Menschliche Sicherheit

Globales Schweigen trotz Genozid-Anzeichen

Mehr als 500 000 Rohingya – vor allem Frauen und Kinder – sind in den vergangenen Wochen nach Bangladesch geflohen. Tausende starben auf der Reise. Bangladesch ringt mit einer humanitären Krise, weil die Armee Myanmars als Reaktion auf den Angriff einer bewaffneten Rohingya-Organisation auf Polizeistationen und ein Militärlager am 25. August nun brutal gegen die gesamte Volksgruppe vorgeht.
Improvisiertes Flüchtlingslager im äußersten Südosten von Bangladesh. Zakir Hossain Chowdhury / picture-alliance / NurPhoto Improvisiertes Flüchtlingslager im äußersten Südosten von Bangladesh.

Die Rohingya sind eine muslimische Minderheit im Bundesstaat Rakhine in Myanmar. Sie sind Diskriminierung ausgesetzt. Das überwiegend buddhistische Myanmar erkennt sie nicht einmal als Staatsbürger an. Seit langem fliehen Rohingya aus dem Land – vor allem ins benachbarte Bangladesch. 

Die aktuelle Krise ist besonders schlimm. Für Zeid Ra’ad Al Hussein, den Hohen Kommissar der UN für Menschenrechte, ist sie ein „Lehrbuch-Beispiel ethnischer Säuberungen“. Berichtet wird von willkürlichen Tötungen, niedergebrannten Dörfern und Feldern, Vergewaltigungen und dem „Verschwinden“ von Menschen. Die Täter gehören der Armee an. Soldaten wird vorgeworfen, auf Flüchtlinge geschossen, den Boden vermint und Grenzzäune elektrifiziert zu haben. Weniger bekannt ist, dass unter den Binnenvertriebenen auch 30 000 Menschen sind, die nicht Muslime sind, und dass auch Hindus über die Grenze von Myanmar nach Bangladesch kommen. 

Dies ist die zweite große Repressionswelle, seit Aung San Suu Kyi 2015 an die Macht kam. Die Nobelpreisträgerin hat zwar kein Regierungsamt inne, hält aber als Chefin der Regierungspartei die Zügel in der Hand. Dass sie schweigend zuschaut, wie das Militär Menschenrechte einer Minderheit verletzt, verstört zutiefst.

Bangladesch muss mit dieser Krise bislang allein fertig werden. Die Regierung sagt zwar, dass alle Flüchtlinge irgendwann heimkehren müssen. Ihre Priorität ist aber, Leben und Gesundheit der Betroffenen zu schützen. Bangladesch ist ein sehr kleines, armes Land mit einer riesigen Bevölkerung von 160 Millionen. Schätzungen zufolge lebten hier vor der aktuellen Krise bereits 500 000 Rohingya, und nun ist die Zahl wohl auf über eine Million gestiegen. Bangladesch ist überfordert. 

Die Türkei, Indonesien und Malaysia haben schnell reagiert und Hilfe für die Unterbringung und Integration der Flüchtlinge in Bangladesch versprochen. Auch Deutschland und der Iran haben Unterstützung zugesagt. Es reicht aber nicht, wenn andere Nationen Geld und Lebensmittel schicken. Sie sollten selbst Rohingya-Flüchtlinge aufnehmen – zumindest zeitweise. 

Trotz klarer Anzeichen von Völkermord haben Weltgemeinschaft und westliche Medien lange geschwiegen. Der UN-Sicherheitsrat hatte das Thema zwei Mal auf der Tagesordnung. Die erste Sitzung ergab einen Aufruf an Myanmar, die Gewalt einzustellen. Die zweite blieb ergebnislos.

Indiens Haltung ist fragwürdig. Ministerpräsident Narendra Modi hat in Myanmar im September Unterstützung für die Regierung geäußert. Seine Partei ist für islamfeindliche Haltungen bekannt. Seine Regierung will Rohingya-Flüchtlinge, denen sie „Terrorismus“ vorwirft, abschieben, kann das aber wegen eines schwebenden Verfahrens beim Obersten Gericht zurzeit nicht tun. Indien will definitiv keine zusätzlichen Flüchtlinge aufnehmen. Einerseits verspricht Modi Bangladesch Reislieferungen, andererseits erwägt er Waffenverkäufe an Myanmars Militär. 

China und Russland stehen hinter Myanmar. Die USA zeigen keinerlei Willen einzugreifen. Also kommt es nun auf Bangladeschs Fähigkeit an, in Gesprächen mit Myanmar etwas zu erreichen. Dhaka äußert Zuversicht bezüglich einer friedlichen Lösung und hat sogar geduldet, dass Militärhubschrauber aus dem Nachbarland zwei Mal seinen Luftraum verletzten. Eine interessante Wendung ist, dass Bangladesch Reis aus Myanmar einführen will.

Die UN müssen das Problem der ethnischen Säuberung in Myanmar endlich ernst nehmen. Sie haben eine internationale Schutzverantwortung. Offenbar ist eine echte Lösung unmöglich, solange Myanmar die Rohingya nicht als Staatsbürger anerkennt.

Bangladesch handelt. Andere Länder müssen auch Druck auf Myanmar machen. Die wachsende internationale Aufmerksamkeit zeigt bereits Wirkung, denn Myanmar hat sich widerwillig bereit erklärt, „einige“ Flüchtlinge zurückzunehmen. Derweil geht allerdings die Verfolgung im Land weiter.


Ridwanul Hoque ist Juraprofessor an der Universität von Dhaka.
ridwandulaw@gmail.com

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