Sommer-Special

Horror aus Kindersicht

Loung Ung, die aus Kambodscha stammt und in den USA lebt, beschreibt in ihrer Autobiografie „Der weite Weg der Hoffnung“, wie sie als Kind die Schreckensherrschaft der Roten Khmer erlebte. Das Buch bietet einen eindrücklichen, weil kindlichen und sehr persönlichen Zugang zu Pol Pots Vernichtungsfeldzug gegen die eigenen Leute. Dieser Beitrag gehört zu unserer Sommer-Special-Reihe, in der wir in der Rubrik "In Kürze" Ferienliteratur empfehlen. Von Katja Dombrowski
Die Roten Khmer haben einer ganzen Generation die Kindheit gestohlen. Das nationale Trauma hat sich bis auf die Kinder von heute übertragen. kd Die Roten Khmer haben einer ganzen Generation die Kindheit gestohlen. Das nationale Trauma hat sich bis auf die Kinder von heute übertragen.

Zwei Dinge wird die Welt für immer mit Kambodscha verbinden: seine Blütezeit als mächtiges Königreich um Angkor vor mehr als 500 Jahren und die massenmörderische Herrschaft der Roten Khmer vor 40 Jahren. Fast alle Touristen besuchen die beeindruckenden Relikte von Angkor, allen voran Angkor Wat, die größte Tempelanlage der Welt. Das ist die strahlende Seite Kambodschas, der Stolz seiner Bürger.

Deutlich weniger Reisende wollen die dunkle Seite sehen, das Trauma des Landes. Wer es doch tut, steht erschüttert auf den Killing Fields, schaut fassungslos in Massengräber und schleicht mit mulmigen Gefühlen durch Folterkammern. Schätzungsweise 2 Millionen Menschen fielen dem Terrorregime von 1975 bis 1979 zum Opfer; das war jeder vierte bis fünfte Kambodschaner.

Eine andere Möglichkeit, sich diesem unfassbaren Massenmord zu nähern, für die man das Land nicht eigens bereisen muss, besteht in Filmen – der berühmteste ist „The Killing Fields“ von 1984 – und in Büchern. Zahlreiche Autoren arbeiten das Thema auf: Politikwissenschaftler, Historiker, Juristen – und Überlebende wie Loung Ung.

„Der weite Weg der Hoffnung“ (englischer Originaltitel: „First they killed my father“) beginnt, als Loung fünf Jahre alt ist. Im April 1975 marschieren die Soldaten der Roten Khmer in ihre Heimatstadt Phnom Penh ein, wo Loungs Familie, die der gehobenen Mittelschicht angehört, ein komfortables Leben führt. Die behütete, privilegierte Kindheit Loungs ist in diesem Moment zu Ende. Die Roten Khmer evakuieren die Stadt, es folgt ein langer, beschwerlicher Weg aufs Land.

Die einer an Mao angelehnten Form des Kommunismus nacheifernden Roten Khmer wollten aus Intellektuellen und Bürgern Arbeiter und Bauern machen. Sie zerstörten Tradition, Religion und die Familie als Institution und ersetzten alles durch „Angka“, die „Organisation“ – eine mysteriöse Macht, hinter der die Kommunistische Partei stand. Dazu zerstörten sie systematisch Familien wie die der kleinen Loung.

Auf ihrem Weg durch diese Hölle erleben Loung und ihre Eltern, Geschwister, Tanten und Onkel, Cousins und Cousinen alles, was exemplarisch ist für das Schicksal ihres Volkes unter Pol Pot: Hunger, Zwangsarbeit, Folter, psychische Gewalt, Tod. Die Autorin beschreibt das in einfacher Sprache und – aus der kindlichen Perspektive – ohne viel Analyse und Einordnung. Als die Vietnamesen Ende 1978 in Kambodscha einmarschieren und das Regime stürzen, hat Loung Mutter, Vater, zwei Schwestern und weitere rund 20 Verwandte verloren.

Was der Geschichte trotz allem die Hoffnung gibt, die im deutschen Titel versprochen wird, ist der Lebenswille dieses kleinen Mädchens. Sie ist zäh und anpassungsfähig. Deshalb wird sie zur Kindersoldatin ausgebildet, während ihre Geschwister in Arbeitslagern schuften. Loung will dem Horror entkommen und kämpft dafür.

Im Chaos nach der Invasion der Vietnamesen gelingt Loung endlich die Flucht aus dem Lager. In einem Flüchtlingslager trifft sie mehrere Familienmitglieder wieder. Ihr älterer Bruder Meng nimmt sie schließlich über Vietnam mit nach Thailand. Von dort gelangt sie 1980 in die USA, wo sie bis heute lebt.

Ihre Geschichte machte sie nicht nur zur Autorin, die mit „Der weite Weg der Hoffnung“ sicher auch traumatische Erlebnisse aufgearbeitet hat, sondern auch zur Aktivistin, die für bessere Lebensverhältnisse in ihrer alten Heimat kämpft. Loung Ung setzt sich für Frauenrechte ein, kämpft gegen den Einsatz von Kindersoldaten und war Sprecherin der Kampagne gegen Landminen.

Die Fortsetzung ihrer Geschichte beschreibt sie in „Lucky Child“ und „LuLu in the Sky“. Beide Bücher konnten aber nicht an den Erfolg von „Der weite Weg der Hoffnung“ anknüpfen, das in neun Sprachen übersetzt wurde und 2001 den Preis „Excellence in Adult Non-fiction Literature“ der Asian/Pacific American Librarians’ Association gewann. Angelina Jolie will das Buch demnächst verfilmen.  Katja Dombrowski

Relevante Artikel

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.