westafrika zeigten, dass etwa 30 Prozent aller von nichtstaatlichen Gruppen verfeuerten Munition aus staatlichen Waffenlagern stammten. Weitere Recherchen zeigten, dass Mitglieder des Militärs die Munition verkauft hatten – schlecht bezahlte Soldaten aus der Not heraus, höherrangige Offiziere aus Gier.
  • Es gibt erhebliche Explosionsrisiken. Munition erodiert mit der Zeit, insbesondere wenn sie unangemessenen gelagert wird. Wird das Material zu feucht oder zu heiß, kann es sich selbst entzünden. Im vergangenen Jahrzehnt gab es mehrere größere Explosionen von Munition in Afrika. Bei einer Explosion in Lagos, Nigeria, starben mehr als 5000 Menschen.

 

Nötige Schritte

Um die Ausbreitung von SALW zu stoppen und die Zahl der Opfer zu reduzieren, muss unter anderem Folgendes geschehen:

  • Zunächst müssen Ausbildung und Information verbessert werden: Techniker müssen im Waffenlagermanagement geschult werden. Politische Autoritäten müssen begreifen, wie dringend notwendig es ist, die Waffenlager zu kontrollieren. Zudem muss die Öffentlichkeit auf die Gefahren des Waffenschmuggels, alter Munition und ähnlicher Dinge aufmerksam gemacht werden. Die Verantwortlichen für die Waffenlagerverwaltung müssen internationale Standards einhalten. 
  • Auf politischer Ebene müssen die afrikanischen Führer die Risiken unkontrollierter Verbreitung von SALW erkennen. Sie sollten sich überlegen, wie sie ihr Volk schützen können und entsprechende Gesetze erlassen. Internationale Geber sollten Initiativen zur Kontrolle von SALW unterstützen.
  • Auf wirtschaftlicher Ebene ist darauf hinzuweisen, dass gutes PSSM weitaus billiger ist als die Folgen von schlechter Verwaltung.
  • Auf technischer Ebene sind ordentliche Gebäude, Umzäunungen und dergleichen unumgänglich. Wenn sich ein Land die ausgefeilten Systeme nicht leisten kann, sollte es zumindest die grundlegenden Standards einhalten, um für Sicherheit zu sorgen.

Um die weitere Verbreitung von SALW in Afrika zu verhindern, muss auch die Nachfrage-Seite betrachtet werden. Der Staat muss das Gesetz achten und für Sicherheit sorgen, um den Kreislauf aus Unsicherheit und der Verbreitung von Handwaffen zu durchbrechen. Die freiwillige Entwaffnung von Zivilisten kann zur Kontrolle von SALW beitragen – aber nur, wenn die Umgebung auch danach sicher bleibt.

 

Michael Ashkenazi ist Wissenschaftler und Projektleiter am Bonn International Center for Conversion (BICC). In den letzten Jahren hat er im Süd-Sudan, in Uganda Kenia und Guinea-Bissau geforscht, sowie an Universitäten in England, den USA Kanada, Japan und Israel gelehrt.
ashkenazi@bicc.de

Marc Kösling ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am BICC. Er forscht zur Kleinwaffen-Kontrolle, zu internationalen Beziehungen und zu Regionaler Integration.
koesling@bicc.de

Christof Kögler ist Wissenschaftler am BICC. Er hat zu Kleinwaffen geforscht und konzentriert sich nun auf Solarenergie.
koegler@bicc.de

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