SEF-Konferenz

Soziale Sicherung in Afrika stärken

Entwicklungsexperten sind sich einig: Soziale Sicherung ist auch in Afrika umsetzbar. Diese kann zu Armutsbekämpfung und dem Erreichen der Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele (SDGs) beitragen. Es gibt auch Entwicklungsländer, die bereits soziale Sicherungssysteme umgesetzt haben. Bislang sind auf dem afrikanischen Kontinent aber lediglich etwa 18 Prozent der Menschen abgesichert. Experten arbeiten daran, dies zu verbessern.
Traditionell sorgt in vielen afrikanischen Ländern die Familie für soziale Sicherung: Nachbarschaft in einem tansanischen Dorf. Sean Sprague/Lineair Traditionell sorgt in vielen afrikanischen Ländern die Familie für soziale Sicherung: Nachbarschaft in einem tansanischen Dorf.

Soziale Sicherung bedeutet, dass Menschen gegen Risiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Armut oder Unfall abgesichert sind und eine Rentenversorgung im Alter erhalten. Ebenezer Adjetey-Sorsey, Exekutivdirektor von HelpAge Ghana, betont, dass soziale Sicherung ein wichtiges Entwicklungsthema ist. Er sieht die Absicherung gegen Armut, Risiko und Vulnerabilität für jeden Menschen als eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und als ein Instrument für Empowerment an. Auch die Menschen in Afrika streben nach einem höheren Lebensstandard, sagt der HelpAge-Manager. Es gebe bereits einige Maßnahmen und Abkommen, um soziale Sicherungssysteme in Afrika umzusetzen. Beispiele sind das Tripartite Social Dialogue Forum der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (ECOWAS) 2011 und verschiedene Chartas für soziale Sicherung anderer regionaler Wirtschafsgemeinschaften.

Problematisch ist der Mangel an zuverlässigen Daten über Armut. Adjetey-Sorsey empfiehlt, dass weiterhin an Rahmenwerken zu sozialer Sicherung gearbeitet und dass Sozialhilfe (Cash Transfers) nicht an Männer ausgegeben wird, sondern an Frauen. Diese geben der Erfahrung nach das Geld eher für den dafür vorgesehenen Zweck wie Schulbildung der Kinder oder Gesundheitsvorsorge aus als Männer. „In afrikanischen Ländern bedarf es noch viel Überzeugungsarbeit, um das traditionelle, patriarchalische Denken und die kulturelle Prägung zu ändern“, sagt er.

Adjetey-Sorsey ist aber auch klar, dass die Umsetzung von sozialen Sicherungssystemen eine große Aufgabe ist, die der Mitwirkung vieler Akteure bedarf. Neben den Regierungen sind dies Nichtregierungsorganisationen, Institutionen und Unternehmen. Seiner Ansicht nach ist soziale Sicherung finanzierbar. „Dazu bedarf es aber noch mehr politischen Willens und Anstrengung. Für viele afrikanische Regierungen sind Sozialsysteme noch keine Priorität und in den Staatshaushalten nicht vorgesehen“, bemängelt er. Oft könnten Systeme ohne Gebergeld nicht umgesetzt werden.

Geber verfolgten allerdings eigene Interessen, und entsprechend fehle oftmals die Ownership afrikanischer Staaten, kritisierte Adjetey-Sorsey kürzlich auf einer Konferenz der Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF) in Potsdam. „Es wird beim Thema soziale Sicherung immer nur auf fehlendes Geld verwiesen. Ich bin der Überzeugung, dass vieles auch durch Umstrukturierung und Umverteilung von Mitteln umgesetzt werden könnte.“

Simeon Uulenga von der namibischen Botschaft hält dagegen. Er sagt, seiner Regierung sei es sehr wichtig, Armut und Ungleichheit durch verbesserte Sozialversicherungssystem zu bekämpfen. Neben Namibia hätten nur eine Handvoll afrikanischer Staaten wie Mauritius und Südafrika soziale Sicherungssysteme, wobei die meisten – außer in Mauritius – fragmentiert und sozial exklusiv seien. Oft profitierten nur Angestellte des formalen Sektors von Gesundheitsversicherung und Rente, die vielen Erwerbstätigen im informellen Bereich aber nicht. Die namibische Regierung arbeitet derzeit konkret an einem bedingungslosen Grundeinkommen (basic income grant – BIG) für Ultra-Arme. Dies will der Staat durch die Einnahmen aus Steuern für Wohlhabendere finanzieren.

Nkateko Chauke von der Open Society Foundation for South Africa (OSF-SA) spricht sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus. Finanziert werden soll dies aus Steuern auf die Erlöse aus dem Abbau der natürlichen Ressourcen wie Mineralien und Öl. Schürfrechte unterlägen in Südafrika kaum Auflagen und seien nicht an Gemeinwohl oder Umweltschutz gebunden. Es gebe keinen Nutzen für die Allgemeinheit. Das BIG müsse sinnvoll in bestehende Sozialsysteme integriert werden.


Modelle zur Finanzierung

Francesca Bastagli vom Londoner Overseas Development Institute (ODI) beschäftigt sich mit der Frage, wie soziale Sicherung finanziert werden kann. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten. Besonders wichtig sind beitrags- und steuerfinanzierte Modelle (siehe auch Kasten unten). Steuerfinanzierte Systeme haben ihr zufolge oft den Vorteil, breite Bevölkerungsschichten und nicht nur den formalen Sektor zu erreichen und dadurch einen positiven Kreislauf in Gang zu setzen. Sie ergänzt: „Cash Transfers sind ein Instrument, bei dem meist ein unmittelbarer Effekt zu verzeichnen ist.“

Anja Hornig von der GFA Consulting Group bestätigte dies und nennt das Beispiel eines sehr erfolgreichen staatlichen Conditional-Cash-Transfer-Programms zur Armutsreduzierung in Indonesien. Die Regierung gab mithilfe eines Weltbank-Darlehens in der Pilotphase Geld an 300 000 Begünstigte aus, später waren es 3 Millionen und mittlerweile 10 Millionen Begünstigte.


Wege aus der Ultra-Armut

Armutsbekämpfung und soziale Sicherung sind engverwandte Themen. Die Entwicklungsorganisation BRAC aus Bangladesch gilt als Vorreiter bei der Bekämpfung von Ultra-Armut. BRAC verbindet Geldtransfers mit diversen Angeboten wie der Förderung von Alltagskompetenzen und beruflicher Qualifikation oder Mikrokrediten. Die Organisation habe damit die Nahrungssicherheit besonders armer Menschen in Bangladesch seit 2002 stark verbessert, erklärte Raania Rizvi vom BRAC Ultra Poor Graduation Programme. Sie klagt über mangelndes Interesse der Regierung: „Armutsbekämpfung müsse auch in ihrem Interesse sein.“

Chefökonomin Bessie Msusa vom Finanzministerium Malawis berichtet, dass soziale Sicherung ein Teil der nationalen Agenda sei. Die Regierung habe mehrere Unterstützungsprogramme initiiert, die mit Hilfe von Gebern wie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) umgesetzt worden sind. Es gibt ein Conditional-Cash-Transfer-Programm, bei dem die Begünstigten 60 Dollar im Monat bekommen und dafür ein Job-Training absolvieren müssen. Das zweite Programm ist ein bedingungsloser Cash Transfer zur Unterstützung Ultra-Armer. „Dabei haben wir von BRACs Erfahrungen gelernt“, so Msusa.

Regine Kopplow von Concern Worldwide erklärt, dass auch ihre Organisation von BRAC gelernt und das Konzept zur Linderung von Ultra-Armut an afrikanische Länder angepasst hat. „Ultra-arme Haushalte müssen immer mit Geld und Training versorgt werden. Wir unterstützen außerdem Dorf-Spar-Programme und Spargruppen.“ Wichtig sei dabei immer eine genaue Bedarfsanalyse: „Welche Ressourcen brauchen die Bedürftigen wirklich, Kredite, Nutztiere oder eher ein Business-Training?“

Hans-Peter Baur vom BMZ betont, die deutsche Entwicklungspolitik unterstütze den Aufbau sozialer Sicherungssysteme und arbeite mit vielen Partnern wie der Regierung von Malawi zusammen. Das BMZ unterstützt auch die multilaterale African Risk Capacity, die afrikanische Staaten gegen Klimarisiken wie Dürren absichert und Katastrophenvorbeugung belohnt. Ziel der African Risk Capacity ist es, 500 Millionen Menschen bis 2020 Zugang zu einer Dürreversicherung zu erschließen. Ernteausfallversicherungen sind nach klassischem Verständnis keine sozialpolitische Institution – aber wenn sie Armut vermeiden, dienen sie offensichtlich der sozialen Sicherung.

 

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