Ländliche Entwicklung

Agrarische Kompetenz

Die kleinbäuerliche Landwirtschaft kann eine Rolle in der Ernährungssicherung spielen. Dazu müssen Kleinbauern aber anders als bisher gefördert werden – und lernen, sich selbst als Unternehmer zu verstehen.


Von Jürgen Fechter

Etwa 500 Millionen Kleinbauern gibt es weltweit, schätzen die Autoren des Weltagrarberichtes (International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development, IAASTD). Die meisten leben in den ärmsten Ländern. Das Potenzial, das die kleinbäuerliche Landwirtschaft für Ernährungssicherung, Klimaschutz und Armutsbekämpfung bietet, ist schon aufgrund dieser Zahl nicht zu unterschätzen.

Nicht die Ärmsten der Armen

Mehr als die Hälfte der Menschen, die in extremer Armut leben, und zwei Drittel aller unterernährten Kinder leben im ländlichen Raum. Sie werden meist zu den Kleinbauern gezählt. Diese Menschen haben jedoch in der Regel weder Zugang zu Land noch alternative Einkommensquellen. Strategien zur Förderung von Kleinbauern setzen aber typischerweise einen Mindestzugang zu Land voraus. Sie richten sich also nicht direkt an die Ärmsten der Armen auf dem Land.

Als Kleinbauern im engeren Sinne gelten Familien, die mit landwirtschaftlichen Produkten einen erheblichen Teil des Familieneinkommens abdecken können. Die Untergrenze für die Größe eines Betriebes, von dem eine Familie gerade noch leben kann, liegt bei einem Hektar bewässerbarem Land oder zwei bis drei Hektar Land, das im Regenfeldbau bewirtschaftet wird. Kommt dann noch ein Zusatzeinkommen einzelner Familienmitglieder außerhalb der Landwirtschaft hinzu und treten keine extremen Situationen auf, kommt die Familie zurecht. Größere Katastrophen wie mehrjährige Dürren oder mehrmalige Überschwemmung der Felder in wenigen Jahren wird sie aber kaum bewältigen können.

Die Förderung dieser Kleinbauern kann nicht nur deren eigene Situation verbessern. Sie wirkt auch Hunger generell entgegen. Um das kleinbäuerliche Potenzial voll auszuschöpfen, muss die Landwirtschaft jedoch anders als bisher gefördert werden. Nötig ist fraglos ein gesicherter Zugang zu Land. Nationale und internationale Agrarpolitiken müssen geändert werden, weil sie an Kleinbauern mit niedrigen Erträgen praktisch vorbeigehen. Auch Agrarforschung und -beratung spielen eine Rolle.

Die weltweit steigende Nachfrage nach Agrarprodukten lässt die Preise für Nahrungsmittel anziehen. Dadurch bieten sich neue Chancen für den ländlichen Raum – gerade in agrarisch geprägten Volkswirtschaften. Viel kann erreicht werden, indem in die örtliche Infrastruktur und andere Rahmenbedingungen investiert wird. Der Bau von Straßen und Bewässerungsanlagen, aber auch bessere Gesundheitsversorgung ­tragen zum Erfolg der Bauern bei. Auch angepasste Finanzierungshilfen sowie stimmige Beratung für Landwirte sind nötig – und wurden von Regierungen in Geber- und Empfängerländern sowie von IFAD, Weltbank, G8 und G20 bereits angekündigt.

Der wichtigste Aspekt gerät jedoch oft in den Hintergrund: Die Hauptakteure, nämlich die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen selbst, müssen verstehen, worum es geht. Wollen und können diese Menschen zugleich Arbeitgeber, Ernährungssicherer, Umwelt- und Klimaschützer sein? Das ist keine Selbstverständlichkeit. Viele Kleinbauern sehen einfach keine andere Alternative für sich – und das ist keine gute Erfolgsgrundlage.

Unternehmerisches Denken

Voraussetzungen dafür, dass Interventionen greifen, sind daher die Arbeits- und Verhaltensweisen der Kleinbauern selbst. Dieser Faktor wird oft unterschätzt, wie der vom Weltagrarbericht geprägte Slogan „Business as usual is not an option“ auf den Punkt bringt.

Kleinbauern müssen sich für die Landwirtschaft entscheiden. Wenn sie einen Betrieb nachhaltig führen wollen, müssen sie bereit sein, in Saatgut, Düngung und Pflanzenschutz zu investieren. Sie müssen dafür Kredite aufnehmen, wenn Staat oder Privatwirtschaft solche Angebote machen. Sie müssen auch ihre Absatzmärkte kennen.

Von den Landwirten – egal, ob groß oder klein – wird erwartet, dass sie mit ihren Böden sorgsam umgehen. Sie sollten wissen, wann sie wie viel und welchen Dünger ausbringen müssen und welchen Nutzen und welche Risiken Pflanzenschutzmittel bieten. Der biologische Anbau und der bodenschonende Pflanzenbau erfordern zudem genaue Kenntnisse von organischer Düngung, Zwischenfruchtanbau, biologischer Schädlingsbekämpfung sowie der mechanischen Unkrautbekämpfung.

Kleinbauern, die ihre gewohnte Anbauweise umstellen und traditionelle Agrartechniken überdenken, brauchen also über die Grundschulbildung hinaus spezielle Aus- und Fortbildung. Sie müssen ein Verständnis für Märkte und Umwelt entwickeln. Auch die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Entwicklungsländern ist heute deshalb wissensintensiv, weil ihr Erfolg davon abhängt, dass sie neue Entwicklungen erkennt und sinnvolle neue Optionen nutzt.

Programme zur ländlichen Armutsbekämpfung, wie das Verteilen von Dünger und Saatgut, sind wenig nachhaltig, wenn den Bauern das Grundverständnis für die moderne Landwirtschaft fehlt. Es gibt genügend Beispiele dafür, dass subventionierter Stickstoffdünger zu Über- und Unterdüngung – im schlimmsten Fall sogar zu Ertragsverlust und Umweltbelastung – führen kann, wenn Landwirte nicht ausreichende Kenntnisse über Nährstoffbedarf sowie Boden- und Pflanzeneigenschaften haben. Das traditionelle Wissen über Mikroklima, Bodenqualität und lokale Pflanzenarten ist wertvoll und entscheidet oft, ob ein Kleinbauer erfolgreich wirtschaften kann. Dieses Wissen reicht aber heute nicht mehr aus. Es muss ergänzt werden durch spezifisches Wissen über neue Technologien, Innovationen und Märkte. Solches Wissen zu erwerben ist für Kleinbauern schwierig und teuer.

Erschwerend kommt hinzu, dass gerade junge Menschen mit Potenzial und Grundbildung häufig den ländlichen Raum verlassen und der Landwirtschaft verlorengehen. Der Beruf des Landwirts gilt leider als unattraktiv und wenig lukrativ. Ein Landwirt, der im Norden Malis hauptsächlich durch seine Produktion von Zwiebeln und Getreide die Schulbildung seiner Kinder finanziert, wünscht sich, dass diese eine Arbeit in Paris, Bamako oder zumindest in Mopti finden – und zwar außerhalb der Landwirtschaft. Solche Hoffnungen sind die Regel, nicht die Ausnahme. Damit sich daran etwas ändert, muss mehr für die Strukturentwicklung im ländlichen Raum getan werden – und das erfordert auch Investitionen in die Grundbildung und die berufliche Ausbildung von Landwirten.

Ländliches Selbst­bewusstsein

Im Gegensatz zu manchen Förderprogrammen ist vielen betroffenen Kleinbauern zum Glück schon heute bewusst, worum es geht. Das gilt zum Beispiel für die Vorsitzende einer Kleinbauernorganisation in Ostafrika, die gefragt wurde, ob sie sich als Unternehmerin verstehe und wie sie den Stellenwert des Landwirts einschätze. Sie war empört darüber, dass Programme für Kleinbauern oft als Armutsbekämpfung gelten, denn sie wolle keine Almosen, sondern Investition in die Transport- und Wasserinfrastruktur. Außerdem forderte sie niedrigere Zinsen als die bei Mikrokrediten üblichen 35 Prozent für den Einkauf von Saatgut und Dünger. Und sie verlangte einen sicheren Absatzmarkt für ihre Produkte.

So sprechen selbstbewusste Unternehmer, die in die eigene Qualifikation investieren, Rücklagen für ­Maschinen, Saatgut oder Dünger bilden und sich ­darum kümmern, ihre Produkte zu vermarkten. Das Selbstbewusstsein solcher Frauen und Männer sowie erfolgreiche Maßnahmen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit von bäuerlichen Kleinbetrieben (siehe Kasten) wecken Hoffnung. Sie zeigen, dass Kleinbauern lernfähig sind und Willen zur Veränderung haben.

Zweifellos können Kleinbauern und mit ihnen der ländliche Raum von öffentlichen und privaten Investitionen profitieren. Doch auch die kleinbäuerliche Landwirtschaft wird nicht in der Lage sein, ein Auskommen für alle Menschen sicherzustellen. Um ländliche Armut erfolgreich zu bekämpfen, sind also in zunehmendem Maße auch Ansätze und Ideen nötig, um in Dörfern und Kleinstädten Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft zu schaffen. Es können und müssen Perspektiven für jene geschaffen werden, die nicht mehr in der Landwirtschaft arbeiten wollen oder können. Gleichzeitig er­öffnet sich den verbleibenden Kleinbauern die Möglichkeit, ihre Betriebe zu professionalisieren.

Eines darf aber nicht vergessen werden: Kleinbauern sind nicht automatisch Unternehmer, Ernährungssicherer und Umweltschützer in einem. Die Interessen und traditionellen Verfahrensweisen von Kleinbauern stimmen nicht zwingend mit den gesellschaftlichen oder ökologischen Notwendigkeiten überein. Um die kleinbäuerliche Landwirtschaft optimal zu fördern, bedarf es daher einer klaren Vision, welches gesellschaftspolitische Ziel angestrebt wird. Es geht um Armutsminderung und Ernährungssicherung, aber auch um Umwelt- und Ressourcenschutz sowie um Berufsbildung und Teilhabe an der Wissensgesellschaft.

Kleinbauern können davon profitieren und zugleich selbst dazu beitragen, diese Ziele zu erreichen. Wenn der Ausbilder seinen Schülern zu Beginn der Berufsausbildung zum Landwirt eröffnen kann, dass sie einen wunderbaren Beruf gewählt haben und dazu beitragen, dass Menschen genug zu essen haben, unsere Umwelt erhalten bleibt, und sie zugleich einen guten Preis für ihre Produkte erhalten, dann hat die Landwirtschaft gute Chancen, ihre Nachwuchssorgen zu überwinden und entscheidend zur Nahrungssicherung im ländlichen Raum beizutragen.

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