Fabrikarbeit

Bittere Wahl

Für viele junge Frauen bietet eine Anstellung in den Kleidungs- und Textilfabriken Guatemalas, den Maquilas, die Hoffnung auf einen Ausweg aus der Armut. Doch die Arbeiterinnen haben unter Missbrauch und übermäßiger Arbeitsbelastung zu leiden, und der Lohn reicht nicht aus, um ihre Lebenssituation zu verbessern. Die Regierung plant derweil zusätzliche Steuererleichterungen für die Unternehmen.
Belegschaft vor einem Maquila­gebäude. Daniel DeClair/Reuters Belegschaft vor einem Maquila­gebäude.

Weihnachten und Neujahr haben für Matilde keine Bedeutung. Denn die Fabrik, in der sie arbeitet, hat ihr das 13. Monatsgehalt nicht gezahlt, obwohl das Gesetz vorsieht, dass alle Firmen es bis zum 15. Dezember auszahlen müssen. Wie Hunderte weitere Angestellte in den Textilfabriken in Guatemala muss Matilde Jahr für Jahr diese Arbeitsrechtverletzung hinnehmen.

Die großen exportorientierten Textilfabriken, die Maquilas genannt werden, entstanden in den 80er Jahren in Guatemala. Im Zuge des Washington Consensus und der Strukturanpassungspolitik von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank lockte die Regierung internationale Arbeitgeber mit Steuererleichterungen ins Land: eine Maßnahme, die für Arbeitsplätze und Deviseneinnahmen sorgen sollte.

Die Maquilas schafften zwar tatsächlich viele Jobs, doch unter schlechten Bedingungen. Die Arbeit ist geprägt von Ausbeutung und Gewalt. Hier treten viele Arbeitsrechtsverletzungen auf. Gleichzeitig hat der Sektor einen Großteil der weiblichen Beschäftigten des Landes unter Vertrag. Die Regierung müsste dringend etwas für die Frauen tun, doch sie wirbt nur um die Gunst internationaler Investoren.

 

Unternehmerische Freiheit

In den Maquilas werden Stoffe und Teile, die in anderen Ländern gefertigt wurden, zusammengenäht und verarbeitet. Die fertigen Kleidungsstücke sind für den Export bestimmt, häufig nach Europa und in die USA.

Für Guatemala ist der Export von Kleidungsstücken mittlerweile ein wichtiger Wirtschaftszweig. Von Januar bis Oktober wurden damit über eine Milliarde US-Dollar Umsatz gemacht – das entspricht knapp vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Branche umfasst 139 Kleidungsfabriken, 39 Spinn- und Textilfabriken sowie 240 Dienstleister und Zulieferfirmen.

Für die Maquilas gilt das Gesetz zur Förderung und Entwicklung der Exportwirtschaft. Demzufolge sind Konzerne, die sich in Guatemala niederlassen, die ers­ten zehn Jahre lang von der Einkommenssteuer, von Importsteuern und -zöllen sowie von der Mehrwertsteuer auf Maschinen, Ausstattung, Komponenten und Zubehör befreit. Sie dürfen überall im Land Fabriken aufbauen. Viele Unternehmen missbrauchen diese Vorteile. Wenn die ersten zehn Jahre vorbei sind, wechseln sie oft die Anschrift, oder sie schließen die Anlage, um sie an einem anderen Ort unter anderem Namen neu zu starten. Das tun sie auch, wenn betriebliche Missstände bekannt werden. Oft nehmen sie auch kleine Schneiderbetriebe unter Vertrag, um die Sozialleistungen zu sparen. Das Ministerium für Arbeit und Soziales und das Wirtschaftsministerium reagieren darauf einfach nicht.


Arbeiten bis zur Erschöpfung

Die Arbeit in den Maquilas erfordert keine besondere Qualifizierung außer einer gewissen Geschicklichkeit für das Zusammennähen von Teilen. Die Firmen stellen daher bevorzugt arme Frauen mit wenig oder keiner Bildung ein, die unterwürfig und gehorsam sind. Sie sind im Durchschnitt 27 Jahre alt. Viele von ihnen sind alleinerziehende Mütter und haben auf Arbeitssuche ihre Dörfer verlassen.

Zwar haben die Frauen in den Maquilas ein formelles Arbeitsverhältnis, doch es ist instabil und kaum reguliert. Die internationalen Auftraggeber verlangen hohe Flexibilität und Akkordarbeit, und es kommt zu täglichen Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen: Die Arbeitsrhythmen laugen die Leute aus. Die Zielmaßgaben für die Arbeiter werden stetig erhöht, so dass sie in acht Stunden unmöglich damit fertig werden können. Stattdessen arbeiten sie zehn oder zwölf Stunden täglich, und es kommen sogar oft noch weitere Überstunden dazu, die auch nicht bezahlt werden.

Es gibt keine Pausen, und die Toilettenbenutzung wird eingeschränkt. Die Toiletten sind zudem häufig in einem unhygienischen Zustand, da sie nicht oft genug geputzt werden. Arbeitsgeräte fehlen ganz, sind in zu kleiner Zahl vorhanden oder in schlechtem Zustand. In den Räumen mangelt es an Belüftung und vernünftiger Beleuchtung. Es wird laute Musik gespielt, um die Arbeiterinnen „wach“ zu halten. Schutzkleidung wie Handschuhe, Mundschutz, Ohren- und Nasenschützer fehlen. Das gilt auch für ergonomische Stühle. Gewerkschaftliche Aktivitäten werden eingeschränkt oder verboten. Es gibt kein Trinkwasser. Die Arbeiterinnen werden beschimpft, bedroht und zum Teil geschlagen – letzteres trifft vor allem indigene Frauen. Sie werden gedemütigt, sexuell belästigt und manchmal vergewaltigt.

Der guatemaltekische Staat hat internationale Verträge und Abkommen zu Arbeitsrechten unterzeichnet. Die Behörden kommen aber ihrer Pflicht, diese durchzusetzen, nicht nach. Zwar wurde im Jahr 2008 ein Mindestlohn für Angestellte in Maquilas festgesetzt. Dieser liegt jedoch unter dem Mindestlohn für andere Tätigkeiten, für die keine Ausbildung nötig ist. Eine Maquila-Arbeiterin verdient zurzeit rund 290 Dollar monatlich zuzüglich 33 Dollar Leistungsprämie. Damit liegt ihr Lohn deutlich unter dem Wert des offiziell lebensnotwendigen Grundbedarfs von 423,42 Dollar.


Flucht aus der Armut

Die Globalisierung hat die Situation von Fabrikarbeitern negativ beeinträchtigt, und die größte Last fällt dabei auf die Frauen. Bei der Einstellung müssen sie ein ärztliches Attest einreichen, um zu beweisen, dass sie nicht schwanger sind. Auch die Mutterschutzgesetze werden nicht eingehalten. Zudem werden Frauen geringere Löhne gezahlt als Männern, auch wenn sie dieselbe Arbeit verrichten und denselben Bildungsgrad und dieselbe Erfahrung haben. Die Aufsichtsposten jedoch werden an Männer vergeben, da sie in den Augen der Arbeitgeber besser dafür geeignet sind. Hier herrscht Geschlechterdiskriminierung.

Auch Rassismus ist ein Thema in den Maquilas. Zu Beginn befanden sich die Fabriken hauptsächlich im Großraum der Hauptstadt. Die meisten Angestellten kamen aus der ethnisch gemischten Stadtbevölkerung und den angrenzenden Regionen. Als jedoch koreanisches Kapital floss, ließen sich viele Fabriken auch in ländlichen Gebieten nieder. Es dauerte nicht lange, bis auch indigene Frauen anheuerten. Sie haben oft nur die Wahl zwischen Arbeit in der Maquila oder als Dienstmädchen in privaten Haushalten. In beiden Fällen müssen sie sich unterwerfen und werden diskriminiert. Rassismus ist in der guatemaltekischen Gesellschaft allgegenwärtig, er mindert das Selbstwertgefühl der Frauen und verschlechtert die Arbeitsbedingungen.

Weil sie arm sind, akzeptieren die Frauen solche Arbeitsverhältnisse. In den Maquilas verdienen sie immerhin etwas Geld zum Überleben. In Guatemala verschärft sich die Arbeitslosigkeit zusehends: Der Regierungsreport „Nationale Arbeitspolitik 2012–2021“ geht von einer Arbeitslosenquote von 71 Prozent unter Frauen aus – kaum verwunderlich also, dass viele sich auf prekäre Arbeitsverhältnisse und sogar Gewalt am Arbeitsplatz einlassen.

Oft sind die Frauen auch die einzigen Familienmitglieder, die ein Einkommen haben. Laut den Buchautorinnen Teresa Chocoyo und Heliodoro Cumes können sie in den Maquilas sehr kurzfristig einen Arbeitsplatz finden, und die Familien drängen sie häufig dazu, wenn sie Geld brauchen. Die prekären Arbeitsbedingungen, unter denen die Frauen es dann erwirtschaften, interessiere sie meist nicht.

Trotz dieser schwierigen Bedingungen und der ohne­hin schon hohen Steuererleichterungen drängt der amtierende Präsident Otto Pérez Molina die Legislative, weitere arbeitgeberfreundliche Gesetze durchzusetzen. So etwa das Gesetz zur Investitions- und Arbeitsplatzförderung, das den Unternehmen noch mehr Steuervorteile als bisher über einen Zeitraum von bis zu 55 Jahren einräumen soll. Aufgrund des starken Protests von Seiten zivilgesellschaftlicher Organisationen, vor allem von Frauenorganisationen, wurde diese Gesetzesvorlage nun zurückgezogen, die Handelskammern machen aber weiterhin Lobby­arbeit dafür.

Dem Kongress liegt auch ein Gesetzesentwurf zur Regelung der Arbeitszeit und zur Inklusion in die Sozialversicherung vor. Er wurde von der Regierung eingebracht, um „Frauen zu unterstützen, die die Erziehung ihrer Kinder und die Hausarbeit nicht vernachlässigen“ – ein Konzept, das besonders die Frauenbewegung ablehnt, da es das Bild der Frau als Hausfrau und Mutter noch verstärkt. Auch Gewerkschaften und Arbeitsrechtorganisationen kritisieren den Entwurf scharf: Das Gesetz soll flexiblere Arbeitsbeziehungen ermöglichen und könnte so zu niedrigeren Löhnen speziell für Jugend­liche, Frauen und Senioren führen.

Ein weiteres arbeitgeberfreundliches Gesetz hat der Präsident kürzlich durchgesetzt. Seit Januar entstehen demnach in vier besonders von Armut betroffenen Munizipien Sonderwirtschaftszonen. Der Mindestlohn, der hier bezahlt werden soll, beläuft sich auf gerade mal 197 Dollar im Monat. Voraussichtlich werden viele Maquilas und andere Betriebe dorthin umsiedeln, um von der billigen Arbeitskraft zu profitieren. Das wird an ihren derzeitigen Standorten Arbeitslosigkeit verursachen und die Armut Hunderttausender Menschen verschlimmern, die von den Maquilas abhängen, und die aufgrund ihres niedrigen Bildungsgrads kaum Möglichkeiten haben, eine andere Anstellung zu finden.

Dem Journalisten Jorge Tobar Montañez von der mexikanischen Zeitung El Heraldo de Chihuahua zufolge ist die Maquila-Wirtschaft in Mittelamerika eine Folge der Globalisierung. Internationale Konzerne nutzen hier den „komparativen Vorteil des Landes – in diesem Fall die billige, zumeist feminine Arbeitskraft“. Die Bereitschaft junger Frauen, in schlechtbezahlten Arbeitsverhältnissen und zu ausbeuterischen Bedingungen zu arbeiten, ist der Vorteil, mit dem Länder wie Guatemala die Industrie anlocken.

Den Frauen nützt das wenig. Denn die Fabrikarbeit mindert ihre Armut kaum. Natürlich soll die Regierung Anreize für Investitionen setzen und die Entwicklung des Landes voranbringen – aber sie muss sicherstellen, dass dabei würdige Arbeitsbedingungen gewahrt werden und ein gerechter Lohn gezahlt wird.

 

Mirna Lilian Ramírez Pérez arbeitet bei MUVACOFUM, Grupo de Mujeres con valor construyendo un futuro mejor. MUVACOFUM ist eine Frauengruppe, die sich für die Rechte von Maquila-Arbeiterinnen und informell Beschäftigten einsetzt.
mirapez50@yahoo.com

Literatur:
Monzón, A. S., 1992:
Condiciones de vida de las obreras de la maquila. Tesis de grado (Sociología). USAC/Escuela de Ciencia Política.
Oxfam Internacional, 2004: Trabajo de muchas, ganancia de pocos. El Salvador.

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