Koranschulen

Mehr als die Heilige Schrift

Muslimische Eltern im Libanon, die Wert auf religiöse Erziehung legen, schicken ihre Kinder zum Koranunterricht in private Vereine oder in Moscheen. An staatlichen Schulen kommt er nur am Rande vor.
Muslime im Libanon: Wer Wert auf religiöse Erziehung legt, schickt seine Kinder in Koranschulen. AA/picture-alliance Muslime im Libanon: Wer Wert auf religiöse Erziehung legt, schickt seine Kinder in Koranschulen.

Auswendig rezitiert Danya mit melodischer Stimme einige Verse aus dem Koran. Die 15-Jährige sitzt mit einem weiteren gleichaltrigen Mädchen in einem kleinen, hellen Klassenraum. Hier erhalten sie jeden Samstag Koranunterricht. Danya mag den Unterricht. Sie ist ehrgeizig und hat das Ziel, das gesamte heilige Buch auswendig zu können. Aber auch der Inhalt interessiert sie. Das Mädchen möchte gerne erfahren, welche Gebote in dem Buch stehen.

„Ibad Al-Rahman“ (Diener des Barmherzigen) ist ein islamischer Verein in Beirut, der Kinder und Jugendliche ermutigen will, den Koran zu verstehen, zu rezitieren und auswendig zu lernen. Ahmad Houri ist Generalsekretär des Vereins. Er betont, dass sowohl das Herz als auch der Verstand angesprochen werden sollen.

Die 28-jährige Lehrerin Khadija Ajjawi war früher selbst hier Schülerin. Sie erklärt, dass zwar der Koran im Mittelpunkt des Unterrichts stehe, aber auch andere Themen behandelt würden, die für die Jugendlichen relevant sind, etwa der Umgang mit sozialen Netzwerken. Der Verein bietet auch sportliche Aktivitäten für alle Altersstufen. Politik dagegen ist bei „Ibad Al-Rahman“ tabu. Der Unterricht ist kostenlos. 130 Schülerinnen besuchen den Verein, der in einem belebten Einkaufsviertel im Westen Beiruts liegt.


In der Schule Nebensache

Muslimische Eltern im Libanon, die Wert auf religiöse Erziehung legen, schicken ihre Kinder zu privaten religiösen Vereinen wie „Ibad Al-Rahman“ oder in Moscheen, die Koranunterricht anbieten. Religionsunterricht gehört an staatlichen Schulen nicht zu den Kernfächern. Muhiyieddin Bayoun, verantwortlich für den sunnitischen Religionsunterricht beim Amt für religiöse Stiftungen in Beirut, erklärt, dass Religionsunterricht den gleichen Stellenwert wie Sport und Kunst habe. Er findet einmal in der Woche statt und behandelt den Islam nur ganz allgemein. Zeit, den Koran auswendig zu lernen oder alle für die Rezitation notwendigen Regeln zu kennen, bleibe da nicht.

Die libanesische Verfassung garantiert Religionsfreiheit. Der Staat sichert den im Land anerkannten Konfessionen die Ausübung ihrer Riten zu und stellt sie unter seinen Schutz. Er hat ihnen die Abhaltung von Religionsunterricht an staatlichen Schulen in den Gebieten übertragen, in denen sie die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen. Die Verfassung erlaubt den Religionsgemeinschaften zudem, konfessionelle Privatschulen zu betreiben.


Unterricht für Flüchtlinge

Ungefähr die Hälfte der Schülerinnen bei „Ibad Al-Rahman“ in Beirut sind Syrerinnen. Sie besuchen die gleichen Koranklassen wie ihre libanesischen Mitschülerinnen.

Seit Beginn der Flüchtlingskrise im Libanon engagieren sich auch islamische Vereine bei der Versorgung von Syrern. Es geht in erster Linie um humanitäre Hilfe, aber auch um informelle Bildung für syrische Kinder. Auf dem Programm stehen Mathematik, Arabisch und Koranunterricht. Finanziert werden die Bildungsangebote über Zakat, die islamische Almosensteuer, und über Spenden aus den Golfländern. Aber es gibt Befürchtungen, dass radikale islamistische Gruppierungen über den Religionsunterricht eine ideologisierte Form des Islams unter Syrern im Libanon verbreiten, wie Sarah Hasselbarth in ihrer 2014 erschienenen Studie „Islamic Charity“ schreibt (siehe hierzu auch den Beitrag von Martina Sabra).

Bayoun sieht die Lösung in einem größeren Engagement seiner Institution für die Syrer im Land. Er schlägt eine Zusammenarbeit zwischen dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR und den Moscheegemeinden in den Gebieten vor, in denen sich die meisten Flüchtlinge aufhalten. Die Moscheen könnten in ihren Räumen drei bis vier Stunden täglich die wichtigsten Fächer unterrichten und zusätzlich syrische Lehrer anstellen: „Auf diese Weise würden wir sicher 100 000 Kindern helfen und sie von der Straße holen. Wir könnten Arabisch, Englisch, Mathematik und islamischen Religionsunterricht anbieten.“ Bayoun fordert vom sunnitischen Amt für religiöse Stiftungen, die Initiative zu ergreifen – es habe die moralische Verantwortung für seine sunnitischen Glaubensbrüder und -schwestern.


Wahhabitische Lehre in Tunesien

In Tunesien sorgen islamische Vereine und die von ihnen betriebenen Koranschulen seit 2011 für hitzige Diskussionen. Nach dem Sturz von Präsident Ben Ali und der politischen Öffnung des Landes gibt es einen Gründungsboom von Vereinen, auch von islamischen. Deren Ziele sind vielfältig. Sie dienen als verlängerter Arm von Parteien, übernehmen karitative Aufgaben oder versuchen, ihre Auslegung des Islams zu verbreiten. Koranschulen sind ein probates Mittel dazu.

Für viel Aufsehen sorgte der Bericht der tunesischen Journalistin Hanan Zbeis über Kindergärten, die von diversen islamischen Vereinen betrieben werden. Die Einrichtungen für Kinder im Vorschulalter, die Zbeis untersucht hat, bringen den Kindern nicht nur das ABC und den Koran nahe, sondern erziehen sie in der strengen wahhabitischen Form des Islams. Zbeis befragte auch Eltern, die ihre Kinder in diese Koranschulen schicken. Einige von ihnen waren nichtpraktizierende Muslime, sondern hatten sich für Koranschulen entschieden, weil sie „Vertrauen in die frommen Erzieherinnen“ hätten und weil „diese Kindergärten billiger als andere“ seien.


Mona Naggar ist Journalistin und Medien­trainerin. Sie lebt in Beirut.
mona.naggar@googlemail.com

Literatur:
Mokbel, R., 2015: Al-Azhar rethinks primary school teaching to encourage moderation. In Al-Monitor, 14. Juli 2015.
http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2015/07/egypt-azhar-quran-school-katateeb-update-modernize-curricula.html#ixzz3q33GuM4H

Links:
Hasselbarth, S., 2014: Islamic Charities in the Syrian Context in Jordan and Lebanon. FES.
http://library.fes.de/pdf-files/bueros/beirut/10620.pdf
Islamische Kindergärten in Tunesien (auf Arabisch):
http://arij.net/report/%D8%B1%D9%8A%D8%A7%D8%B6-%D8%A7%D9%84%D8%A3%D8%B7%D9%81%D8%A7%D9%84-%D8%A7%D9%84%D9%82%D8%B1%D8%A2%D9%86%D9%8A%D8%A9-%D9%81%D9%8A-%D8%AA%D9%88%D9%86%D8%B3-%D9%85%D8%AE%D8%AA%D8%A8%D8%B1-%D9%84%D8%AA/

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