Menschenrechte

Modi-Regierung agiert zunehmend repressiv

Indien gilt generell als größte Demokratie der Welt. Internationale Beobachter stufen sie aber wegen eingeschränkter Freiheitsrechte mittlerweile als mangelhaft ein.
Gedenken an Stan Swami in Kolkata im Juli 2021. picture-alliance/ZUMAPRESS.com/Sumit Sanyal Gedenken an Stan Swami in Kolkata im Juli 2021.

Der aktuelle Freedom House Report, der weltweit die Demokratiequalität prüft, stuft Indien nur als „teilweise frei“ ein. Die Fachleute von der Londoner Economist Intelligence Unit sprechen von „mangelhafter“ Demokratie. Es geht bergab, seit Premierminister Narendra Modi das Land regiert. Seine hinduchauvinistische BJP gewann 2014 mit nicht einmal 40 Prozent der Wählerstimmen eine absolute Parlamentsmehrheit. 2019 gelang ihr das wieder.

Wir erleben, wie Regierungskritiker systematisch mundtot gemacht werden. In den vergangenen Wochen gab es Ausschreitungen gegen Muslime im kleinen nordöstlichen Bundesstaat Tripura. Die Polizei startete darauf Ermittlungen gegen rund 100 Menschen, weil sie die Hindu-Extremisten in sozialen Medien kritisierten. Die Grundlage dafür bot das drakonische Gesetz Un­lawful Activities (Prevention) Act (UAPA).

Laut Verfassung ist Indien ein säkularer Staat, aber für Hindu-Chauvinistien sind Angehörige von anderer Religionen keine richtigen Inder. Vor zwei Jahren wehrte sich eine breite soziale Bewegung gegen ein neues Recht über Staatsbürgerschaft, das Muslime in mancher Hinsicht schlechterstellte. Das Zentrum der Bewegung war der Stadtteil Shaheen Bagh in Delhi (siehe Arfa Khanum Sherwani auf unserer E+Z/D+C-Plattform). Es ging auch um Polizeigewalt, mehr Arbeitsplätze und besseren Schutz für Frauen. Die Regierung diskreditierte diese weitestgehend gewaltfreie Bewegung, die Verfassungsprinzipien verteidigte, als gefährlichen Aufstand.

Die Bewegung endete im Frühjahr 2020 im Covid-19-Lockdown, nachdem andere Stadtteile der Hauptstadt von Krawallen erschüttert wurden, bei denen Moscheen brannten und rund doppelt so viele Muslime wie Hindus starben. Wie kürzlich in Tripura blieben hinduchauvinistische Gewalttäter weitgehend straffrei. Gegen viele, die ihnen widersprachen, wurde dagegen wegen UAPA-Vergehen ermittelt und Untersuchungshaft verhängt.

Eine neue Bauernbewegung hat sich in diesem Jahr gegen marktorientierte Reformen in der Landwirtschaft gewehrt. Im November zog die Regierung unter diesem Druck ihre Reformvorschläge zurück. Zuvor hatte sie aber monatelang auf Repression gesetzt und gewalttätige Auseinandersetzungen provoziert. Viele der Protestierenden waren Sikhs und nicht Hindus, und Modis Leute agitierten gegen sie besonders aggressiv.

Twitter wurde angewiesen, Tweets zu blockieren, wenn diese die Bauern unterstützten. Die Regierung sagte, das schütze die öffentliche Ordnung. Twitter und Facebook wurden dazu gebracht, Millionen von Konten zu sperren. Weiterhin wird jedoch in sozialen Medien der Hass auf Minderheiten angeheizt, wogegen die Modi-Regierung nichts tut.

Die Abschaltung des Internets während laufender Proteste ist mittlerweile normal. In Kaschmir gibt es ohnehin nur Zugang zu einer begrenzten Zahl von Websites. Monatelang war das Internet dort komplett tot – und zuvor hatte die Modi-Regierung den bislang einzigen mehrheitlich von Muslimen bevölkerten Bundesstaat mit seinen Sonderrechten aufgelöst (siehe hierzu auch Arfa Khanum Sherwani auf unserer E+Z/D+C-Plattform).

Amtlichen Angaben zufolge wurden in den vergangenen fünf Jahren mehr als 8300 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert – darunter Geistliche, Professoren, Dichter, Studenten, Anwälte, Journalisten und Kabarettisten. Gerichte haben das bereits als Machtmissbrauch beurteilt. Das prominenteste Opfer war vermutlich Stan Swamy, ein katholischer Geistlicher und Parkinson-Patient, der sich für Adivasis eingesetzt hatte. Ihm wurde Terrorismus vorgeworfen, er starb im Juli 2021 in Haft.

Verschiedene Gesetze können zum Angriff auf Regierungskritiker genutzt werden. Auch fest etablierte Medienmarken stehen unter Druck. Bei Dainik Bhaskar, einer Tageszeitung mit einer Auflage von 4,5 Millionen, tauchten die Steuerfahnder auf, nachdem das Blatt beschrieben hatte, wie die Regierung die wahren Opferzahlen von Covid-19 verheimlicht. Es spricht Bände, dass Amnesty International und Human Rights Watch heute keine Büros in Indien mehr haben.


Mira Mandal ist das Pseudonym, das die E+Z/D+C-Redaktion aus offensichtlichen Gründen unserer indischen Autorin gegeben hat.
euz.editor@dandc.eu

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