OECD

Neue Geber, überholte Struktur

China, Indien und andere große Länder mit niedrigen oder mittleren Durchschnittseinkommen gewinnen weltweit an Einfluss und sind mittlerweile als „neue Geber“ in Entwicklungsländern präsent. Westliche Experten beäugen das mit Skepsis – was aber nichts daran ändert, dass das Regelwerk der Entwicklungshilfe, wie es im OECD-Entwicklungsausschuss formuliert wurde, seine Bedeutung verliert.


[ Von Sebastian Paulo und Helmut Reisen ]

Die wirtschaftlichen und politischen Gewichte in der Welt haben sich in den vergangenen Jahren verschoben. Das wird auch in der Entwicklungspolitik deutlich. Früher war Entwicklungshilfe das Terrain der erfolgreichen Industrieländer. Diese „alten“ Geber sind im Development Assistance Committee (DAC) der OECD organisiert. Dort haben sie gemeinsame Standards und beste Praktiken für die Entwicklungszusammenarbeit definiert.

Mittlerweile ist jedoch die Zahl der Geberländer, die nicht dem DAC angehören, auf über 30 gestiegen. Dazu gehören China, Indien sowie einige arabische Länder, aber auch Brasilien, Malaysia, Russland, Thailand oder Venezuela.

Der ehemalige botswanische Präsident Festus Mogae sprach womöglich vielen afrikanischen Politikern aus dem Herzen, als er sagte: „Ich finde, dass uns die Chinesen wie Gleichberechtigte behandeln. Der Westen behandelt uns wie ehemalige Untergebene.“

Nichtsdestotrotz sehen viele westliche Experten den Trend mit Argwohn. Mosés Naím, der Chefredakteur von Foreign Policy, prägte sogar den Begriff „Schurkenhilfe“. Wichtige Bedenken betreffen:
– Fragmentierung: Ein weiterer Wildwuchs von Entwicklungsprojekten könnte die Verwaltung in den Empfängerstaaten überlasten.
– Unfairer Wettbewerb: Chinesische Unternehmen profitieren von subventioniertem Kapital und dadurch von ungleichen Wettbewerbsvoraussetzungen in internationalen Ausschreibungen in Entwick­lungsländern. Die Lieferbindung für chinesische Staatsfirmen kommt einer Subvention für chinesische Firmen im Ausland gleich.
– Überschuldung: Da die neuen Geber mit der Entwicklungshilfe auch zunehmend Kredite an die ärmsten Länder vergeben, könnten sich die afrikanischen Länder wieder stärker verschulden.
– Governance: Wenn Entwicklungsländer genug finanzielle Hilfe von den neuen Gebern erhalten, können sie die Ent­wick­lungshilfe der westlichen Länder ausschlagen, die an Bedingungen guter Regierungsführung geknüpft ist.

Diese Bedenken sind begründet. Allerdings gibt es auch Gegenargumente, die zeigen, dass sich gemeinsame Gesprächsgrundlagen mit den neuen Gebern durchaus finden lassen. China beansprucht zum Beispiel, seine Hilfe zu fokussieren und kurze Projektvorbereitungs- und -umsetzungsphasen zu gewährleisten. Und was Lieferbindungen angeht: Dieses Instrument ist auch westlichen Gebern nicht völlig fremd, und Chinas Angebote sind auch ohne Bindung konkurrenzlos billig und schnell.

Tatsächlich bemühen sich die alten Geber seit Jahren, die Überschuldung Afrikas zu bekämpfen. Die Dinge sind aber komplizierter als auf den ersten Blick ersichtlich. Beim G20-Gipfel in London wies China zu Recht darauf hin, dass verdeckte Politikkonditionalität und Defizitorientierung wachstumsfeindlich wirken. Das gemeinsame Kommuniqué fiel daraufhin weniger hart aus, als wenn es die G8 allein formuliert hätten.

In Sachen Governance haben China – aber auch Saudi-Arabien oder Venezuela – und der Westen offensichtlich sehr unterschiedliche Vorstellungen. Zu prüfen wäre allerdings, wie viel westliche Konditionen diesbezüglich tatsächlich erreicht haben. Sollte der Erfolg nur mäßig geblieben sein, würde die Aktivität der neuen Geber auch nicht viel gefährden.

Schon vor Ausbruch der Finanzkrise war klar, dass die Entwicklungshilfearchitektur ohne Beteiligung der aufstrebenden Geber an Wirkung verlieren würde. Inzwischen hat sich das internationale Machtgleichgewicht noch weiter verschoben. Die Welt muss sich darauf einstellen, dass China der größte globale Kreditgeber wird.

Die westliche Gebergemeinschaft hat bereits Bemühungen unternommen, um aufstrebende Staaten einzubinden. Tatsächlich wurden Russland, Südafrika und Brasilien beispielsweise als Mitglieder wie auch als Beobachter in verschiedene OECD-Aktivitäten einbezogen. Indien und China jedoch haben sich bisher kaum integriert. Sie ziehen grundsätzlich den Beobachterstatus vor, der ihnen erlaubt, an der Expertise der OECD teilzuhaben, ohne sich politisch stark zu verpflichten.

Es ist nicht zu erwarten, dass die neuen Geber sich in ein vom Westen vorgegebenes Rahmenwerk einbinden lassen. Wahrscheinlicher ist eine Synthese aus etablierten und neuen Ansätzen. Im Herbst 2008 wurde denn auch der „China-DAC-Arbeitskreis“ ins Leben gerufen. Er beschäftigt sich unter anderem mit Chinas Entwicklungszusammenarbeit in Afrika und könnte Schritte zu einer gemeinsamen Peer Review einleiten.

„Soft law“

Internationale Organisationen greifen auf „soft law“ zurück, um Blockaden zu lösen, die sich aus unterschiedlichen Interessen ergeben. Absprachen schaffen dort gemeinsame Regeln, wo es keine dominierende Macht gibt, die allgemein verbindliche Vorschriften durchsetzen könnte. Soft law beruht auf Kompromissen zwischen Akteuren mit verschiedenen Interessen und Werten, unterschiedlichen Zeithorizonten und ungleicher Macht.

Die OECD hat Mechanismen entwickelt, um ihre „weichen“ Standards durchzusetzen. Wichtig sind die Instrumente Peer Review und Peer Pressure. Im Peer Review der OECD prüfen und bewerten sich die Regierungen der OECD-Mitglieder gegenseitig. Auf dieser Grundlage machen die Mitglieder Druck aufeinander, damit Politik verbessert, sinnvolle Praktiken übernommen und etablierte Standards eingehalten werden. Es wird mit Mitteln der „sanften Überzeugung“ gearbeitet: formelle Empfehlungen, informeller Dialog, öffentliche Aufmerksamkeit, Vergleiche und Rankings. Außerdem werden Verfehlungen durch „naming and shaming“ hervorgehoben.

Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dass auch die neuen Geber in entsprechenden Verhandlungen Verantwortung in der internationalen Entwicklungshilfe übernehmen. Allerdings erfordern effektive Peer Reviews und Peer Pressure Transparenz. Darauf legen aber viele neue Geber bislang keinen großen Wert.

Ihre Entwick­lungshilfe besteht vor allem aus Projekten und Programmen und nicht so sehr in Schuldenerlass oder in technischer Zusammenarbeit. China beispielsweise stellt Projektpakete zur Verfügung, die bereits Planung, Finanzierung, Arbeitskräfte und Ausbildung beinhalten. Die Finanzierung erfolgt vorwiegend durch Chinas Export-Import-Bank. Ein Großteil der Infrastrukturprojekte in Afrika wird so finanziert, normalerweise gebunden an die Beteiligung chinesischer Auftraggeber. Der IWF schätzte im Jahr 2006 Chinas existierende Darlehen und Kreditlinien für Afrika auf rund $19 Milliarden. Im Gegenzug erteilen die Empfängerländer aber auch oft chinesischen Firmen Rechte an Rohstoffen oder Produktionslizenzen.

Diese Herangehensweise hat durchaus Vorteile. Hilfsmittel werden nicht zweck­entfremdet, die Umsetzung ist garantiert und Korruption unwahrscheinlich. Zudem kann die chinesische Diaspora mit einer Million Menschen in Afrika die Projekte genauer überwachen, als dies den westlichen Entwicklungspartnern möglich ist.

Chinas „Paketgeschäfte“ machen es indessen schwer, Transparenz herzustellen. Die Bestandteile solcher Pakete sind nicht einzeln ausgezeichnet. Folglich ist Ent­wick­lungshilfe nicht klar von sonstiger wirtschaftlicher Kooperation getrennt.

Um zu einer gemeinsamen Peer Review zwischen China und den westlichen Gebern zu gelangen, müssten deshalb innovative Wege gefunden werden. China einfach dazu aufzufordern, Teil einer gemeinsamen Transparenzinitiative zu werden, wie die G8 in der Vergangenheit gefordert haben, reicht nicht.

Paul Collier, Wirtschaftsprofessor in Oxford, hat recht mit der Behauptung, Transparenz in Chinas Entwicklungshilfe sei nicht zu erreichen, indem man die Paket­deals der Volksrepublik verdammt. Stattdessen sollte der Westen seine Hilfe ebenfalls bündeln – also zumindest deutlich machen, welche Leistungen und Gegenleistungen es auf diversen Feldern gibt. Dann läge es nahe, die verschiedenen Pakete miteinander zu vergleichen, so dass Transparenz quasi als Nebenprodukt entstehen könnte.

Dieses Herangehen würde natürlich ein erhebliches Umdenken von den Durchführungsorganisationen der OECD-Länder erfordern. Vor allem müssten sie das chinesische Modell besser verstehen. Da aber mit der bloßen Einbeziehung Chinas in etablierte Strukturen nicht zu rechnen ist, wäre dies immerhin ein praktikabler Weg, um künftige gemeinsame Regeln auch gegenüber China vorzubereiten. Unter den veränderten Bedingungen muss auch die Rolle von Empfängern in der Herstellung von Transparenz und der Definition guter Praktiken gestärkt werden.

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