Unruhen

Wurzeln der Gewalt

Meist heißt es, der Grund für politische Unruhen in Kenia seien ethnische Spannungen. Übersehen wird dabei die Bedeutung von Streit über Land. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass ethnische Spannungen und Landkonflikte zusammenhängen.
Farmland im Rift Valley. Gilling/Lineair Farmland im Rift Valley.

Lange vor Kenias Unabhängigkeit begannen Teile der Elite, sich Grundstücke für ihren persönlichen Nutzen anzueignen. Dabei war es nützlich, dass den Regeln der britischen Kolonialmacht zufolge der Gouverneur im Auftrag der Krone das gesamte Land treuhänderisch verwaltete. Indigene Kenianer wurden massenhaft enteignet und mussten fortan als Tagelöhner auf Feldern rackern, die ihnen zuvor selbst gehört hatten. 

Kenias Rechts- und Versöhnungskommission (Truth Justice and Reconciliation Commission – TJRC), die zur Aufarbeitung der gewalttätigen Wahlunruhen von 2007/08 einberufen wurde, hat bestätigt, dass die Landkonflikte, die das Land seit Langem plagen, so begannen. Sie waren schon bei Wahlkrawallen in den Jahren 1992 und 1997 die Ursache.

Die Unruhen von 2007/08 machten weltweit Schlagzeilen. Rund 1500 Menschen starben und rund 650 000 wurden vertrieben. Viele sind weiterhin Binnenflüchtlinge (siehe Kasten). Was bei den diesjährigen Wahlen geschehen wird, war Anfang Juni, als dieser Beitrag fertiggestellt wurde, nicht abzusehen.

Leider endete mit der Kolonialherrschaft 1963 nicht auch die Praxis des staatlich unterstützten Landraubes. Kenia ist eine Nation mit hoher kultureller Vielfalt. In den meisten Regionen dominiert jeweils eine ethnische Gruppierung, die mit einigem Grund findet, das Land gehöre historisch ihr. Die angestammte Bevölkerung hält alle, die andere Sprachen sprechen und andere Traditionen haben, für „Fremde“ oder gar „Eindringlinge“. Früher lösten die Anführer der verschiedenen Gemeinschaften Streitigkeiten über Land dennoch oft friedlich in Verhandlungen. Im Lauf der Jahrzehnte ist das aber immer schwieriger geworden, wozu das  Bevölkerungswachstum und die Auswirkungen des Klimawandels beigetragen haben. 

Auch die wachsende Bedeutung der Geldwirtschaft ist relevant. Als die Menschen vor allem Subsistenzlandwirtschaft betrieben, fielen Kompromisse leichter. Der Geldwert aber macht Grund und Boden zum Spekulationsobjekt – und wenn irgendwo Öl, Gas oder andere unterirdische Ressourcen gefunden werden, stimuliert das die Gier besonders.  

Die Infrastruktur wurde meist so angelegt, dass sie den mächtigsten Gruppen dient. Das verschärft die Unzufriedenheit. Seit der Kolonialzeit ist zudem auch das Rechtssystem Kenias auf den Schutz einflussreicher Gruppen ausgerichtet, so dass das heutige formale Recht nur bedingt hilfreich ist. Oft widerspricht es dem örtlichen Gerechtigkeitsempfinden. Dass Rechtsanwälte und andere akademisch gebildete Menschen immer wichtiger werden, geht zu Lasten des Einflusses der traditionellen Anführer. Zivilgesellschaftliche Organisationen unterstützten zwar örtliche Gemeinschaften, aber sie sind oft überfordert und können nichts dagegen tun, dass die Landkonflikte immer komplexer werden und längst über Ortsgrenzen hinaus greifen, was lokale Kompromisse ebenfalls erschwert.

Einige abgelegene Countys in Kenia hatten schon immer ein ungünstiges Klima. Von der Kolonialzeit bis heute vernachlässigte der Staat diese Regionen. Sie sind dünn besiedelt und es mangelt an grundlegender Infrastruktur. Die dort heimische Ethnie betrachtet das Land aber stolz als ihr eigenes.  

Wenn Öl gefunden wird, ändert das alles. In Turkana County haben sich Grundstückswerte beispielsweise vervielfacht. Große Flächen gehören nun Privatunternehmen und Individuen, die auf Ölförderung hoffen. Die örtliche Bevölkerung, die seit Generationen hier in Isolation lebte, bleibt aber weitgehend ausgeschlossen. Aus ihrer Sicht sind die Zugereisten nicht nur Eindringlinge, die Traditionen bedrohen, sondern brutale Ressourcenräuber.

Kenianische Regierungen haben verschiedene Anläufe gemacht, um historische Landkonflikte aufzuarbeiten. Mehrere Kommissionen wurden eingerichtet:

  • 1999 die Commission of Inquiry into the Land Law System in Kenya (nach dem Vorsitzenden „Njonjo Commission“ genannt),
  • 2003 die Commission of Inquiry into The Illegal/Irregular Allocation of Public Land („Ndungu Commission“),
  • später die oben erwähnte TJRC und zuletzt
  • 2012 die National Land Commission.

Der Bericht der Ndungu Commission erschien 2004 und hielt fest, illegale und irreguläre Zuteilung von Land sei ein wichtiger Faktor in der massiven Korruption des Staatswesens, was sowohl für nationale wie örtliche Behörden gelte. Sowohl Individuen als auch Unternehmen eigneten sich auf nicht legitime Weise Land an. All diese Probleme wurden nie gelöst.  

Die Medien konzentrieren sich bei Konflikten auf die ethnische Dimension und äußern sich kaum zu den zugrundeliegenden Landfragen. Vielleicht liegt es daran, dass sie oftmals überwältigend groß erscheinen. Allerdings kommt der Staat mit den ethnischen Spannungen meist auch nicht zurecht. In Wahlkämpfen wird Unzufriedenheit artikuliert – und wer sich über Landkonflikte ärgert, argumentiert oft mit ethnischer Zugehörigkeit.  


Wahlunruhen

Gewalt erschütterte Kenia im Kontext der Wahlen von 1992, als die Mehrparteiendemokratie eingeführt wurde, und dann wieder 1997 und 2007. Bezeichnenderweise gerieten oft „örtliche Gemeinschaften“ mit „Einwanderern“ aneinander – und zwar besonders im fruchtbaren Rift Valley.

Manchmal heißt es, die Landkonflikte seien nicht Ursache der Gewalt, denn es habe 2002 und 2013 keine Krawalle gegeben, als Politiker ethnische Zugehörigkeit nicht wie 1992 und 1997 betonten. Die Schwachstelle dieses Arguments ist, dass es nicht benennt, warum ethnische Propaganda sich so verheerend auswirken kann. Tatsächlich sind ethnische Konflikte und Landkonflikte schon seit Langem eng miteinander verknüpft.

Das Rift Valley und die Küste am Indischen Ozean sind die Epizentren der Spannungen zwischen den Kikuyu und örtlichen Ethnien. Die Kikuyu sind Kenias größte Volksgruppe. Zu ihnen gehört fast ein Viertel der Bevölkerung. Jomo Kenyatta, der erste Präsident und Vater des heutigen Staatschefs Uhuru Kenyatta, teilte seinen Unterstützern gern fruchtbares Land zu. Zumeist waren sie wie er selbst Kikuyu. Für die örtlichen Gemeinschaften blieben sie und ihre Nachkommen Außenseiter. 

Nicht nur Wahlunruhen haben mit Landkonflikten zu tun. In gewissem Maß gilt das auch für Terrorismus. Im Juni 2014 griff die somalische Islamistenmiliz Al-Shabaab  die Stadt Mpeketoni in Lamu County an der Küste an. Mehr als 60 Menschen starben. Präsident Uhuru Kenyatta sprach daraufhin von „sorgfältig geplanter, koordinierter und politisch motivierter ethnischer Gewalt gegen eine kenianische Gemeinschaft“. Kenianern war klar, dass er die Kikuyu meinte. Ihm zufolge war das Ziel ethnische Säuberung. 

Islamistischer Terrorismus ist ein vielschichtiges Problem, das auf verschiedene Weise erklärt wird. Landbesitz ist sicherlich relevant. Nach der Machtübernahme von den Briten siedelte Jomo Kenyatta in der Gegend von Mpeketoni Kikuyu an. Örtliche Gemeinschaften von Somali und Oromo betrachten das Land aber als das Land ihrer Vorfahren. 

Eine bessere Zukunft ist möglich. 2012 schuf der Gesetzgeber die National Land Commission. Diese unabhängige Institution soll Ermittlungen aufnehmen, um aktuelle und historische Landkonflikte aufzuarbeiten und praktikable Lösungen vorzuschlagen. Sie kann auf Eigeninitiative sowie auf Beschwerden hin aktiv werden.  

Vom Erfolg dieser Kommission hängt langfristig Kenias innerer Frieden ab. Es ist noch zu früh, um ihre Leistung zu beurteilen. Es beunruhigt aber, dass sie mit all den Problemen ringt, die frühere Kommissionen hatten: Sie braucht mehr Geld, ihr Mandat ist nicht völlig klar, und sie dürfte auf Widerstand im Landministerium stoßen.


Paul Kawegah arbeitet für die GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) im Kontext des Zivilen Friedensdiensts (ZFD). Der GIZ-ZFD kooperiert mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und örtlichen Gemeinschaften in Kenia.
paul.kawegah@giz.de

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