Interkontinentales Netzwerk

Gelebte Globalisierung: Seit mehr als 20 Jahren bietet die Universität Dortmund gemeinsam mit Partnerhochschulen in Entwicklungsländern den Regionalplanungs-Studiengang SPRING an. Seine Praxisnähe macht ihn zum Erfolg.


[ Von Einhard Schmidt-Kallert ]

Die deutschen Universitäten sind in den beiden letzten Jahrzehnten internationaler geworden, und sie haben sich besser auf die Bedürfnisse von Studierenden aus Entwicklungsländern eingestellt. Früher orientierten sich die Curricula der meisten Fachbereiche in erster Linie am Bedarf des deutschen Arbeitsmarktes. Heute gibt es dagegen eine nur noch schwer zu überschauende Vielfalt von Aufbaustudiengängen – meist mit Englisch als Lehrsprache, welche die Lebenswirklichkeit armer Länder berücksichtigen.

Eines der ältesten Angebote dieser Art ist „SPRING“. Das Kürzel steht für den manchmal etwas euphemistisch anmutenden Titel „Spatial Planning for Regions in Growing Economies“. Es geht um ein Aufbaustudium für Regionalplaner aus Entwicklungsländern, das die Universität Dortmund seit mehr als 20 Jahren mit Partnerhochschulen in Afrika und seit anderthalb Jahrzehnten auch in Asien anbietet.

Das zweijährige Programm schließt mit einem M.Sc. in Regional Development Planning and Management ab und war viele Jahre lang einer der ganz wenigen Master-Studiengänge an deutschen Hochschulen. So fiel auch die Umstellung auf die Anforderungen des EU-weiten Bologna-Prozesses nicht schwer (Kreibich, 2005).

Nur das erste Studienjahr findet in Dortmund statt; das zweite Jahr verbringen die Teilnehmer an einer Partnerhochschule. Diese trägt die volle Verantwortung für ihren Teil am Studiengang und führt ihren Regularien entsprechend die Abschlussprüfung durch. Das erste Studienjahr in Deutschland ist eher theoretisch und methodisch ausgerichtet, das zweite Jahr ist stärker praxisorientiert.

Modellvorhaben

Die Kombination geht auf einen Vorschlag zurück, den afrikanische Kollegen der Dortmunder Fakultät Raumplanung vor mehr als zwei Jahrzehnten machten. Die Idee klang überzeugend. Deshalb bildete sich schnell eine Arbeitsgruppe, um das Curriculum zu entwickeln. Bald darauf wurde der neue Studiengang als Modellvorhaben der Bund-Länder-Kommission eingerichtet. Die GTZ unterstützte 14 Jahre lang den Aufbau der technischen Einrichtungen an den Partnerhochschulen.

SPRING sieht professionelle Raumplaner als Koordinierer und Katalysatoren, die Entscheidungsträgern und Zielgruppen vor Ort helfen, eigenverantwortlich zu planen. Wesentliches Element der Ausbildung ist, dass nicht nur gewählte Entscheidungsträger und Behördenvertreter and der Planung beteiligt werden sollten, sondern auch die lokale Bevölkerung.

Erste Partnerhochschule wurde 1985 die University of Science and Technology im ghanaischen Kumasi. Sie war ein geeigneter Partner, denn dieses Land gehörte zu den ersten in Afrika, die mit einer umfassenden staatlichen Dezentralisierung Ernst machten.

Von Mitte der 80er Jahre an wurden dort legislative und exekutive Funktionen auf Organe auf Distriktebene übertragen. Folglich wurden Regionalplaner unterhalb der nationalen Ebene, aber oberhalb der Gemeinden gebraucht. Dezentrale Entscheidungsträger muss­ten in die Lage versetzt werden, die spezifischen Potentiale ihrer Gegend zu erkennen, Leitbilder für die künftige Entwicklung zu schaffen und dabei sektorale und räumliche Prioritäten festzulegen.

Partnerinstitutionen sind heute neben der Universität Kumasi die School of Urban and Regional Planning der University of the Philippines in Manila, das University College of Lands and Architectural Studies in Dar es Salaam in Tansania sowie die Universidad Austral in Chile. Mittlerweile können ghanaische Studenten das erste SPRING-Jahr auch in Kumasi absolvieren.

Die Grundstruktur des ersten Studienjahres folgt in Dortmund von Anfang an den Phasen des idealtypischen Planungsprozesses: von der Situationsanalyse über Programmformulierung und Planung bis hin zur Implementierung, einschließlich Monitoring und Evaluierung. Auf dem Lehrplan stehen Themen wie Umweltplanung, Regionalökonomie, Verkehr und soziale Infrastruktur. Auch Entwicklungstheorien und -strategien werden behandelt.

Auch das zweite Jahr folgt grundsätzlich dem Planungszyklus, diesmal aber fokussiert auf das Beispiel einer konkreten Region. Die Studenten erarbeiten gemeinsam einen Distriktsentwicklungsplan oder ein regionales Strukturkonzept. Die Abschlussarbeiten werden dann anschließend über ein vertiefendes Thema verfasst.

Heute bewerben sich jährlich um die 200 Interessenten aus Afrika, Asien und Lateinamerika auf insgesamt 30 SPRING-Studienplätze. Voraussetzung sind neben guten Englischkenntnissen ein erster Universitätsabschluss in einer verwandten Disziplin wie Landwirtschaft, Architektur, Wirtschafts- oder Politikwissenschaft sowie mindestens zwei Jahre Berufserfahrung.

Bewerber kommen aus Behörden, regierungsunabhängigen Organisationen und der Wissenschaft, aber auch manche Freiberufler fühlen sich angesprochen. Die meisten erfolgreichen Bewerber finanzieren ihr Studium mit einem Stipendium des DAAD oder einer anderen Institution.

Spannend ist Jahr für Jahr der interkulturelle Austausch im ersten Studienjahr in Dortmund. Teilnehmer aus so unterschiedlichen Ländern wie China, Bhutan, Malawi, Sierra Leone, Kolumbien und vielen anderen Ländern raufen sich in wenigen Wochen zu arbeitsfähigen Gruppen zusammen. Zur gelebten Globalisierung gehört, dass im Demographieseminar Familienplanung, Sexualpraktiken und HIV/Aids zur Sprache kommen – aber auch Chinas Ein-Kind-Politik. Mit von der Partie sind Männer und Frauen, Muslime, Christen und Nicht-Gläubige aus unterschiedlichen Kulturkreisen. Schnell wird klar, dass es nicht nur um unterschiedliche staatliche Politiken, sondern auch um persönliche Lebensentwürfe geht.

Die besondere Atmosphäre und die intensive Gruppendynamik prägten viele Teilnehmer fürs Leben. Was Deutschland angeht, bleiben sie allerdings Zaungäste. Sie kennen und schätzen den schnellen öffentlichen Nahverkehr und finden sich mit Sonderangeboten zurecht; sie schließen aber nur selten mit Deutschen Freundschaft. Sechs Wochen Sprachkurs, ein paar Exkursionen und eine Lehrveranstaltung über das deutsche Planungssystem reichen nicht, um von der Bundesrepublik viel mitzubekommen.

Nach dem Jahr in Dortmund wartet auf die meisten Teilnehmer zum zweiten Mal das Wagnis, sich auf eine fremde Kultur vielleicht sogar auf einen fernen Kontinent einzulassen. Eine indonesische Absolventin schrieb beispielsweise ihre Abschlussarbeit in Kumasi über ethnische Konflikte in einem nordghanaischen Distrikt. Sie untersuchte die Auswirkungen und beschrieb, wie die Spannungen kritisch aufgearbeitet und vielleicht sogar gelöst werden könnten. Heute arbeitet sie in der indonesischen Krisenprovinz Aceh, in der erst seit dem Weih­nachts-Tsunami von 2004 Waffenstillstand herrscht.

Die Ergebnisse von Absolventenbefragungen zeigen, dass SPRING ein Erfolgsmodell ist. Fast alle Teilnehmer wenden das erworbene Wissen beruflich an. Arbeit finden sie in staatlichen Verwaltungen, bei internationalen Institutionen, zivilgesellschaftlichen Organisationen oder als Consultants. Fast alle Absolventen sind kehren in ihr Heimatland zurück. Einige hervorragend e Teilnehmer schließen später eine Promotion in Deutschland oder einem anderen europäischen Land an. Aber die langfristige Abwanderung gut ausgebildeter Universitätsabsolventen aus Afrika oder Asien in Industrieländer hat es bei SPRING nie gegeben. Der Studiengang ist klar auf die Planungsprobleme in Entwicklungsländern zugeschnitten.

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