Jugendarbeitslosigkeit

Südafrikas Zeitbombe

Die Jugendarbeitslosigkeit in Südafrika ist eine tickende Zeitbombe: Rund die Hälfte der Menschen zwischen 18 und 34 Jahren hat keinen Job. Ohne Arbeit haben sie kein Einkommen, ohne Einkommen keine Möglichkeit, sich eine Zukunft aufzubauen. Fünf arbeitsmarktpolitische Maßnahmen könnten helfen, die Situation zu verbessern.
Anhänger der oppositionellen Democratic Alliance auf einer Demonstration für mehr Jobs im Jahr 2016 in Johannesburg. Haffejee/picture-alliance/AA Anhänger der oppositionellen Democratic Alliance auf einer Demonstration für mehr Jobs im Jahr 2016 in Johannesburg.

Der Arabische Frühling hat eindrücklich gezeigt, was passieren kann, wenn Massen junger Menschen politisch und ökonomisch verzweifelt sind. Er hat uns auch gelehrt, dass die Zukunft alles andere als vorhersehbar ist. Damit die tickende Zeitbombe der vielen verzweifelten, arbeitslosen und kaum ausgebildeten jungen Menschen nicht explodiert, sollte Südafrikas Regierung strukturelle arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ergreifen.

48 Prozent der unter 34-Jährigen haben keinen Job, wobei die 18- bis 24-Jährigen, die neu auf den Arbeitsmarkt drängen, am stärksten betroffen sind. Drei Viertel der arbeitslosen jungen Menschen hatten noch nie einen Job. Frauen sind mit 59 Prozent besonders oft arbeitslos, und insgesamt ist die Lage auf dem Land deutlich schlechter als in der Stadt. Schwarze Südafrikaner sind häufiger arbeitslos als alle anderen ethnischen Gruppen. Eine wichtige Rolle für den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt spielt die Bildung: Mit einem Universitätsabschluss betragen die Chancen, eine Stelle zu finden, 95 Prozent.

Für den durchschnittlichen Jugendlichen sieht die Lage also düster aus. Dabei gibt es Möglichkeiten, sie zu ändern. Die folgenden fünf Vorschläge wären im heutigen Südafrika umzusetzen, ohne dafür das politische System, die Strukturen oder die politischen Ziele ändern zu müssen.


Wirtschaftstätigkeit an ausgesuchten Orten und in ausgesuchten Sektoren fördern

Wirtschaftswachstum lokal gezielt anzukurbeln hat weltweit schon viele Regionen nach vorne gebracht. Pudong, das zu Shanghai gehört, wurde so innerhalb von 20 Jahren von einem landwirtschaftlichen Gebiet zum Geschäftsviertel mit einigen der höchsten Wolkenkratzer der Welt. Für dieses enorme Wachstum sind zwei Faktoren ausschlaggebend: Zum einen der geografische Fokus, zum anderen die Konzentration auf einen bestimmten Wirtschaftsbereich, um ein Netz aus Zulieferern, Ausbildung und logistischer Infrastruktur aufzubauen.

Die meisten Sonderwirtschaftszonen Südafrikas haben keinen oder einen zu weiten Fokus auf bestimmte Branchen. Außerdem liegen sie nicht unbedingt in mittelgroßen Städten, die besonders großes Potenzial haben, sondern in Gegenden ohne Infrastruktur, Arbeitsmarkt oder komplementären Wertschöpfungsketten. Andererseits verfügt das Land über Industriecluster, die weiter ausgebaut werden könnten, beispielsweise die Automobilindustrie. Internationale Autobauer wie BMW, Ford, Mercedes und Toyota haben ihre Werke hauptsächlich im Norden der Provinz Gauteng oder in den Außenbezirken von Port Elizabeth und East London.

Auch der Tourismus spielt eine wichtige Rolle: Er ist bereits für zehn Prozent der Wirtschaftskraft verantwortlich und bietet zahlreiche Jobmöglichkeiten. Das Potenzial ist groß und bei weitem nicht ausgeschöpft: Schönes Sommerwetter, wenn auf der Nordhalbkugel Winter ist, niedrige Preise im internationalen Vergleich, kulturelle Vielfalt, Spitzenmuseen, tolles Essen und nicht zuletzt Naturattraktionen wie der Krüger-Nationalpark und die Garden Route machen Südafrika zu einem attraktiven Ziel für internationale Touristen.

Ausbaufähig ist zudem die Filmindustrie: Vergleichsweise niedrige Kosten machen das Land für internationale Produktionen interessant. Andere Branchen, darunter die Verarbeitung von landwirtschaftlichen Produkten und erneuerbare Energien sollten ebenfalls für eine Förderung in Betracht gezogen werden.


Jugendliche zu Gründern machen

Viele junge Menschen in den Townships haben Ideen für ein eigenes Business, setzen sie aber nicht um. Ein von mir im Rahmen meiner Feldforschung initiiertes Pilotprojekt ist der Frage nachgegangen, ob sich die Förderung von Unternehmertum junger Frauen und Männer lohnt und eine tragfähige Zukunftsperspektive schafft.

Die Teilnehmer wurden nach drei Kriterien ausgewählt: Sie mussten arbeitslose Südafrikaner sein, eine Geschäftsidee haben, die nicht zu komplex ist, und eine hohe Motivation mitbringen. Zu dem dreitägigen Training gehörte unter anderem ein Feedback von Fremden. Dazu mussten die Teilnehmer die Hürde überwinden, auf Fremde zuzugehen, um die eigene Idee vorzustellen und unvoreingenommenes Feedback zu bekommen. Nach den drei Tagen bekam jeder Teilnehmer einen Mentor zur weiteren Unterstützung zur Seite gestellt.

Von den 11 Geschäftsideen haben fünf unmittelbar im Anschluss an den Workshop Umsätze generiert, darunter ein Fitnessstudio, Familiencoaching, ein Obstlieferservice und ein Raumdesigner.


Kleine und mittlere Unternehmen groß machen

Wenn kleine und mittlere Unternehmen (KMU) wachsen, entstehen neue Jobs. Gleichzeitig können sich die südafrikanischen Firmen so besser in internationale Wertschöpfungsketten integrieren, was zu einem Nettowachstum der lokalen Wirtschaft führt.

Um wirklich zusätzliche Jobs zu schaffen, die nicht anderswo in Südafrika abgezogen werden, muss das Wachstum vom Export von Produkten herrühren oder Importe ersetzen. Um dorthin zu gelangen, brauchen KMU üblicherweise Unterstützung bei ihrer Vermarkungsstrategie, der betrieblichen oder der Cashflow-Optimierung. Die Unterstützung kann entweder in gezielter Beratung bestehen oder in Trainings für Betriebsinhaber und Manager dieser KMU.


Die interkontinentale Beschäftigungslücke schließen

Global gesehen gibt es große Unterschiede, was den Bedarf und das Angebot von Arbeitskräften betrifft. In alternden Gesellschaften fehlt es an jungen Leuten, um Arbeitsplätze zu besetzen, während andere Länder unter hoher Arbeitslosigkeit leiden. In Deutschland gibt es zum Beispiel einen großen Fachkräftemangel, unter anderem im Pflegebereich. Prognosen zufolge werden dort bis 2030 300 000 Arbeitnehmer fehlen.

In Südafrika hingegen gibt es viele arbeitslose oder unterbeschäftigte Pflegekräfte. Sie nach Deutschland zu holen nutzt beiden Gesellschaften. Herausforderungen liegen zum Beispiel in Einwanderungsbestimmungen, dem Erlernen einer Fremdsprache und interkultureller Kompetenz auf beiden Seiten.

Das Programm uNowanga des Schwesterordens der Johanniter, St. John, bildet junge, benachteiligte Menschen zu in Deutschland anerkannten Pflegefachkräften aus. Teilnehmer dieses Programms qualifizieren sich für eine vierjährige Ausbildung in Südafrika und Deutschland. Im ersten Jahr lernen sie Deutsch im Goethe-Institut und arbeiten in einem deutschen Altenheim in Südafrika, das von den Johannitern mitbetrieben wird. Wenn ihr Deutsch gut genug ist, machen die jungen Frauen und Männer eine Krankenpflege- oder Altenpflegelehre in Deutschland. Danach können sie entweder in Deutschland arbeiten oder ihre hinzugewonnene Kompetenz in Südafrika einbringen.


Bedarfsorientierte Ausbildungsprogramme

Trotz der immensen Jugendarbeitslosigkeit in Südafrika haben Unternehmen aus fast allen Branchen Schwierigkeiten, ihre Stellen zu besetzen. Vor allem gut ausgebildete Fachkräfte fehlen. Weder das staatliche noch das private Bildungswesen bildet bedarfsorientiert aus. Viele Firmen haben deshalb ihre eigenen Qualifizierungsprogramme. Dadurch steigen die Personalkosten, und Südafrikas Wettbewerbsfähigkeit mit anderen afrikanischen Ländern, in denen die Lohnkosten niedriger sind, nimmt weiter ab. Besonders schwierig ist die Lage in den Bereichen Technik und Digitalisierung.

Die Wurzel des Problems liegt in der fehlenden Verbindung zwischen Arbeitgebern, Bildungseinrichtungen und den Jugendlichen. Diese wissen den Wert einer Berufsausbildung nicht zu schätzen, kennen die Ausbildungseinrichtungen nicht und können nicht einschätzen, welche Berufe gute Aussichten bieten. Arbeitgeber arbeiten nicht genügend mit den Ausbildungseinrichtungen zusammen und bringen wenig Verständnis für die Herausforderungen mit, denen die Jugendlichen begegnen. Ausbilder wiederum haben Schwierigkeiten, Jugendliche zu rekrutieren, ihre Curricula an den Bedürfnissen der Arbeitgeber auszurichten und ihre Absolventen in den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Außerdem fehlt es ihnen oft an finanziellen Mitteln.

Die Lösung liegt in bedarfsorientierten Ausbildungsprogrammen, die alle drei Seiten zusammenbringen. Zunächst definieren die Arbeitgeber ihren Bedarf. Dann übermitteln sie genaue Vorgaben für die nachgefragte Berufsausbildung an die Bildungseinrichtungen und erarbeiten gemeinsam mit ihnen ein Curriculum, das sowohl Theorie als auch praktische Ausbildung im Betrieb enthält. Durch das „Training on the Job“ lernen sich Arbeitgeber und potenzielle Arbeitnehmer auch schon kennen, so dass sich ein Arbeitsverhältnis nach Abschluss der Ausbildung ergeben kann. Gemeinsam gehen Betriebe und Ausbildungseinrichtungen dann auf Jugendliche zu und bringen ihnen die Vorteile des Programms nahe, etwa, dass keine Gebühren anfallen und die Wahrscheinlichkeit groß ist, nach Abschluss einen Job zu finden.

Mit den genannten fünf Vorschlägen könnte die Zeitbombe Jugendarbeitslosigkeit entschärft werden. Es besteht also Hoffnung für Südafrikas Zukunft. Der Weg ist allerdings lang und steinig, ihn zu bewältigen bedarf großer Anstrengungen und Ausdauer.


Link
Ausbildungsprogramm uNowanga:
http://www.unowanga.com


Maximilian Matschke hat seine Promotion zum Thema Szenarien für Jugendarbeitslosigkeit in Südafrika im Jahr 2035 in Kollaboration mit den Universitäten Mainz, Witwatersrand (Johannesburg) und Cape Town (Kapstadt) verfasst und mehrere Organisationen zur Jugendförderung in Südafrika initiiert, darunter das im Text erwähnte Entrepreneurship Bootcamp und uNowanga-Programm.
m.matschke@gmail.com

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