IWF

Brasilianische IWF Erfahrungen

In Argentinien führte eine Finanzkrise im Winter 2001/2002 zu Staatsbankrott und dem Kollaps der Volkswirtschaft. Wenige Monate später spitzten sich Finanzprobleme in Brasilien zu, aber ein großzügiger Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) sorgte schnell für einen neuen Aufschwung. Trotz ähnlicher Ausgangsbedingungen war die Lage in Brasilien dank klügerer Regierungspolitik viel günstiger.
Fernando Henrique Cardoso und Lula da Silva im Herbst 2002. Scorza/picture-alliance/dpa Fernando Henrique Cardoso und Lula da Silva im Herbst 2002.

Der IWF wollte nicht, dass die argentinische Krise auf Brasilien übergriff. Zudem hoffte er, Brasiliens Politik langfristig zu beeinflussen. Es war absehbar, dass der Sozialist Lula da Silva die Präsidentschaftswahlen gewinnen würde. Die Angst vor ihm trug auch zu dem Kapitalabfluss bei, der Brasiliens Finanzprobleme verschärfte. Lula versprach dann in einem „Brief an die Brasilianer“, Verträge einzuhalten und die wirtschaftspolitischen Grundlinien von Präsident Fernando Henrique Cardoso nicht zu ändern. Daraufhin gewährte der IWF Brasilien einen Kredit von 30 Milliarden Dollar, der nicht mit weiteren strengen Auflagen verbunden war. Die Finanzspritze stoppte die Kapitalflucht und half, Engpässe zu überwinden.

Lula äußerte zuvor und auch danach immer wieder Kritik am IWF. Das Versprechen, Cardosos Strategien beizubehalten, fiel ihm aber nicht schwer. Tatsächlich hatte Cardoso auf intelligente und ungewöhnlich erfolgreiche Weise die Ökonomie stabilisiert.

Brasilianer erinnern sich an die 80er Jahre als verlorenes Jahrzehnt, aber in den 90er Jahren setzte ein langer Aufschwung ein. Wie Argentinien hatte Brasilien eine Militärdiktatur hinter sich und Jahre der ökonomische Instabilität durchgemacht (siehe Artikel von Jorge Saborido). Bis Anfang der 90er Jahre prägte heftige Inflation Brasiliens Wirtschaft. Daran änderten vier Währungsreformen nichts. Da alle Wirtschaftsakteure mit weiterer Teuerung rechneten, knüpften sie wichtige Transaktionen an Preisindizes. Solch ein automatischer Inflationsausgleich verstetigt aber die Preissteigerungen. Ein weiteres Problem war, dass staatliche Banken politisch motivierte Darlehen vergaben, ohne auf betriebswirtschaftliche Daten zu achten. 1993 betrug die Inflationsrate katastrophale 2500 Prozent.

Als Finanzminister gelang es Cardoso jedoch, die Inflation zu stoppen. Wichtige Elemente seiner Währungsreform („Plano Real“) waren:

  • Preise und Löhne wurden nicht mehr an Inflationsindizes gebunden, sondern sollten sich am Wechselkurs des Dollars orientieren.
  • Die Staatsfinanzen wurden nicht nur mit Ausgabenkürzungen, sondern auch mit Steuererhöhungen und Privatisierungserlösen saniert.
  • Die Privatisierung ineffizienter Staatsbetriebe wurde mit Augenmaß betrieben und unterband unter anderem die unverantwortliche Kreditvergabe öffentlich-rechtlicher Banken.

In der Folge gewann Cardoso die Präsidentschaftswahlen von 1994 und 1998. Seine Wirtschaftspolitik blieb auf Stabilität ausgerichtet, strebte aber keinen möglichst kleinen Staat an. Armutsbekämpfung war Cardoso wichtiger. Familien mit geringem Einkommen erhielten nun beispielsweise Sozialhilfe („Bolsa Familia“), wenn ihre Kinder geimpft waren und zur Schule gingen. Der Dollar diente als Leitwährung, aber der Wechselkurs war nicht fixiert. Die Inflation fraß nicht mehr die Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten auf.

Brasiliens hat viele Menschen und eine große Volkswirtschaft. Obendrein ist die verarbeitende Industrie seit jeher relativ stark. Aus diesen Gründen sind Ein- und Ausfuhren im Vergleich zur Binnenwirtschaft weniger wichtig als beispielsweise in Argentinien. Die Regierung in Brasilia kann eine vergleichsweise eigenständige Wirtschaftspolitik verfolgen; völlig unabhängig von globalen Trends ist das Land aber nicht.

Der IWF fand Cardosos Politik sinnvoll. Er unterstützte sie mit Krediten, die Brasilien aber immer bedienen konnte. Lula setzte Cardosos Politik fort und baute die Sozialprogramme aus. Er zahlte das IWF-Geld so schnell wie möglich zurück und hielt zum Fonds kritische Distanz. Im Zuge der globalen Finanzkrise ab 2008 erhöhte er dann Brasiliens Kapitalbeteiligung am IWF, um mehr Einfluss zu gewinnen.

Heute ist die Lage komplett anders. Der lange Boom endete 2016 in einer Rezession, und die Wirtschaft erholt sich nur langsam. Das Land steckt in einer tiefen politischen Krise (siehe mein Kommentar in E+Z/D+C e-Paper 2018/07, S. 11), und Lula sitzt wegen eines umstrittenen Korruptionsurteils im Gefängnis.

Dürfte Lula bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober antreten, würde er den Umfragen nach vermutlich gewinnen. Die Justiz lässt seine Kandidatur aber nicht zu. In den Umfragen liegt ein rechtsradikaler Kandidat weit vorn. Brasiliens politische Zukunft ist höchst ungewiss – nicht zuletzt weil die Sozialausgaben eingefroren wurden und gesellschaftliche Spannungen entsprechend wieder stark zugenommen haben. Der verheerende Brand des Nationalmmuseums im ehemaligen Königspalast in Rio de Janeiro Anfang September wird von vielen als Symbol des Niedergangs wahrgenommen.


Carlos Albuquerque arbeitet für das brasilianische Programm der Deutschen Welle.
carlos.albuquerque@gmx.de

 

Korrektur: Der letzte Absatz wurde am 34.9. um 8:50 MESZ aktualisiert und um den Museumsbrand sowie die Richterentscheidung, Lula nicht kandidieren zu lassen, ergänzt.

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