Online-Propaganda

Kampf der Medienstrategie von ISIS

Ohne die digitalen Medien wäre die Globalisierung der Terrormiliz ISIS nicht denkbar. In Deutschland leben 7000 Salafisten, mehr als 700 sind aus unserem Land in das ISIS-Gebiet ausgereist. Doch die Propagandamaschinerie des ISIS will mehr erreichen.
Anti-ISIS-Protest in Indonesien. Irham/picture-alliance/dpa Anti-ISIS-Protest in Indonesien.

ISIS kämpft an vielen Fronten – im Irak und in Syrien mit Waffen und Gewalt, und im Internet, um weltweit seinen Einfluss auszuweiten. Vor allem in der virtuellen Welt ist die Medienstrategie sehr erfolgreich. Im Stillen spricht ISIS online nicht nur Anhänger an, sondern umwirbt auch neue Zielgruppen.

Was macht ISIS so attraktiv – zum Beispiel für den 21-jährigen Arid Uka ? Der junge Mann stammt aus dem Kosovo, lebte in Frankfurt am Main und war als Leiharbeiter am Flughafen  tätig. Weder das Bundeskriminalamt noch der Verfassungsschutz hatten den Mann auf dem Schirm. Am 2. März 2011 verübte Uka den ersten erfolgreichen islamistisch motivierten Terroranschlag auf deutschem Boden, bei dem zwei Personen starben. Der Schock bei den deutschen Sicherheitsbehörden saß tief.

Wie konnte das passieren? Wieso kannten sie diesen Mann nicht? Die Antwort ist erschreckend: In relativ kurzer Zeit hatte sich der Kosovare radikalisiert – an seinem Computer in Deutschland. Wie viele andere konsumierte er die Propaganda radikaler islamistischer Prediger. Er fand Gleichgesinnte, Anerkennung und Zuflucht in einer neuen, virtuellen Realität.

Die sozialen Netzwerke im Internet erlauben einen persönlichen und geradezu intimen Zugang. Der Computer, nicht die Moschee, ist der Ort, an dem die Radikalisierung heute meist stattfindet. Die neuen Medien werden zur Waffe, mit denen Menschen eingeschüchtert, verunsichert, manipuliert und rekrutiert werden. Um gesellschaftlich und politisch die richtigen Antworten zu finden, müssen wir verstehen, was die Botschaften von ISIS so attraktiv macht.

 

Starkes Narrativ  

Die PR-Arbeit von Al Kaida war unsexy, träge, unverständlich. Es ging um asketische, hoch gebildete Einzelgänger als Führungspersonen und Kämpfer. Es waren Ideologen mit einer Botschaft, aber die Helden selbst schienen kaum erreichbar. Die Medienarbeit von Al Kaida war vergleichsweise hölzern und lud nicht zum Mittun ein: Einbahnstraßenkommunikation.  

ISIS arbeitet dagegen mit attraktiven, massenwirksamen Narrativen, die an kulturelle und individuelle Erfahrungen und Erwartungen der Zielgruppen angepasst werden.

Das zentrale Thema ist dabei die Heldengemeinschaft, in der man sich gleichberechtigt begegnet uns sich Halt und Orientierung bietet. Und ihr Auftrag verspricht Abenteuer.

Dieses Narrativ ist medial erfolgreich.  Es definiert die Weltanschauung  und legitimiert ISIS. Es taugt für die Verbreitung über „soziale“ Medien im Internet. Die Inhalte sind modular, multimedial und „snackable“. Die Geschichten haben Täter und Opfer, Verlierer und Gewinner, sie sind bildstark, einfach erzählt und allgegenwärtig. Sauber und unblutig für westliche Nutzer, brutal und gewaltverherrlichend für Nutzer in der arabischen Welt. Auf Englisch verbreitet ISIS eine ausgeklügelte Botschaft: „Du lebst in einer ungerechten Gesellschaft, die dir keine Perspektiven bietet. Komm zu uns, denn hier bist Du jemand.“ Das ist ein romantisches Narrativ, für das Jugendliche am Computer in Belgien, Deutschland oder Schweden leicht zu begeistern sind.

Im eigentlichen Kampfgebiet von ISIS wird das Narrativ regional angepasst und mit anderen Subbotschaften versehen: So wird Saudi-Arabien als nicht islamisch genug dargestellt, jeder Wandel hin zu westlichem Lebensstil und Kultur gilt als Wandel in die falsche Richtung. Ein weiteres Thema ist der Kampf gegen die Schiiten. ISIS präsentiert stolz in Videos Erfolge, etwa wie Gefangene, die in der syrischen Stadt Idlib befreit wurden und danach Hände und Füße von ISIS-Kämpfern küssten.

Aber die Terrormiliz produziert nicht nur eigene Botschaften, sondern greift auch Nachrichten auf: Das Bild des kleinen syrischen Jungen Aylan, der tot an die türkische Küste angespült wurde, ging um die Welt. Das erschreckende Bild verweist eigentlich auf die Auswirkungen der ISIS-Gewalt: Syrer fliehen vor Bürgerkrieg und islamistischem Terror. ISIS deutet das Foto in seinem Online-Magazin  Dabiq anders, und zwar als Warnung an jene Syrer, die ihr Land verlassen wollen. Die Flucht aus muslimischen Ländern in Richtung der der „ungläubigen Kriegstreiber“ in Europa wird als  gefährliche „Sünde“ präsentiert. Dort seien  Kinder der ständigen Bedrohung durch Homosexualität, Drogen und Alkohol ausgesetzt. Der Preis für diese Sünde sei der Tod.

 

Die Botschaft kommt an

ISIS geht mit der Zeit: Wo früher VHS- und Audiokassetten verbreitet wurden, werden heute die unterschiedlichsten Medien-Plattformen  genutzt. Die wichtigste ist al-Furqān Media, mit über 160 Veröffentlichungen im vergangenen Jahr. Das Magazin veröffentlicht die Botschaften von „Kaplan“ Abu Bakr al-Khilafa. Weitere Kanäle sind I'tisaam Media, Al Hayat Media Center und AJND Media. Darüber hinaus kooperiert ISIS noch mit anderen Medien, wie Albatar Media, al-Khilafa-Media, Albayan Radio und al-Khalifa-TV. ISIS macht mit großem Erfolg und einer klaren und flexiblen Medien- und Vertriebsstrategie, was auch jede Zeitung und jeder Sender in Deutschland versucht, um sich Marktanteile zu sichern: Menschen dort abholen, wo sie sind – sprachlich, inhaltlich und über den besten Nutzungsweg. Wenn die Botschaften ankommen sollen, dann muss das Produkt in Inhalt, Ansprache und Platzierung für die Zielgruppen leicht zugänglich sein. Dabei sind vor allem soziale Netzwerke wichtig.  

Es gilt für das Marketing aller Marken und ist auch von den ISIS-Medienideologen klar: Keine Botschaft überzeugt mehr als die, welche innerhalb der peer-group, der „Freunde“, „Follower“ und Gleichgesinnten mitgeteilt wird. Geschickt macht sich ISIS die Wirkung der „Me-Sphere“ im Netz zunutze und entwickelte eine eigene Android-App, um  die Kontrolle über Twitter- Accounts von Abonnenten zu übernehmen. Google hat die App mittlerweile gestoppt, sie ist nicht mehr verfügbar.

Die Medienarmee von ISIS verfügt über selbsternannte „Cyber-Kalifen“. Es sind Hacker, die in den letzten Jahren mehrfach gezeigt haben, zu was sie fähig sind. Im Frühjahr 2015 blockierte die ISIS-Cyber-Armee das französische TV Netzwerk „TV5Monde“, seine 11 Kanäle verbreiteten mehrere Stunden lang ISIS-Propaganda. Dasselbe „Cyber-Kalifat“ übernahm auch zeitweilig die Twitter-Accounts von Newsweek und den YouTube Kanal des Central Command der US Streitkräfte.

 

Attraktive Gegennarrativen sind notwendig

Es ist keine ausreichende Lösung, Social-Media-Accounts von ISIS-Kämpfern und -Anhängern zu sperren. Das Thema ins Abseits zu drängen, mindert im besten Fall die Symptome, im schlimmsten Fall verstärkt es sie. Eine echte Lösung erfordert, sich differenziert, aktiv und öffentlich mit den Botschaften auseinander zu setzen. Die aktuellen Ereignisse und die Flucht hunderttausender Menschen aus Syrien in Richtung Europa macht das besonders nötig. Das Narrativ der Extremisten wird auf taube Ohren stoßen, wenn sich jugendliche Migranten angenommen und verbunden fühlen mit der Gesellschaft, in der sie leben.

Wie beim Hausbau kommt es auf das Fundament an: In der Schule, in Vereinen und den Universitäten muss aktiv Aufklärung geleistet werden. Eine immense Integrationsleistung ist nötig, die nicht nur auf die eben erst Eingereisten zielen sollte, sondern auch auf die, die zur zweiten und dritten Generation der Einwanderer gehören, und ganz grundsätzlich auf alle, die auch ohne Migrationshintergrund die Erfahrung von Ausgrenzung und Entwurzelung machen.

Gelungene Integration erfordert Gemeinschaft – eben das, was ISIS in seinen Kampagnen jungen Nutzern vorgaukelt. Praktische Lebenserfahrung ist immer stärker sein als jedes Bild im Netz. Aber auch die Medien sind gefragt. Von den ISIS-Strategen lernen sollte vor allem die öffentlich finanzierte Medien: jugendliche Nutzer mit den passenden Inhalten abholen, ihnen ein Sprachrohr bieten, ihre Sprache sprechen, ihre Kanäle bespielen. Ja, das ist viel Arbeit. Sie kostet Geld und muss langfristig angelegt sein. Doch das Risiko für unsere Gesellschaft ist immens, wenn wir den Kampagnen der Extremisten nichts entgegensetzen. Es lohnt sich, selbstbewusst und kraftvoll für das attraktive Narrativ einer freiheitlichen und toleranten Gesellschaft zu streiten – und angesichts der Zuwanderung ist es auch dringend nötig.


Ute Schaeffer ist stellvertretende Leiterin der Deutsche Welle Akademie.
ute.schaeffer@dw.com

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