Multilateralismus

Die Ziele der Menschen

Zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs) steht mehr Mitsprache in Bezug auf Global Governance zu. Insbesondere Organisationen aus Entwicklungsländern werden im internationalen Rahmen oft marginalisiert. IBON International, eine weltweit agierende CSO mit Sitz in Manila, will das ändern. Sie hat sich auf Kompetenz-Aufbau für Basis-Bewegungen im Süden spezialisiert – und hat die Kampagne „Ziele der Menschen" gestartet.
Philippinische NGOs fordern eine Fischereirechtsreform, um eine Überfischung zu verhindern. Ezra Acayan/picture-alliance/dpa Philippinische NGOs fordern eine Fischereirechtsreform, um eine Überfischung zu verhindern.

Die Menschheit steht vor großen Herausforderungen. Dazu zählen Klimawandel, Umweltzerstörung, Armut und Ungleichheit, Ernährungs- und Energieunsicherheit, Finanz- und Wirtschaftskrisen. Ein Aspekt der Globalisierung ist, dass einzelne Länder allein diese Probleme nicht lösen können. Unsere immer vernetztere Welt braucht neue Formen der internationalen Zusammenarbeit, über Grenzen und institutionelle Mandate hinweg.

Auch muss Global Governance demokratischer werden. Bei internationalen Entscheidungsprozessen werden die am stärksten betroffenen Menschen nicht berücksichtigt. Die Entwicklungsländer haben in den vergangenen Jahren zwar mehr Einfluss gewonnen, aber den marginalisierten und ausgegrenzten Menschen ist damit nicht unbedingt geholfen.  

Oft erschweren sogenannte „nationale Interessen” die Konsensbildung zwischen verschiedenen Regierungen – aber eigentlich geht es um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und Industrien der Länder.

Zivilgesellschaftliche Organisationen können als fortschrittliche, demokratiefördernde Kräfte zur Global Governance beitragen – so sie denn eingebunden werden. Sie bringen unterschiedliche Werte und Perspektiven ein, und sie haben Erfahrungen und Kenntnisse in der Arbeit mit verschiedenen Gemeinschaften und Verfassungen. CSOs machen typischerweise auf Themen aufmerksam, die Technokraten und Regierungsführer gerne unter den Tisch fallen lassen oder zumindest vernachlässigen, weil sie ihnen zu „politisch” oder „nicht kontrollierbar” sind, wie etwa Menschenrechte, Ungleichheit und Konflikte. Zudem teilen CSOs nicht die vermeintlich „nationalen“ Interessen. Sie sind nur ihren Mitgliedern und Wählern rechenschaftspflichtig.


Marginalisierte Stimmen

Leider steht die Zivilgesellschaft bei globalen Entscheidungen aber weiterhin nur  am Rande, vor allem CSOs aus Ländern des Südens. Zu viele Hindernisse stehen ihnen im Weg – nicht zuletzt fehlen Ressourcen und Personal. Viele CSOs in Afrika, Asien und Lateinamerika haben weder das Geld noch die Expertise und schon gar nicht die qualifizierten Mitarbeiter, die sie für effektives multilaterales Lobbying bräuchten.  

Aber auch die UN setzen sich nicht genug für die Teilhabe der Zivilgesellschaft in der Global Governance ein – formal ist eine Mitsprache bis heute nicht vorgesehen. CSOs aus Entwicklungsländern fehlt meist die finanzielle Unterstützung, um sich zu beteiligen, aber auch der Zugang zu Informationen (etwa Vertragsentwürfen).

Beim Weltgipfel in Rio 1992 war das anders. CSOs nahmen aktiv teil – auch bei den Folgeverhandlungen über die dort beschlossenen Verträge wie etwa die UN-Klimarahmenkonvention und die UN-Konvention zu Biodiversität. Allerdings bestätigte eine Bestandsaufnahme im vergangenen Sommer beim Rio+20-Gipfel, dass die Menschheit auch zwei Jahrzehnte nach dem Weltgipfel noch nicht den Weg der Nachhaltigkeit eingeschlagen hat. Das liegt unter anderem an dem begrenzten Einfluss zivilgesellschaftlicher Organisationen (siehe Kasten).


Gründe für den Widerwillen

Weder die Prozesse in Rio noch die Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) führten bisher zu befriedigenden Ergebnissen. Die Debatte über die Post-Rio-/Post-2015-Entwicklungsagenda birgt daher die neue Chance, einen auf Rechten basierenden Ansatz für nachhaltige Entwicklung zu verfolgen. Wir von IBON International ermutigen CSOs von Anfang an dazu, sich  in diesen Prozess einzubringen.

Es gibt jedoch drei Gründe für widerwilliges Engagement der CSOs: fehlende Information, mangelnde Relevanz und geringer Optimismus:

  • Die UN haben über CSOs hinaus, die bereits in Interessenvertretung oder Monitoring involviert sind, kaum Anprechpartner erreicht – trotz enormer Bemühungen, Konferenzen, Beratungen und dergleichen mehr. Es wurden zwar Beiträge und Ideen für die Post-2015-Agenda erbeten. Doch für öffentliche Debatten hätte in Dorf- und Bürgerversammlungen Werbung gemacht werden müssen, damit Ideen von ganz unten her aufkommen können. Da das nicht passiert ist, wissen viele Basis-Organisationen immer noch nicht, worum es in der Post-2015-Entwicklungsagenda überhaupt geht.
  • Viele andere Gruppen sind zwar besser informiert, hinterfragen aber die Bedeutung der Post-2015-Debatte. Bei den Entwicklungszielen wurden viele drängende Fragen vernachlässigt: Beschäftigung und angemessene Arbeit, Ungleichheit (innerhalb und zwischen Nationen)  und globale wirtschaftliche Beziehungen. Auch was Klimawandel und Nachhaltigkeit angeht, boten die die MDGs nur Lippenbekenntnisse. Daher sind viele Bürgerrechtler davon überzeugt, dass auch die neue Agenda diese wichtigen Themen nicht behandeln wird. Andere betrachten die gesamte Zielsetzung mit Argwohn. Sie meinen, dass ein solcher Ansatz Entwicklung nicht als die umfassende soziale Transformation versteht, die die Menschheit braucht. Sie halten die MDGs für einen technokratischen Ansatz, der sich auf Hilfe und technische Lösungen beschränkt, statt die ungleiche Verteilung von Reichtum und Macht anzugehen, die die Ursache für Armut und Unterentwicklung ist.
  • Nicht zuletzt bestehen bei vielen CSOs tiefe Vorbehalte gegenüber den UN. Sie glauben schlicht nicht, dass das multilaterale System viel erreichen wird – zumal die MDGs in einem nicht-inklusiven Prozess von einer Handvoll Experten und Bürokraten formuliert wurden. Es gab keine Beteiligung armer Länder oder der Zivilgesellschaft. Überdies versäumen die reichen Nationen regelmäßig ihre Pflichten. Sie haben nicht wie versprochen ihre ODA (official development assistance) erweitert. Sie haben nicht – wie im Kyoto-Protokoll zugesichert – die Treibhausgas-Emissionen gedrosselt. Die Doha-Runde der WTO ist gescheitert, weil sich die reichen Länder nie ernsthaft in die Verhandlungen eingebracht haben. Stattdessen versteiften sie sich auf bilaterale Gespräche mit Themen wie öffentliche Auftragsverbage und Kartellrecht abseits der Doha-Agenda.

IBON hält nachhaltige Entwicklung für die entscheidende Herausforderung unserer Zeit. Sie ist zu wichtig, um sie den Regierungen zu überlassen. Daher nähern wir uns der Sache von der anderen Seite. Wir haben uns mit dem beschäftigt, was Basisgruppen und soziale Bewegungen diskutieren. Und wir haben versucht, die besondere Relevanz dieser Themen für die Diskussionen zum Post-2015-Rahmenwerk herauszustreichen.


Blick nach vorne

Im Oktober 2012 hielten wir einen internationalen Workshop in Nairobi ab, an dem 25 Leiter von CSOs und sozialen Bewegungen teilnahmen. Sie diskutierten die Ergebnisse aus dem MDG- und Rio-Prozess und waren sich einig, dass es unsinnig ist, Armut und Umweltfragen in verschiedenen Agenden zu behandeln.

In dem Workshop wurden die Gedanken für eine wirklich verändernde Entwicklungsagenda herausgearbeitet. Ergebnis sind Menschenziele (People’s goals), mit folgenden zehn Hauptpunkten:

  1. Menschenrechte respektieren, schützen und durchsetzen,
  2. Ursachen von Armut, Ungleichheit und Exklusion beseitigen,
  3. Respekt vor den Grenzen des Planeten, Klimagerechtigkeit und Umweltverträglichkeit,
  4. Vollbeschäftigung und faire Existenzgrundlagen für alle,
  5. Angemessene soziale Absicherung für alle,
  6. Geschlechtergleichheit,
  7. Erhalt der Hoheit der Menschen über ihre Ernährungssysteme,
  8. eine faire und gerechte internationale Wirtschaftsarchitektur,
  9. auf Gerechtigkeit basierenden Frieden und Sicherheit, sowie
  10. Förderung demokratischen Regierens.

So entstand die Kampagne „People’s Goals für nachhaltige Entwicklung“. Ihr Ziel ist es, Regierungen und das multilaterale System dazu zu bringen, sich um die Bedürfnisse der Menschen zu kümmern und wirkliche Reformen zu vollziehen. Die Kampagne vernetzt die Bemühungen der verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen über die Ländergrenzen hinweg, bündelt ihre Ideen, und verbindet schließlich lokale und globale Anstrengungen. So entsteht die Möglichkeit, kollektiv für die Ziele der Menschen einzutreten.

Seit Beginn der Kampagne wurde die gemeinsame Position weiter ausgearbeitet, in die formalen Prozesse der UN-Beratungen eingebettet und an strategischen Verhandlungsorten der Zivilgesellschaft beworben. Sie gilt inzwischen als eine der führenden zivilgesellschaftlichen Stimmen aus dem Globalen Süden.
 
Die Hindernisse für eine inklusive Post-2015-Entwicklungsagenda bestehen jedoch fort. Der Konsensbildungsprozess der Regierungen dafür beginnt gerade erst. Um Demokratisierung, Effektivität und Legitimität der Governance für nachhaltige Entwicklung zu fördern, ist die Unterstützung der Regierungen und multilateralen Institutionen gefragt. Benötigt werden:

  • mehr Mittel für die Einbindung der Zivilgesellschaft als gleichwertige Interessenvertreter bei Dialog und Konsensbildung,
  • bessere Kompetenzentwicklung für Basis-Gruppen, soziale Bewegungen und zivilgesellschaftliche Netzwerke aus Ländern des Südens, damit diese sich in globale Politik und normgebende Umfelder einbringen können und
  • angemessene Ressourcen für diese Initiativen.


Paul Quintos arbeitet bei IBON International, einer weltweit wirkenden zivilgesellschaftlichen Organisation mit Sitz in Manila.
pquintos@iboninternational.org

 

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