Staatsfinanzen

„Steuern stören kaum“

Ein gesundes Geschäftsklima hängt auf vielfältige Weise von guter Staatsführung ab. Omari Issa von der Investment Climate Facility for Africa erklärt die Zusammenhänge im Interview mit Hans Dembowski von E+Z/D+C.


Interview mit Omari Issa

In Deutschland fürchten viele Menschen ein „Race to the bottom“, weil verschiedene Länder mit niedrigen Steuersätzen um Investoren werben. Trifft das auf Afrika zu?
Nein, nicht wirklich, obwohl manche afrikanische Länder durchaus versuchen, mit niedrigen Steuern Investoren anzulocken. Aber Investoren interessieren sich nicht nur für Steuern. Sie schauen sich das Gesamtbild an. Gibt es Strom? Ist die Versorgung damit zuverlässig und erschwinglich? Und wie sieht es mit Wasser aus? Sind die Straßen in einem vernünftigen Zustand? Arbeitskosten spielen auch eine Rolle – aber nicht nur im Sinn von Nominallöhnen. Worauf es wirklich ankommt, ist die Relation von Löhnen zur Qualifikation der Leute. Alle Investoren – ob sie nun aus dem Ausland kommen oder nicht – müssen diese Faktoren berücksichtigen. Meist neigen sie dazu, lieber 20 Prozent Steuern auf Umsatz oder Gewinn zu zahlen, als ohne gute Infrastruktur und fähige Arbeitnehmer auskommen zu müssen.

Also ist ein leistungsfähiger öffentlicher Sektor, der eine ordentliche physische und soziale Infrastruktur gewährleistet, wichtiger als Steuersätze?
Amts- und Regierungsführung spielen auf verschiedene Weise eine Rolle. Die Regeln, die für Firmen gelten, müssen kohärent, konsistent und einigermaßen vorhersehbar sein. Es ist für jeden Investor ein Albtraum, wenn ein Spitzenmann einer Regulierungsbehörde morgens aufwachen und spontan entscheiden kann, beispielsweise die Stromgebühren zu erhöhen. Investoren müssen genau kalkulieren, und solche plötzlichen Veränderungen machen ihnen einen Strich durch die Rechnung. Auf die Justiz kommt es auch an, um Verträge durchsetzen zu können. Investoren schätzen es, wenn sie Geschäftspartner, die ihre Verpflichtungen nicht einhalten, zur Rechenschaft ziehen können. Deshalb trägt eine effiziente, transparente und faire Gerichtsbarkeit zu einem guten Umfeld für Investitionen bei. Sogar das öffentliche Gesundheitswesen und die Qualität von Wohnungen können für Investitionen relevant sein – denn wo für diese Dinge gesorgt ist, ist es leichter, qualifiziertes Personal zu finden. Steuersätze allein locken keine Investoren an.

Aber deutsche Wirtschaftsverbände klagen dennoch über Steuern.
Niemand zahlt gern Steuern, aber die meisten Geschäftsleute akzeptieren sicherlich, dass sie grundsätzlich nötig sind. Unternehmer mögen aber Unberechenbarkeit nicht. Sie wollen nicht Geld in ein neues Vorhaben stecken und dann zur Halbzeit erfahren, dass sie höhere Steuern als erwartet zahlen müssen, nur weil mittlerweile ein neuer Finanzminister im Amt ist. Um für Investoren attraktiv zu sein, muss ein nationales Steuersystem deshalb einigermaßen stabil und konsistent sein. Investoren dulden es auch nicht, wenn Steuersysteme formal lästig sind. Gelegentliche Steuerprüfungen sind okay, aber wenn wochen- oder sogar monatelang Finanzbeamte in der Firma sind und ohne Ende Unterlagen prüfen, wird das zu einer Art permanenter Prüfung, die nur permanentes Misstrauen widerspiegelt. Das System sollte einfach sein, ohne vielfältige Formulare und komplizierte Verfahren auskommen und nicht viel Zeit erfordern.

Bitte nennen Sie ein Beispiel.
In vielen afrikanischen Ländern müssen Unternehmen Vorauszahlungen für die Mehrwertsteuer leisten. Wenn es lange dauert und mühsam ist, die entsprechenden Beträge später erstattet zu bekommen, schadet das. Wenn die Firmen Monate oder noch länger warten müssen, unterhöhlt das ihre Finanzen. Sie brauchen ihr Geld, um zum Beispiel Zulieferer und Arbeitnehmer zu bezahlen.

Welche Reformen helfen, das Investitionsklima zu verbessern?
Ein Ansatzpunkt, den wir befürworten, ist Verbraucherschutz. Die Steuerverwaltung muss mit den Bürgern kooperieren. Sie darf nicht nur das Gesetz anwenden, sondern sollte es leicht machen, Steuern zu zahlen. Wir sagen den Finanzbehörden, mit denen wir kooperieren: Stellt euch vor, es gäbe außer euch noch jemanden, der für den Staat Geld einzieht, das aber auf freundlichere Weise tut. Dort würden sich alle Steuerzahler hinwenden. Steuerverwaltungen tragen durch Bürgerorientierung zu einem besseren Investitionsklima bei. Sie können beispielsweise erlauben, Steuererklärungen online abzugeben. Wenn die Verfahren nicht zu lästig sind, werden mehr Unternehmen freiwillig Steuern zahlen.

Sie denken offenbar daran, den informellen Sektor zu formalisieren.
Ja, aber nicht in erster Linie, um das Steueraufkommen zu steigern. Die Formalisierung muss aus Sicht der kleinen und mittleren Unternehmen, von denen die meisten in Afrika nicht amtlich registriert sind, sinnvoll sein – und es gibt auch tatsächlich stimmige Anreize. Gemeldete Firmen haben bessere Aussichten auf Kredite von Geschäftsbanken, und die verlangen niedrigere Zinsen als traditionelle Pfandwucherer. Gemeldete Firmen haben auch bessere Chancen, Verträge vor Gericht durchzusetzen. Sie finden zudem eher qualifiziertes Personal auf der Basis von Leistung, und hängen nicht mehr davon ab, in erster Linie Verwandte zu beschäftigen. Sie sehen, ich rede schon wieder von Amts- und Regierungsführung in einem umfassenden Sinn – und so sehen das auch die Investoren. Wo diese Dinge stimmen, stören Steuern Investoren kaum.

Den informellen Sektor kontrollieren typischwerweise Mafia-ähnliche Organisationen. Sie kassieren Schutzgeld und versprechen, dass das Geschäft dann läuft.
Ja, und in gewisser Weise ist das Schutzgeld wie eine Steuer, nur eben informell und illegal. Denken Sie an die Minibusse in vielen afrikanischen Städten: Ihre Eigentümer zahlen irgendwelchen illegalen Banden Geld, um Kunden zu bekommen und auf ihren Routen nicht zu harter Konkurrenz ausgesetzt zu sein. In gewisser Weise ist das ein selbstregulierendes System. Es ist auch kein afrikanisches Phänomen. Von New Yorker Pizzerien heißt es auch, dass sie Schutzgeld zahlen.

Und das sagt man auch von Frankfurter Restaurants. Aber wenn Sie die Dinge ändern wollen, stoßen Sie auf den Widerstand der Schutzgeld-Mafia.
Ich wäre mir da nicht so sicher. Nehmen wir noch mal das Beispiel der Minibusse. Diese Unternehmen könnten von Formalisierung profitieren. Ihre Rechts­lage würde sich verbessern, und viele Dinge könnten von der Polizei geregelt werden, was vermutlich billiger wäre. Ganz grundsätzlich kann Formalisierung den Wandel von einem Eine-Million-Dollar-Unternehmen zu einem Zehn-Millionen-Dollar-Unternehmen bewirken. Angesichts solcher Wachstumsaussichten kümmert sich kein Investor mehr um 20 Prozent Steuern.

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