Umweltpolitik

Glück und Zufriedenheit

Schulstreiks haben gezeigt, dass sich viele Teenager weltweit für Klimaschutz engagieren. Ihre Zukunft hängt davon ab, dass die Transformation zur Nachhaltigkeit gelingt. Viele junge Umweltbewegte dürften Mike Berners-Lees Buch „There is no planet B“ nützlich finden.
Regenwald wird in Brasilien noch immer zu Weideland. Ron Giling/Lineair Regenwald wird in Brasilien noch immer zu Weideland.

Die Unterzeile des Titels verspricht ein „Handbuch für die entscheidenden Jahre“ zu sein. Diesem Anspruch wird das Werk gerecht. Es deckt eine große Bandbreite von Themen ab: von Nahrungssicherheit über Energie und Wirtschaftstheorie bis hin zur Bedeutung von „Wahrheit“ und „Fakten“. Berners-Lee ist Professor am Institute for Social Futures an der Universität Lancaster.

Der Ausgangspunkt ist eine kurze Erklärung des Begriffs „Anthropozän“, das vom Menschen geprägte Erdzeitalter („anthropos“ heißt auf Altgriechisch „Mann“ und „Mensch“). Tatsächlich hat unsere Spezies schon immer auf die Umwelt eingewirkt, aber erst seit einigen Jahrzehnten geschieht das in einem Maß, das die gesamte Ökologie des Planeten bedroht. Wird die Natur noch weiter ausbeutet, werden die Grundlagen unseres Lebens zerstört.

Wie der Autor das Themenfeld Nahrung und Landwirtschaft beackert, ist ein gutes Beispiel für seinen Umgang mit komplexen Zusammenhängen. Er beginnt mit grundlegenden Informationen: Menschen bräuchten im Schnitt täglich 2350 kcal, und weltweit stelle die Landwirtschaft fast zweieinhalb Mal so viel bereit – nämlich 5940 kcal pro Kopf und Tag. Dennoch bekämen rund 800 Millionen Menschen nicht genug zu essen, was vor allem daran liege, dass sie zu arm seien, um sich die durchaus vorhandene Nahrung zu kaufen.

Das liegt, wie das entsprechende Kapitel erklärt, mit daran, dass ein Großteil des Getreides, das Menschen essen könnten, an Tiere verfüttert werde, um Fleischkonsum wohlhabenderer Verbraucher zu ermöglichen. Das Futter sei so teuer, dass manche Menschen es sich nicht leisten könnten.

Der Klimawissenschaftler Berners-Lee erläutert solche Dinge anschaulich. Er fordert nicht, dass wir nun alle Vegetarier werden, aber er erwartet schon, dass wir bewusst konsumieren.


Wie Hunger beseitigt werden kann

Berners-Lee führt aus, dass Hunger nicht einfach durch Produktionssteigerung beseitigt werden kann. Das wäre nicht umweltverträglich, zumal Landwirtschaft und Landnutzungspraktiken fast ein Viertel des weltweiten Klimagasausstoßes verursachen. Zudem könne Ackerland nicht beliebig ausgedehnt werden, denn Naturflächen sind für den Schutz der Artenvielfalt unabdingbar. Waldvernichtung zugunsten des Ackerbaus oder der Tierhaltung sei mittlerweile inakzeptabel.

Um Hunger zu beseitigen, ist aus Sicht des Wissenschaftlers Wandel auf mehreren Ebenen nötig. Zentrale Elemente sind laut Berners-Lee:

  • Es darf nicht mehr so viel Getreide der Viehhaltung verfüttert werden.
  • Einkommen dürfen nicht mehr so weit auseinanderklaffen.
  • Die Lebensmittelverschwendung muss reduziert werden.
  • Die Speicher-, Lagerungs- und Transportinfrastruktur muss besser werden.

Aus Sicht von Berners-Lee ist das mit ausreichender und wohlschmeckender Nahrung für alle vereinbar und wäre auch mit Blick auf die menschliche Gesundheit vielversprechend. Wie der Akademiker ausführt, schlucken Tiere derzeit rund zwei Drittel aller Antibiotika. Er warnt, dass weltweit die Antibiotikaresistenzen zunähmen, die Entwicklung alternativer Medikamente aber nur langsam vorankomme. Das Missverhältnis könne schon bald unangenehme Konsequenzen haben (siehe hierzu auch Mirza Alas in der Debatte im E+Z/D+C-e-Paper 2019/04).

Er erklärt auch, warum Fisch keine umweltfreundliche Alternative zu Fleisch ist. Er nennt Überfischung, ausbeuterische Arbeitsbedingungen und verheerende ökologische Folgen von Aquakulturen. Also rät er, Fisch nicht als Alltagsnahrung, sondern nur bei besonderen Anlässen zu konsumieren. Supermarktmanager sollten Lieferketten sorgfältig prüfen – auch in Hinsicht auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit. Regierungen müssten die Wirtschaft mit stimmigen Gesetzen regulieren. Multilaterale Abkommen seien nötig, weil es um globale Probleme gehe, die Nationalstaaten überforderten. Eine Stärke des Buchs ist die Verbindung von komplexen Szenarien mit konkreten Handlungsoptionen auf verschiedenen Ebenen.

Der Ökowissenschaftler spricht sich klar gegen den Flugzeugtransport von Obst oder Schnittblumen aus, erwähnt aber zugleich, dass der Anbau in Gewächshäusern nicht besser sei. Er empfiehlt, den Konsum der Jahreszeit anzupassen. Flugreisen lehnt er nicht grundsätzlich ab, fordert aber reflektierte Entscheidungen, denn Bürger, Wirtschaft und Politik seien alle auf ihre Weise für die Reduktion von Klimagasemissionen verantwortlich.

Dabei müssen sie sich an Fakten halten und auf relevante Richtgrößen achten. Der Autor erläutert in leicht verständlicher Sprache, warum das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts kein sinnvoller Maßstab ist. Es erfasst nur Geldzahlungen, aber nicht menschliche Wohlfahrt. Wenn Nachkommen altersschwache Großeltern pflegten, gehe das nicht ins BIP ein, bezahlte Altersheimleistungen aber sehr wohl. Sinnlose Werbung steigere das BIP ebenso wie Geldwäsche, die Verbrechenserlöse in die Finanzwirtschaft einspeise.

Sein Blick auf die Arbeitswelt entspricht diesem Denken. Ein Arbeitsplatz sei dann gut, wenn er nützlich, befriedigend und anständig bezahlt sei. Wirtschaftszweige wie Glücksspiel oder Waffenproduktion seien dagegen schädlich. Allzu viele Menschen verrichteten Arbeit, die sie hassten.

Letztlich fordert Berners-Lee uns zu konsequentem Umdenken auf:

  • Früher habe es gereicht, in lokalen Kontexten zu denken, aber im Anthropozän komme es auf globale Zusammenhänge an. Das erfordere globale Empathie und globale Verantwortung.
  • Langfristige Perspektiven seien nötig. Politiker hangelten sich aber normalerweise nur von Wahl zu Wahl, was aber nicht mehr reiche, weil menschliche Eingriffe die Umwelt dauerhaft und irreversibel veränderten.
  • Derweil bleibe es unerlässlich, auf „einfache, kleine und örtliche“ Dinge zu achten. Es habe schließlich keinen Sinn, ständig „mehr zu haben, mehr zu verbrauchen, mehr zu machen und nach mehr und mehr zu streben, wenn wir all das gar nicht richtig wahrnehmen“. Selbstreflexion fördere die Einsicht, „dass genug genügen kann“.
  • Kritisches Denken sei angesichts der aktuellen Informationsflut wesentlich: Quellen müssten geprüft und Behauptungen mit Gegenbehauptungen abgewogen werden.
  • Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, machten multidisziplinäres Denken nötig. Technologie allein werde Probleme ebenso wenig lösen wie Politik, Religion oder Sozialwissenschaften.

Berners-Lee gibt zu, dass seine Agenda sehr anspruchsvoll ist. Sein Buch ist aber nicht deprimierend. Es stimmt sogar optimistisch. Es erläutert nicht nur, welche Gefahren drohen, sondern auch, warum nachhaltige Lebensstile befriedigender und gesünder wären. Der Autor verspricht Freude und Zufriedenheit, nicht armselige Austerität.


Buch
Mike Berners-Lee, 2019: There is no planet B. A handbook for the make or break years. Cambridge: University Press.

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