Verbotene Geschäfte

Kriminelle Mädchen

Über die Geschlechterrollen in organisierten Banden ist wenig bekannt. Junge Frauen und Mädchen sind häufig Täterinnen und Opfer zugleich. Das zeigt eine Vergleichsstudie zwischen Bangladesch und China.
Jugendliche Sexarbeiterinnen in Tangail, Bangladesch. Shehzad Noorani/Lineair Jugendliche Sexarbeiterinnen in Tangail, Bangladesch.

Bangladesch und China sind auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Länder. Nach Weltbank-Kriterien hat China eine sehr große wohlhabende Mittelschicht. Bangladesch ist dagegen nach UN-Angaben das größte am wenigsten entwickelteste Land weltweit. Chinas Kultur ist durch den Konfuzianismus geprägt, Bangladesch ist ein mehrheitlich muslimisches Land. Während der Kolonialzeit war Bangladesch ein Teil von Britisch-Indien. China war immer unabhängig, obwohl imperiale Mächte das Land im 19. und 20. Jahrhundert ausbeuteten.

Aber es gibt auch Ähnlichkeiten. In den 1970er Jahren durchliefen beide Länder einen großen Wandel. Nach einem blutigen Befreiungskrieg erklärte sich Bangladesch 1971 unabhängig von Pakistan. 1976 endete in China das restriktive Regime von Mao Zedong und seine Kulturrevolution. Aktuell ist in beiden Ländern organisiertes Verbrechen weit verbreitet.

In Bangladesch führen sogenannte Mastaans kriminelle Klans an. Diese Gruppen agieren nicht selten in Absprache mit staatlichen Behörden. Sie bieten Straßenkindern und Jugendlichen aus den Slums der Hauptstadt Dhaka Schutz. Auch in China arbeiten kriminelle Gangs mit korrupten Politikern und Polizisten zusammen und sichern ihren Mitgliedern halbkriminelle Existenzen.

In beiden Ländern gibt es besonders viele arme Kinder. Millionen von ihnen leben auf der Straße oder in Slums. Straßenkinder zählen zu den größten sozialen Problemen sowohl in China als auch in Bangladesch. In China sind es meist Kinder, die auf der Suche nach Arbeit vom Land in die Stadt ziehen, wo sie dann keine Chance bekommen, sich formal zu registrieren. Viele von ihnen landen in Gangs.

Es ist wichtig, die Geschlechterrollen in kriminellen Banden zu analysieren. Unsere Forschung konzentrierte sich auf Dhaka und verschiedene Orte auf dem chinesischen Festland. In beiden Ländern sind die Strukturen ähnlich. Üblicherweise bestehen die Gangs aus Männern, ihre Bosse sind männlich. Wir konnten nur eine weibliche Anführerin identifizieren, die Ehefrau eines Mastaans, die die Geschäfte ihres Mannes übernommen hatte.

In Bangladesch sind es Jungen und junge Männer, die sich in den unteren Rängen krimineller Gruppen verdingen. Sie erledigen die Aufgaben, zum Beispiel Gewaltverbrechen auf der Straße, die ich als „illegale Arbeit“ bezeichne. Sie scheuen diese gefährliche „Arbeit“ nicht, weil sie keine andere Alternative für sich sehen (siehe meinen Beitrag im E+Z/D+C e-Paper 2018/04, Schwerpunkt).

Mädchen in kriminellen Gangs müssen mit aller Wahrscheinlichkeit als Zwangsprostituierte arbeiten. Mit ihrer Arbeit unterstützen sie die Jungen und Männer der Banden und die breiteren Aktivitäten der Gangs.

Ein chinesischer Sozialarbeiter beschrieb die Situation von Straßenkindern in Südchina so: „Sie sind aufgrund ihrer geringen Bildung viel anfälliger dafür, kriminell zu werden.“ Viele Mädchen arbeiteten als Prostituierte, nachdem sie die Schule abgebrochen haben. Es sei nicht ungewöhnlich, dass auch ihre Mütter in der Sexbranche arbeiten. Der Sozialarbeiter berichtete auch, dass sich Teenager oft gemeinsam eine günstige Unterkunft mieteten. „Die Mädchen gehen anschaffen, und die Jungen klauen und arbeiten für ältere Bosse.“ Ähnliche Muster kann man auch in Bangladesch beobachten.


Die Polizei täuschen

Gangs in Bangladesch setzen Mädchen allerdings auch anders ein. In den Mastaan-Klans nehmen Frauen und Mädchen zunehmend wichtigere Rollen ein, weil sie den Behörden weniger verdächtig erscheinen. Ein junger Informant berichtete uns, die Mastaans wüssten genau, dass die Polizei Jungen viel häufiger kontrolliere als Mädchen. Deshalb drängten sie die Mädchen dazu, Drogen zu verkaufen, zu klauen oder andere Gangs auszuspionieren.

Ein anderer Informant erklärte, warum: „Wenn die Polizei ein Mädchen mit Drogen erwischt, ist ihre Chance viel höher, laufengelassen zu werden.“ Sie versuche dann die Polizisten davon zu überzeugen, dass sie ein braves Mädchen sei. „Selbst wenn die Polizei ihr nicht glaubt, wird ihr auf der Polizeistation eher ein Anwalt zur Verfügung gestellt als einem Jungen.“ Daraus lässt sich schließen, dass Mädchen seltener strafrechtlich verfolgt werden, und es offenbart zugleich die vorherrschenden Geschlechter-Klischees in Bangladesch.

Häufig geht es beim Dealen um die Droge Yaba, eine Mischung aus Methamphetamin und Koffein. In Bangladesch ist sie verboten, aber sehr beliebt. Bandenmitglieder berichten, dass kriminelle Gruppen zunehmend weibliche Drogendealer rekrutierten, um so strafrechtliche Verfolgung zu vermeiden. Das wirft die interessante Frage auf, ob die heutigen Dealerinnen die künftigen Drogenbaroninnen der Straße werden?


Weibliche Menschenhändler

Frauen spielen auch beim Menschenhandel und bei Entführungen eine wichtige Rolle. „Üblicherweise entführt eine ältere Frau ein junges Mädchen, um es im In- oder Ausland weiterzuverkaufen“, sagte ein Gangmitglied in Bangladesch. Für Frauen sei es leichter, das Vertrauen eines Mädchens zu gewinnen, als für Männer. Viel zu oft werden junge Frauen zur Zwangsarbeit oder Prostitution gezwungen.

Wissenschaftler in China kommen zu ähnlichen Erkenntnissen. Junge Frauen mit Migrationshintergrund sind häufig Ziel der Menschenhändler. Sie werden in die Sexbranche oder in schlecht bezahlte Jobs gezwungen, etwa in Schönheitssalons oder Karaoke-Bars. „Ältere Frauen drängen die Mädchen in die Prostitution“, sagte ein Sozialarbeiter. Frauen sind also gleichzeitig Täterinnen und Opfer bei geschlechtsspezifischen Verbrechen.

Grundsätzlich sind organisierte kriminelle Banden noch zu wenig erforscht. Mafiastrukturen sind zwangsläufig intransparent und deshalb schwierig zu verstehen. Vergleichsstudien können hier wichtige Erkenntnisse liefern. Das zeigen die Ähnlichkeiten der Gangs in den zwei scheinbar sehr verschiedenen Ländern China und Bangladesch. Die Rolle von Männern und Frauen in kriminellen Gruppen sollte weiter untersuchen werden, wie auch die Gründe, die junge Menschen in die niederen Ränge der Banden treiben, sei es als Opfer oder als Täterinnen und Täter.

Genauso wichtig ist es, die betroffenen Kinder und Jugendlichen direkt zu befragen. Ihre Berichte können uns dabei helfen, ihre Rolle in organisierten Verbrechen besser zu verstehen. Erkenntnisse über die Geschlechterrollen sind wichtig, um die Gewalttaten der Gangs und ihre Ausbeutung von Kindern effektiver zu bekämpfen. Man darf hier nicht vergessen: Junge Täterinnen und Täter, die sich schwerer Verbrechen schuldig machen, sind auch Opfer.


Sally Atkinson-Sheppard ist Kriminologin und internationale Beraterin. Sie hat Feldforschungen in Bangladesch und Festlandchina betrieben und mit ihrer Arbeit über die Beteiligung von Kindern an organisierten Verbrechen in Dhaka ihren Doktortitel am King’s College in London erworben.
sallyatkinsonsheppard@gmail.com


Literatur

Atkinson-Sheppard, S., and Hayward, H., 2018: Conceptual similarities; distinct difference: Exploring ‘the gang’ in Mainland China. In: British Journal of Criminology. doi:10.1093/bjc/azy051.

Atkinson-Sheppard, S., 2017: Street children and ‘protective agency’: exploring young people’s involvement in organised crime in Dhaka, Bangladesh. In: Childhood. Volume 24 (3):1-14.
 

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