Straßenkinder

Vom Müllsammler zum Koch

Straßenkinder in Kambodscha sind mit einer Reihe von Risiken konfrontiert, darunter Drogenkonsum und ausbeuterische Arbeit. Bedrohte Familien und Kinder brauchen mehr Unterstützung.
Mith Samlanh betreibt in Phnom Penh ein Restaurant, in dem ehemalige Straßenkinder als Köche oder Kellner arbeiten. Mak Remissa/picture-alliance/dpa Mith Samlanh betreibt in Phnom Penh ein Restaurant, in dem ehemalige Straßenkinder als Köche oder Kellner arbeiten.

Offiziellen Daten zufolge leben 5 188 Obdachlose in Kambodscha, davon 1 745 Frauen und 715 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. 280 davon sind Mädchen. Die tatsächlichen Zahlen sind aber wahrscheinlich deutlich höher.

Es gibt viele Gründe dafür, dass kambodschanische Kinder auf der Straße landen. Manche haben keine Eltern, andere werden von ihrer Familie verstoßen, und wieder andere leiden unter häuslicher Gewalt. Die meisten Straßenkinder stammen aus armen Verhältnissen, und Migration verstärkt oft die Probleme.

„Kindern, die auf der Straße leben, drohen Gewalt, sexueller Missbrauch, Menschenhandel und gefährliche Arbeit“, sagt Bunly Meas, Sprecher von UNICEF in Kambodscha. „Sie sind außerdem Drogen, ungeschütztem Sex und Bandenkriminalität ausgesetzt.“ Das UN-Kinderhilfswerk arbeitet mit verschiedenen NGOs zusammen, um obdachlosen Kindern in Kambodscha zu helfen.

Mith Samlanh – was übersetzt „Freunde“ heißt – ist eine der Partnerorganisationen. Sie wurde 1994 gegründet und arbeitet mit marginalisierten Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien und erweitertem Umfeld zusammen. Pin Sokhom, Programmkoordinator bei Mith Samlanh, betont, dass nicht alle Straßenkinder obdachlos sind (siehe Kasten, S. 22): „Manche Eltern benutzen ihre Kinder zum Betteln oder um Dinge zu verkaufen. Auch manche Menschen, die nicht die Eltern sind, beuten Kinder aus, um Geld auf der Straße zu machen.“ Mith Samlanh versucht Erziehungsberechtigte dazu zu bewegen, verantwortlich zu handeln und Kinder nicht zu missbrauchen.


Neues Leben nach Drogenentzug

Straßenkinder, die keine andere Möglichkeit haben, können vorübergehend in einem der vier Zentren unterkommen, die Mith Samlanh in Kambodscha betreibt. Der 23-jährige Kek lernt in einem dieser Zentren, zu dem auch ein Ausbildungsprogramm gehört, kochen. Ehemalige Straßenkinder sollen dort einen Beruf erlernen, damit sie später auf eigenen Beinen stehen können.

Kek lebte früher auf der Straße. Er arbeitete als Müllsammler, schnüffelte Klebstoff und nahm Drogen. Er sagt, er sei mit acht Jahren auf der Straße gelandet, nachdem seine Mutter gestorben sei und den Vater mit sechs Kindern zurückgelassen habe. Doch der Vater, der eine Behinderung habe, habe nicht arbeiten und für die Familie sorgen können.

„Ich habe um Essen und Wasser gebettelt“, erzählt Kek. „Und ich habe Geld geklaut, um Klebstoff zum Schnüffeln zu kaufen.“ Nach vielen Jahren auf der Straße kam er in einer Einrichtung für Kinder unter, hörte das Klebstoff-Schnüffeln auf und erhielt Unterricht. Er lebte dort ein Jahr lang, doch dann wurde die Einrichtung leider geschlossen, sagt Kek. Er landete wieder auf der Straße und fing auch wieder an, Klebstoff zu schnüffeln.

Später kam Kek zu Mith Samlanh und lernte dort nähen. Nach nur vier Monaten bei der NGO stellte eine Bekleidungsfabrik in Phnom Penh ihn ein. Der Job brachte ihm Geld ein, und er fand neue Freunde. Doch irgendwann wurde Kek drogenabhängig und verlor die Stelle.

Im vergangenen Jahr kehrte er zu Mith Samlanh zurück und machte einen dreimonatigen Drogenentzug. „Jetzt habe ich ein neues Leben“, sagt Kek. Zusätzlich zu seiner Ausbildung als Koch, die er nächstes Jahr abschließt, lernt er Englisch und den Umgang mit dem Computer.

Laut Mith-Samlanh-Koordinator Pin Sokhom gehört Drogenkonsum zu den Hauptproblemen von Straßenkindern in Phnom Penh. Er fügt hinzu, dass einige der Kinder mit dem Leben in der Einrichtung nicht zurechtkämen. „Sie brauchen Freiheit, und in unserem Zentrum haben wir Regeln, was sie machen sollen und was sie nicht tun dürfen“, erklärt er. „Daher verlassen einige Kinder die Einrichtung wieder.“


Eine Zukunft aufbauen

Seit Juni 2014 bemüht sich die Stadtverwaltung von Phnom Penh darum, die Straßen der Hauptstadt von Bettlern, Straßenkindern und Obdachlosen zu befreien. Die kambodschanische Regierung hat außerdem einen Aktionsplan für die Jahre 2017 bis 2021 verabschiedet, um Gewalt gegen Kinder vorzubeugen und zu begegnen. Die Erfahrungen zeigen, dass Straßenkinder besonders von Gewalt bedroht sind.

NGOs spielen eine wichtige Rolle bei der Arbeit mit Straßenkindern. Laut seinem Jahresbericht hat Mith Samlanh 2016 mit mehr als 9 300 Kindern und 5 100 Erziehungsberechtigen zusammengearbeitet. Die Kinder erhielten Aufklärung, Bildung und Arbeitsmöglichkeiten. Pin Sokhom erklärt, dass die Kinder erst einen sicheren Ort brauchen, bevor sie eine Zukunft aufbauen können. Außer kochen und nähen können sie bei Mith Samlanh auch Tätigkeiten in den Bereichen Elektrik, Maschinenbau, Friseurhandwerk, Kosmetik oder Metallverarbeitung erlernen. Kleinere Kinder werden in staatliche Schulen integriert, nachdem die Mith-Samlanh-eigene Schule die nötigen Grundlagen vermittelt hat.

Die Arbeit mit den Eltern hat vor allem das Ziel, sie zu befähigen, etwas Geld zu verdienen. Wer genug Einkommen hat, muss seine Kinder nicht auf die Straße schicken, um zu betteln oder Kleinigkeiten zu verkaufen.

UNICEF finanziert das Straßenkinder-Programm von Mith Samlanh im Rahmen seines Partnership Programme for the Protection of Children (3PC). Daran sind die Regierung, UNICEF und NGOs beteiligt. 3PC erreicht jedes Jahr rund 8 000 gefährdete Kinder, unter anderen Straßenkinder. Sie erhalten eine medizinische Versorgung, lernen lesen und schreiben, werden psychologisch betreut und fit fürs Leben gemacht. Informationen über Drogenmissbrauch und sexuelle Gesundheit spielen ebenfalls eine große Rolle.

Bunly Meas von UNICEF sagt: „Unser Programm bietet unmittelbare und langfristige Hilfe für Kinder, die von Gewalt bedroht oder betroffen sind.“ Oft könnten Kinder nicht bei ihren Familien leben. „Die Angebote umfassen grundlegende Dinge wie Essen und ein Dach über dem Kopf, medizinische Versorgung und Ausbildung, aber auch den Umgang mit den Folgen von Drogen- und Alkoholmissbrauch.“ Familien würden zusammengeführt, und bei Bedarf würden alternative Unterbringungen gesucht.

Bunly Meas spricht sich für mehr Investitionen in soziale Dienste aus, um bedrohte Familien und Kinder besser unterstützen zu können. „Die Straße ist wirklich kein Ort für Kinder“, sagt er. „Sie dort wegzuholen und in Institutionen zu stecken ist allerdings auch keine Lösung.“ Nur unter extremen Umständen sollten Kinder von ihren Eltern getrennt werden. Denn die Familie – oder eine andere Unterbringung im gewohnten Umfeld – biete in der Regel die besten Lösungen für die Kinder.


Sun Narin ist ein kambodschanischer Journalist und lebt in Phnom Penh.
snnarin@gmail.com


Links

Mith Samlanh:
http://www.mithsamlanh.org

Partnership Programme for the Protection of Children:
http://3pc-cambodia.org
 

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