Schulfunk

Preisgekröntes Programm

Nach dem Ende der Apartheid musste der staatliche südafrikanische Rundfunk SABC in der entstehenden Demokratie eine neue Rolle finden. Ein Mitglied des Managements berichtet aus persönlicher Sicht, was erfolgreicher Wandel für Schulfunk und Bildungsprogramme bedeutet.


[ Von Fakir Hassen ]

1995 begann nach den ersten demokratischen Wahlen ein neues Kapitel in der Geschichte Südafrikas – nach Jahrzehnten der Apartheidregierung durch eine Minderheit. Die südafrikanische Funk- und Fernsehlandschaft wandelte sich schlagartig. Eben noch monopolistischer Staatssender mit fast unbegrenzten Mitteln für Propaganda, stand die South African Broadcasting Corporation (SABC) plötzlich im Wettbewerb mit anderen Sendern. Der öffentlich-rechtliche Sender brauchte ein neues Konzept – auch was linguistischen Pluralismus anging.

Im Zuge der Umstellungen bekam ich die Aufgabe, die neue Abteilung Educational Radio zu leiten. Ziel war die Reform des alten Schulfunks. Die Programme wurden in Englisch und in Südafrikas zehn weiteren Amtssprachen gesendet.

Ressentiments wegen Indoktrination

„Wenn es dir gelingt, den Schulfunk morgen abzuschaffen, küsse ich deine Stiefel“, versprach mir SABC-Intendant Reverend Hawu Mbatha. Viele Leute teilten seine eindeutige Ablehnung des bisherigen Schulfunks. Dessen Sendungen waren gestaltet worden, um die Apartheids-Doktrin zu fördern. Die rassistische Minderheit meinte, die Mehrheit der schwarzen Bürger müsse nichts über Mathematik und Naturwissenschaften wissen, sondern nur körperlich arbeiten.

Das Schulfunkkonzept führte zwar zu Unmut in den verschiedenen Sprachsendern. Dennoch waren diese gezwungen, das Programm täglich auszustrahlen. Angeblich wurden Radios und zusätzliches Material in den Schulen genutzt, so dass es hieß, die Sendungen förderten Bildung allgemein. In Wirklichkeit dienten die Radiogeräte längst anderswo anderen Zwecken – oder sie verstaubten im Büro des Schulleiters.

Eine meiner ersten Aufgaben war die Umstrukturierung einer SABC-Redaktion namens Safritel, die Bildungsprogramme für Radio und TV produzierte. Ihre Arbeit sollte künftig der neuen demokratischen Ordnung dienen. Es ging darum, qualifizierte Mitarbeiter mit ihrem Erfahrungsschatz nicht zu verlieren, sondern sie dazu zu bringen, sich den neuen Herausforderungen zu stellen. Wie zu erwarten, gab es drei verschiedene Reaktionen:
– einige Mitarbeiter konnten sich nicht mit der Reform identifizieren, und zwei von ihnen kündigten sogar;
– die zweite Gruppe war begeistert und
– die dritte setzte sich zögerlich mit den neuen Plänen auseinander.

Zwei Tage nach der Anordnung des Intendanten (und nur einen Tag zu spät, um ihn auf sein Versprechen bezüglich meiner Stiefel festzunageln) wurde die Ausstrahlung des alten Schulfunks auf allen Sendern gestoppt. Es gab einen spontanen Aufschrei bei Safritel, da teilweise Verträge mit Autoren für ein Jahr im Voraus bestanden. In einigen Fällen waren Beiträge für bis zu sechs Monate vorproduziert.

Doch wir ließen uns – mit Unterstützung von oben – nicht beirren und beschlossen, diese Verluste abzuschreiben, anstatt das alte Schulcurriculum weiter zu senden. Wir sprachen mit dem Bildungsministerium, um den Bildungsfunk an die neuen Lehrpläne anzupassen. Das dauerte einige Monate – und in der Zwischenzeit bekam das Bildungsfernsehen ebenfalls eine neue Leitung: Nicola Galombik.

Neustart

Die Reform des Bildungsfunks war schwierig. Wir stellten neue Redakteure ein, die in einem zentralen Team im Johannesburger SABC-Haupthaus recherchierten und Skripte schrieben. Zugleich wurden in den Sendern der verschiedenen Provinzen Produktionsteams gebildet, um die Skripte in die lokalen Sprachen zu übertragen. Wörtliche Übersetzung reicht nicht, nötig ist die Anpassung an die einzigartigen Idiome und die entsprechenden Kulturen.

Auch bei der Hörerschaft gab es viel zu tun. Es galt, Ressentiments zu überwinden, die der Schulfunk über Jahrzehnte hinweg geweckt und genährt hatte. Wir mussten das Publikum davon überzeugen, dass unser Programm tatsächlich etwas Neues war: ein Bildungsfunk, der Entwicklung auf allen Ebenen fördert. Auf der Agenda stehen deshalb
– die frühkindliche Entwicklung,
– die Unterstützung von Lehrplänen in Grund- und weiterführenden Schulen sowie
– grundlegende Erwachsenenbildung für die Millionen, denen in ihrer Kindheit und Jugend formale Schulbildung vorenthalten wurde.

Außerdem mussten die Lehrer von unserer Arbeit überzeugt werden. Schulen erhielten Radios, später auch Fernseher.

Wir stießen sogar auf den Widerstand einiger Senderverantwortlicher. Sie hatten das Ende des Schulfunks bejubelt, und unterstützten nun die neuen Bildungsprogramme nicht. Vielmehr versuchten sie, diese auf spätabendliche Sendeplätze mit wenigen Hörern zu schieben.

Die Regierung unterstützte uns finanziell über das Bildungsministerium. Aber dessen Mittel reichten nicht, um alle Pläne zu verwirklichen. Die Zeiten, da die SABC fast unbegrenzt Geld vom Staat erhielt, waren vorbei.

Andererseits kam damals auch die erste internationale Hilfe, weil viele Nationen Südafrikas junger Demokratie unter die Arme greifen wollten. Im Fall des Bildungsfunks war es vor allem die Australian Broad­casting Corporation, die Ausbilder schickte, um die neuen Produktionsteams anzuleiten.

USAID lud Nicola Galombik und mich sowie einige leitende Mitarbeiter des Bildungsministeriums auf eine Reise in ein halbes Dutzend US-Städte ein, um uns ­einen Einblick in die Arbeit staatlicher und privater ­Sender zu verschaffen.

Wir sahen, dass es möglich ist, Bildungssendungen zu finanzieren, die ihr Publikum fesseln – etwa durch Hörspiel-Formate. So entstanden Serien wie Soul City und Yizo Yizo, die die südafri­kanische Lebensrealität in Hörfunk und Fernsehen ­reflek­tieren und massenhaft Hörer und Zuschauer ­an­zogen.

Alles in allem waren wir erfolgreich. Die SABC-­Bildungsprogramme wurden zunehmend beachtet und heimsten lokale und internationale Preise ein. Das tun sie heute noch, ein Jahrzehnt später.

Programmpolitik

Ein paar Jahre nach dem Start des Educational Radio wurde ich Head of Broadcast Compliance, und damit der Wächter über die Einhaltung der Programm­politik, die der Rundfunkrat nach eingehender ­Be­­ratung erstellt hatte. Unter anderem verschreibt sich der Sender der Bildung: „Bildungsfunk ist eine essentielle Säule des dreifachen Auftrags der SABC zu informieren, zu unterhalten und zu bilden. Die SABC erkennt an, dass es auf das Engagement aller Bildungseinrichtungen und ihrer Mitarbeiter ankommt, um das Unrecht der Jahrzehnte der Apart­heiderziehung zu korrigieren.“

Teil der SABC-Bildungsstrategie ist, innovative Hörfunk- und TV-Bildungsprogramme in ausgezeichneter Qualität auszustrahlen, um formale und informelle Lernbedürfnisse ihrer Hörer zu bedienen, seien sie Kinder, Jugendliche oder Erwachsene. Folgende Dinge werden betont:
– Förderung der Alphabetisierung und anderer Fähigkeiten,
– ländliche Entwicklung,
– Stadterneuerung,
– Bürgerrechte und -pflichten,
– gesunde Lebensführung,
– innovative Lösungen für Probleme von Individuen, Familien und Gesellschaft sowie
– nationale Identität, Kultur und Erbe.

Zudem schrieb sich die SABC auf die Fahne, je nach Bedarf Bildungsprogramme in allen Amtssprachen und im Fernsehen auch in Zeichensprache zu senden. Andere Aspekte der Bildungsstrategie sind
– höchste Programmstandards,
– Nutzung aller relevanten und innovativen Technologien wie Synchronisierung, Untertitel und multilingualer Programme zur Erhöhung der Effektivität und
– Regeln über kommerzielle Werbung.

Mittlerweile habe ich in der SABC wieder eine neue Aufgabe übernommen. Das gilt auch für den damaligen Intendanten. Wenn wir uns treffen, erinnern wir uns noch heute an sein Kussversprechen und die seinerzeit schier unüberwindbar wirkende Aufgabe, den Bildungsfunk zu erneuern.

Bildungsradio und Bildungsfernsehen wurden später zu einer gemeinsamen SABC-Bildungsredaktion verschmolzen. Auch heute muss sie um die nötigen Mittel kämpfen, um alles zu finanzieren, was sie in Erfüllung ihres Auftrags tun möchte. Doch trotz solcher Sorgen spielt der SABC-Bildungsfunk eine zentrale Rolle beim Aufbau der Nation, der staatsbürgerlichen Aufklärung und der Unterstützung formaler und informeller Bildung. Weiterhin regnet es lokale und internationale Preise – und das ist eine ganz besondere Belohnung für die Arbeit.

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