Oberflächliche Medienschelte

Richard Munz:
Im Zentrum der Katastrophe.
Was es wirklich bedeutet, vor Ort zu helfen.
Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2007, 246 S.,
19,90 Euro, ISBN 3-5933-8123-0

Richard Munz hat dieses Buch geschrieben, weil er sauer ist – vor allem auf die Medien. Deren Berichte aus Katastrophengebieten seien oberflächlich, die Darstellung von Opfern und Helfern klischeehaft. Auf 240 Seiten will Munz deshalb erklären, „was es wirklich bedeutet, vor Ort zu helfen“. Das weiß der Notfallarzt und Chirurg aus eigener Erfahrung: Seit mehr als zwanzig Jahren ist er als Organisator und Leiter von Katastropheneinsätzen unterwegs, zudem lehrt er an der Ruhr-Universität Bochum im Studiengang „Internationale Humanitäre Hilfe“. Einen Großteil des Buches hat er mit Erlebnissen aus seinen Einsätzen gefüllt.

Zwölf Mythen hat Munz ausgemacht – darunter den von den hilflosen Überlebenden, die in Wahrheit meist die ersten Helfer sind, und den vom heillosen Durcheinander nach einer Kata­strophe, das in Wahrheit oft erst entsteht, weil Hunderte Helfer aus aller Welt unbedingt gleichzeitig helfen wollen. Das dominierende Thema des Buches sind jedoch die Medien. Journalisten, schreibt Munz, sind nur auf der Suche nach „größten humanitären Kata­strophen aller Zeiten“. Der Kern seiner Kritik ist: Journalisten haben berichtet, aber ich, Richard Munz, habe die Katastrophe anders empfunden. Das schreibt er freilich nicht, sondern erklärt, „die Realität“ unterscheide sich von den Berichten. Dass viele Berichterstatter in der betroffenen Region leben und sie seit Jahren kennen – oft besser als
die Helfer –, darüber fällt kein Wort.

Katastrophenhelfer und Journalisten haben oft zwangsläufig unterschiedliche Ziele. Munz erklärt die der Helfer für gut und richtig, die der Medien für bestenfalls naiv, schlimmstenfalls realitätsverfälschend. Die Hilfsorganisationen im Norden macht er als eine Art Kollaborateure der Journalisten aus. Ihnen gehe es vor allem darum, ihre Arbeit ins Licht der Scheinwerfer zu rücken – meist gegen das bessere Wissen der Helfer vor Ort. Munz betreibt hier selbst die Art Schwarzweiß-Malerei, die er den Medien vorwirft. Das und der besserwisserische Ton machen die Lektüre unangenehm.

Dabei liegt Munz in vielen Punkten richtig. Hoch anrechnen muss man ihm, dass er seine Arbeitgeber nicht schont. So verweist er auf eine der schlimmsten Folgen der von den Hilfsorganisationen mit beförderten Fernsehgalas nach Katastrophen wie dem Tsunami: Spenden fließen wegen der Zweckbindung in absurde Projekte, während Geld in anderen Krisengebieten fehlt. Allerdings werden solche Galas nicht von Journalisten, sondern von Unterhaltungsredaktionen geplant mit dem Ziel hoher Einschaltquoten; die Hilfe ist nur ein Nebeneffekt. Das erwähnt Munz nicht.

Ärgerlich ist sein Vorwurf, Journalisten berichteten nicht von „vergessenen Konflikten“ wie in Somalia, Nord-Uganda oder Darfur, weil die nicht medientauglich seien. Doch damit hat das nichts zu tun. Im Fall Darfur etwa weigern sich zurzeit fast alle Hilfsorganisationen, Berichterstatter zu unterstützen oder auch nur Interviews zu geben. Ihre Bedenken sind zwar nachvollziehbar: Sudans Regierung hat schon oft Helfende aus dem Land verwiesen, weil sie zu kritisch waren. Dennoch handelt es sich um eine Form vorauseilenden Gehorsams gegenüber einem diktatorischen Regime, der eine Erörterung wert gewesen wäre.

Marc Engelhardt

Relevante Artikel

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.