Arbeit

Job ohne Arbeitsvertrag oft einzige Chance

Die meisten Entwicklungsländer zeichnen sich durch einen großen informellen Sektor aus – so auch Pakistan. Viele Menschen arbeiten außerhalb des gesetzlichen Rahmens. Vor allem Frauen sind davon betroffen.
Ein Arbeiter eines informellen Wollverarbeitungsbetriebs in Peshawar verlor 2016 drei Finger bei einem Unfall. picture-alliance/AA/Metin Aktas Ein Arbeiter eines informellen Wollverarbeitungsbetriebs in Peshawar verlor 2016 drei Finger bei einem Unfall.

Ein großer informeller Sektor hat mehrere Nachteile. Personen, die in der so genannten „Schattenwirtschaft“ tätig sind, kommen in der Regel nicht in den Genuss staatlicher Sozialsysteme wie Renten- oder Krankenversicherung (siehe Markus Loewe auf www.dandc.eu). Die Unternehmen zahlen zudem keine Steuern und tragen somit nicht zur Stärkung der staatlichen Finanzkraft bei. Wenn Arbeitsrechte und Umweltvorschriften nicht angewandt werden, kann dies darüber hinaus erheblichen Schaden anrichten.

Auch in Pakistan gibt es einen großen informellen Sektor. Die Weltbank schätzt, dass er etwas mehr als ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Nach Angaben der Asiatischen Entwicklungsbank sind mehr als 90 Prozent der Unternehmen mit 50 oder weniger Beschäftigten informell tätig.

Laut offiziellen pakistanischen Statistiken von 2020/21 sind fast drei Viertel der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter informell beschäftigt – ein erheblicher Anteil davon in landwirtschaftlichen Betrieben, was typisch für von der Landwirtschaft abhängige Länder ist. Daher ist die informelle Arbeit in ländlichen Gebieten etwas stärker verbreitet als in Städten, wo sie aber immer noch fast 69 Prozent ausmacht. Einige besonders unangenehme Arbeiten – wie das Sortieren und Recyceln von Müll – werden überwiegend informell erledigt (siehe Imran Mukhtar auf www.dandc.eu).

Jugend in Überfluss

Viele Faktoren haben im Laufe der Jahre zum Wachstum des informellen Sektors beigetragen. Der wichtigste ist, dass die offiziell registrierten Unternehmen und Regierungsbehörden nicht in der Lage waren, die schnell wachsende Zahl der Arbeitskräfte aufzunehmen. Dies kommt daher, dass Pakistan eine vergleichsweise hohe Geburtenrate hat. Im Jahr 2017/18 lag sie bei durchschnittlich 3,6 Kindern pro Frau (siehe Mahwish Gul auf www.dandc.eu). Fast zwei Drittel der 220 Millionen Einwohner sind zwischen 15 und 33 Jahre alt.

Der leichte Ein- und Ausstieg von Arbeitnehmern in informelle Unternehmen macht diese lukrativ. Etwa 40 Prozent der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze, 75 Prozent davon sind Frauen, und die Menschen sind oft gezwungen, in informellen Berufen Geld zu verdienen, während sie darauf hoffen, einen lohnenderen Arbeitsplatz im formellen Sektor zu finden. Pakistan hat derzeit mit einem schweren wirtschaftlichen Abschwung und einer hohen Inflation zu kämpfen, so dass viele Menschen bereit sind, harte Arbeitsbedingungen zu akzeptieren.

Außerdem arbeiten viele Frauen in informellen Berufen. Dies ist ein weltweites Muster (siehe Sundus Saleemi auf www.dandc.eu), das in Pakistan noch stärker ausgeprägt ist, weil viele Frauen die Möglichkeit schätzen, zu Hause Geld zu verdienen. Eine solche Arbeit ist für die Öffentlichkeit unsichtbar. In konservativen Haushalten ist es für Frauen schwierig, das Haus zu verlassen, aber die Familien sind trotzdem darauf angewiesen, dass weibliche Mitglieder zum Haushaltseinkommen beitragen. Doch es gibt auch Frauen, die eine sichtbare Rolle einnehmen, unter anderem als Leiterinnen von informellen Unternehmen.

In einigen Fällen ziehen es die Menschen sogar vor, die Dinge informell zu halten. Die Behörden sind für ihre bürokratischen und langwierigen Verfahren bekannt, so dass es manchmal einfacher ist, sich nicht mit schwerfälligen rechtlichen Verfahren auseinanderzusetzen.

Mikrofinanzierung als Lichtblick

In der Regel sind informelle Unternehmen klein und arbeitsintensiv. Die Gewinne und Löhne sind in der Regel gering (siehe Iwan J. Azis auf www.dandc.eu). Das ist auch darauf zurückzuführen, dass informelle Unternehmer nur schwer Zugang zu Krediten haben. In Pakistan hat sich die Lage jedoch dank der Bemühungen von Mikrofinanzinstitutionen (MFI) etwas verbessert. Einige von ihnen werden von zivilgesellschaftlichen Organisationen und glaubensbasierten Initiativen betrieben, andere von staatlichen Stellen.

Eine herausragende Erfolgsgeschichte der Mikrofinanzierung ist die von Dr. Amjad Saqib gegründete Akhuwat Foundation. Sie hat den Gegenwert von rund 900 Millionen Dollar verteilt und kann eine Rückzahlungsquote von fast 100 Prozent vorweisen.

Die MFI haben den Zugang zu Finanzdienstleistungen erleichtert. Einige bieten sogar zinslose Darlehen an. Die Finanzierungen gehen zudem oft mit technischer Unterstützung, Kapazitätsaufbau und Vorteilen für marginalisierte Gemeinschaften einher. Viele Unterstützungsprogramme sind auf die Förderung von Frauen ausgerichtet und räumen ihnen entsprechende Priorität ein.

Schutzvorschriften haben keine Bedeutung

Ein weiterer Nachteil des informellen Gewerbes ist, dass Schutzgesetze oft nicht nur umgangen werden, sondern den Beteiligten oft unbekannt sind. Löhne werden zum Beispiel nicht regelmäßig gezahlt. Die Arbeitssicherheit ist mangelhaft, so dass es zu Unfällen kommt. Es gibt keinen Krankenstand oder Mutterschutz, und die Arbeitnehmer erhalten keinen Urlaub. Mancherorts wird Kinderarbeit praktiziert. Besonders undurchsichtig wird es, wenn Subunternehmer beteiligt sind.

Der Staat ist sich dieser Problematik bewusst. Es wurden einige gesetzgeberische Anstrengungen unternommen, zum Beispiel in der Provinz Sindh. Mit dem „Sindh Home-Based Workers Act of 2018“ sollen die Rechte von informell Beschäftigten geschützt werden. Das Gesetz beinhaltet

  • einen Fonds für Heimarbeiter,
  • einen Vermittlungsausschuss und
  • ein System zur Auftragsüberwachung.

Es bietet Schutz vor der Nichtzahlung von Löhnen, gilt jedoch nur für eine Provinz, in der etwa ein Viertel der Pakistaner lebt. Außerdem ist das Gesetz selbst in Sindh kaum bekannt, so dass die Durchsetzung weiterhin ein Problem darstellt.

Die Geschäftsinhaber leben oft selbst in prekären Verhältnissen. Niedrige Produktivität bedeutet, dass auch ihre Gewinne gering bleiben. Sie erhalten mündliche und nicht dokumentierte Aufträge, so dass sie nicht sicher sein können, selbst zuverlässig und pünktlich bezahlt zu werden. Sie haben auch keine Möglichkeit, die mit ihren Kunden getroffenen Vereinbarungen durchzusetzen.

Schmerzvolle Pandemie

Als die Covid-19-Pandemie ausbrach, waren informelle Unternehmen besonders anfällig. Plötzliche Ausgangssperren führten dazu, dass viele Aktivitäten sofort eingestellt werden mussten. Selbst wenn die Rohstoffe noch zu Hause verarbeitet werden konnten, wurde der Zugang zu den Ressourcen schwierig. Nach Angaben der Asia Foundation, einer in San Francisco ansässigen Institution, sind die Gewinne der informellen Unternehmen in Pakistan von März 2020 bis März 2021 um fast zwei Drittel eingebrochen. Dementsprechend wurden 60 Prozent der informellen Arbeitskräfte vorübergehend entlassen. Außerdem kürzte ein Viertel der Unternehmen die Löhne, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Davon waren vor allem Frauen betroffen.

Die Pandemie zwang viele Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken und neu zu gestalten. Viele begannen, soziale Medienplattformen wie Facebook und Instagram zu nutzen, um sich Zugang zu größeren Märkten zu verschaffen. Die Plattformen halfen den Unternehmen auch dabei, sich zu vernetzen, was es leichter machte, Rohstoffe zu beschaffen oder bei Aufträgen zusammenzuarbeiten. Obwohl die Pandemie viel Leid verursacht hat, sind einige der überlebenden Unternehmen stärker geworden.

Gleichzeitig hat die Internetkriminalität immer mehr zugenommen. Die Digital Rights Foundation, eine pakistanische Organisation für digitale Rechte, geht davon aus, dass 70 Prozent dieser Straftaten Frauen betrafen, die aus vielen Gründen gefährdeter sind, etwa weil sie im Durchschnitt schlechter ausgebildet sind als Männer (siehe Sundus Saleemi auf www.dandc.eu).

Die Cyberkriminalität erschwerte das Leben der informellen Geschäftsfrauen, von denen viele auch mit anderen geschlechtsspezifischen Problemen zu kämpfen hatten. Wie überall auf der Welt nahm zum Beispiel die häusliche Gewalt zu, und die Kinder, die nicht mehr zur Schule gingen, brauchten mehr Aufmerksamkeit.


Marva Khan ist Assistenzprofessorin für Rechtswissenschaften an der LUMS (Lahore University of Management Sciences) und Mitbegründerin der Pakistani Feminist Judgments Project.
marva.khan@lums.edu.pk

 

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