Strategische Ausrichtung

Die Entdeckung des Zweitnutzens

Unternehmen verfolgen Partikularinteressen, während die Entwicklungspolitik für das Gemeinwohl sorgen muss. Es gibt Schnittmengen – aber die Bundesregierung tut nicht genug, um diese zu vergrößern, wie Uli Post, der Vorsitzende des Verbands Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO), schreibt.


Von Uli Post

Die Ansichten des deutschen Entwicklungsministers zur Zusammenarbeit mit der Wirtschaft sind in der Öffentlichkeit nicht unumstritten. So schrieb die Wochenzeitung Die Zeit: „Vor Industriellen versichert er, es sei legitim, Geld zu verdienen. In Interviews stellt er deutsche Rohstoffinteressen heraus, denn ,es ist nichts Böses oder Unanständiges, wenn man sich um Rohstoffe kümmert, man braucht sie wirklich‘. Deutlich distanziert er sich vom karitativen Denken in der Entwicklungshilfe … Er sagt zum Beispiel: ,Es ist einfach ehrlicher zu sagen, dass auch wir Interessen haben.‘“

So stand es in der Zeit, allerdings schon am 31. Januar 1975; gemeint war auch nicht Dirk Niebel, sondern der SPD-Politiker Egon Bahr. Die Idee des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), der Kooperation mit der Wirtschaft einen höheren Stellenwert einzuräumen, scheint also weder von Parteizugehörigkeit abzuhängen noch richtig neu zu sein.

Grundlage des wiedererwachten Interesses ist der Koalitionsvertrag von 2009, in dem es heißt: „Entwicklungspolitische Entscheidungen müssen die Interessen der deutschen Wirtschaft, insbesondere des Mittelstands, angemessen berücksichtigen.“ Da ist er wieder: der berühmt-berüchtigte „Zweitnutzen“ der Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Sie soll nicht nur Armut überwinden helfen, sie sollte auch vierzig Jahre lang den Sozialismus eindämmen, sie soll den Terrorismus bekämpfen, den Klimawandel aufhalten, Migranten fernhalten, die Rohstoffversorgung sichern, neue Arbeitsplätze bei uns schaffen und die Interessen des deutschen Mittelstandes angemessen berücksichtigen. Es geht also zu einem Gutteil um den Nutzen, den wir daraus ziehen. Da ist es kein Wunder, dass die EZ bei der Armutsbekämpfung weniger erfolgreich ist, als wir alle uns das wünschen.

Aus Sicht der Nichtregierungsorganisationen (NRO) ist die deutsche EZ an ihrem Beitrag zur Überwindung von Armut oder vielleicht sogar zu Good Governance zu messen, nicht aber an den Aufträgen für deutsche Firmen. Dafür sind andere Ressorts zuständig. Die deutschen NRO würden es trotzdem sehr begrüßen, wenn deutsche Firmen, gerne auch mittelständische, in Burkina Faso oder Haiti Gewinne erwirtschaften, indem sie langfristige und menschenwürdige Arbeitsplätze schaffen, die das Steueraufkommen in beiden Ländern erhöhen. Nur: Müssen sie dafür wirklich mit BMZ-Geldern subventioniert werden? Es ist nicht Aufgabe der EZ, Außenwirtschaftsför­derung zu betreiben. Es wäre vielmehr nötig, die In­strumente der Außenwirtschaftsförderung, etwa die Hermes-­Bürgschaften, auf ihren entwicklungspolitischen Nutzen zu prüfen.

Richten manche Investitionen nicht mehr Schaden an, als sie Nutzen stiften? Werden einheimische Unternehmen vom Markt verdrängt? Werden einheimische Arbeitskräfte eingestellt? Bekommen sie vernünftige Löhne? Investiert das Unternehmen auch in die Ausbildung seiner Arbeiter? Steigt das Steueraufkommen? Wie profitiert das Land von der Investition? Damit sollte sich die EZ beschäftigen.

Das BMZ führt eine Reihe von Kooperationsprojekten mit deutschen und europäischen Unternehmen durch. Dafür gibt es aus NRO-Sicht sinnvolle Kriterien wie Wettbewerbsneutralität, Leistung eines Eigen­beitrags, Kompatibilität mit entwicklungspolitischen Grundsätzen der Bundesregierung. Es ist aber unklar, ob die Einhaltung der Kriterien überprüft wird. Wir meinen, die EZ sollte sich bei diesen Projekten auf Länder und Sektoren konzentrieren, die externe Unterstützung brauchen, weil sie für die Privatwirtschaft sonst uninteressant wären.

EZ-geförderte Kooperationen sollten zudem international vereinbarten Standards wie den Prinzipien der Paris Declaration on Aid Effectiveness unterliegen. Auch offene oder verdeckte Lieferbindungen im Rahmen solcher Zusammenarbeit lehnen wir ab. Last but not least wünschen wir uns, dass die speziell aufgelegten PPP-Programme auf Unternehmen aus Entwicklungsländern ausgeweitet werden.

Annäherung von NRO und Unternehmen

Auch aus Sicht der NRO ist die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Privatwirtschaft eine zentrale Voraussetzung von Entwicklung, also der Befreiung aus der Armut. Wie anders als durch Steuereinnahmen sollen denn die Staatsausgaben etwa für die Bereitstellung öffentlicher Güter und sozialer Dienstleistungen bezahlt werden? Das kann nicht ewig durch ausländische Hilfe geschehen.

Besonders wichtig ist, dass einheimische Firmen Arbeitsplätze schaffen. Hier tut sich auch ein Betätigungsfeld für die deutsche EZ auf, beispielsweise durch die Förderung des Aufbaus von Wertschöpfungsketten lokaler Unternehmen innerhalb von Ländern oder Regionen.

Eine wirtschaftsfreundliche Entwicklungspolitik engagiert sich überdies für bessere nationale und internationale Rahmenbedingungen. Es geht um die Bekämpfung von Klientelwirtschaft und Korruption, die Schaffung fairer Handelsbedingungen oder mehr Regulation "entwicklungsschädlicher“ Aktivitäten wie der Indexspekulation auf Agrarrohstoffmärkten. Sie sollte sich darüber hinaus, beispielsweise im Rahmen der WTO, dafür einsetzen, dass
– arme Entwicklungsländer nicht in ruinösen Wettbewerb getrieben werden, sondern ihre Binnenmärkte insbesondere bei Grundnahrungsmitteln vor ausländischer Konkurrenz schützen dürfen, wenn die einheimischen Produzenten noch nicht konkurrenzfähig sind, und dass
– unter einem solchen, temporären Zollschutz die Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Produktion erhöht und breitenwirksames Wachstum ermöglicht wird.
Selbstverständlich sollte die Entwicklungspolitik auch dazu beitragen, dass die großen Chancen des regionalen Handels beispielsweise in Afrika genutzt werden.

Das Verhältnis von NRO und Privatwirtschaft war lange Zeit von einem gewissen gegenseitigen Misstrauen geprägt. Mittlerweile ist es auch auf NRO-Seite unumstritten, dass ohne stärkeres privatwirtschaft­liches Engagement zentrale Entwicklungsziele nicht erreicht werden können. Ebenso unumstritten ist auch, dass sich wirtschaftliche Investitionen in Entwicklungsländern an sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen „Leitplanken“ orientieren müssen, wenn sie auch zu einer dauerhaften Verbesserung der Lebensbedingungen ärmerer Bevölkerungsschichten beitragen sollen.

Viele NRO haben in den letzten Jahren Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Unternehmen oder in der kritischen Beobachtung von wirtschaftlichen Aktivitäten gemacht. NRO haben besondere Kompetenzen erworben im Bereich Mikrofinanzen oder bei der Produktion und Vermarktung in Kleingewerbe und Landwirtschaft. Sie sind näher an den armen Bevölkerungsgruppen dran und können sie eher dabei unterstützen, Marktchancen zu nutzen und mit den Risiken klug umzugehen. Sie fördern und begleiten Veränderungsprozesse. Von diesen Erfahrungen können Unternehmen lernen – und sind in wachsendem Maße auch dazu bereit.

Für NRO steht in der Regel im Vordergrund, wie arme Bevölkerungsgruppen in politische, soziale, aber eben auch wirtschaftliche Prozesse integriert werden können. Deshalb ist die Kooperation mit NRO Teil der Corporate-Social-Responsibility-Programme vieler Unternehmen. Wenn Unternehmen soziale, ökologische oder menschenrechtliche Standards nicht beachten, kommt den NRO eher die Rolle von Wachhunde zu, die notfalls auch skandalisieren können – wie in der Vergangenheit häufig geschehen.

In der Wirtschaft steht das Einzelinteresse im Vordergrund. Politik, und insbesondere die Entwicklungspolitik, verfolgt gemeinwohlorientierte Ziele – oder sollte es jedenfalls. Es ist Aufgabe der Politik, die Schnittmengen zwischen Einzelinteressen und Gemeinwohl zu vergrößern – und im Zweifelsfall das Gemeinwohl zu verteidigen. Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung tut das nicht.

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