Aufsatzsammlung

Neue Gewalträume an ­unregierten Orten

Bürgerkriege, Terrorismus und organisierte Kriminalität bedrohen zunehmend die staatliche Ordnung in vielen Ländern. In einem aktuellen Aufsatzband analysieren Wissenschaftler organisierte Gewalt an unterschiedlichen Orten – vom „Krieg gegen den Terror“ im Irak und Afghanistan bis hin zu Gewalt in Armenvierteln.
US-Piloten testen eine Drohne. AP Images/picture-alliance US-Piloten testen eine Drohne.

Herausgeber des Bandes „Geographien der Gewalt“ sind Conrad Schetter und Benedikt Korf. Schetter ist wissenschaftlicher Direktor des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC) und E+Z/D+C-Autor. Korf lehrt an der Universität Zürich Politische Geographie, die den Zusammenhang zwischen Macht und Raum erforscht. Die Herausgeber führen mit zwei konträren Interpretationen von Gewalt in das Thema ein. Einige Wissenschaftler sähen Gewalt als einen „kollektiven Berauschungszustand“ und als „pure Raserei“; andere betrachteten diese als eine „rationale Art von Wahnsinn“.

Schetter und Korf schließen sich der zweiten Interpretation an: Gewalt sei für viele Kriegsherren eine einträgliche Methode, um Einnahmen zu erzielen, etwa durch den Verkauf von Rohstoffen, der Konfiszierung von Hilfsgütern oder durch erpresste Schutzgelder. Gewalt entstehe also nicht im Rausch, sondern aus rationalem Kalkül heraus. Das erklärt auch die lange Dauer bestimmter Konflikte und die Schwierigkeit, die Akteure zu einem Friedensprozess zu bewegen. Das Buch diskutiert komplexe Zusammenhänge, bietet aber verständlicherweise keine simplen Lösungen an.

Besonders seit dem 11. September 2001 hat sich laut Schetter und Korf eine neue Begründung für Interventionen des Westens herausgebildet, die davon ausgeht, dass es bestimmte Räume der Erde gibt, die eine Quelle der Bedrohung für die westliche Gesellschaft sind. Damit rechtfertige der Westen militärische Gewalt und eine Kriegsführung mit Luft- und Drohnenangriffen in Regionen wie dem Irak oder Afghanistan.

Der Politische Geograph Derek Gregory untersucht in seinem gleichnamigen Aufsatz den „allgegenwärtigen Krieg“. Damit meint er das Gefühl eines nicht enden wollenden Kriegszustands, etwa den US-amerikanischen „Krieg gegen den Terror“ oder die Konflikte an der amerikanisch-mexikanischen Grenze. Beides seien „räumlich uneindeutige Gebiete“ ohne feste Grenzen.

An der US-mexikanischen Grenze bekämpfen die USA seit mehreren Jahren den Drogenschmuggel und die illegale Migration von Mexiko aus. Laut Gregory militarisierten die USA den Feldzug gegen Drogenhändler und Migranten immer weiter. Die US-Grenzpolizei arbeite seit Jahren mit dem Militär zusammen und baue eine Hightech-Grenzsicherung auf, wobei seit 2011 selbst Drohnen über Mexiko patrouillierten.

Daran anknüpfend beschäftigen sich der Philosoph Janosch Prinz und der Herausgeber des Buches, Conrad Schetter, damit, dass gewisse Staaten durch ihre technologische Überlegenheit in der Lage sind, ihre Ordnungsvorstellungen kriegerisch auf der ganzen Welt durchzusetzen. Dadurch erschufen sie neue „Gewalträume“. Als Legitimation für diese Einsätze dienten normativ formulierte politische Argumente wie die eigene Gefährdung durch sogenannte unregierte Räume, die Terroristen oder Mafianetzwerken als Rückzugsort dienten. Als Beispiele nennen die Autoren die Drohnenangriffe von US-Special Forces in Pakistan, im Jemen oder in Somalia.

Die Autoren stellen dabei eine Asymmetrie der Kriegsführung in diesen neuen Gewalträumen fest – also waffentechnisch und organisatorisch stark unterschiedliche Konfliktparteien. So werden zum Beispiel kaum kalkulierbare Anschläge von Aufständischen in Irak oder Afghanistan mit schweren Luftangriffen beantwortet, denen alle Bewohner schutzlos und ohne Vorwarnung ausgeliefert sind.

Wirtschaftsgeograph Frank Zirkl beschäftigt sich mit der Gewalt in brasilianischen Großstädten. Der Drogenhandel in den Favelas führe zu teils bürgerkriegsähnlichen Machtkämpfen zwischen Drogenbanden, der Polizei und illegalen Milizen. Viele Bewohner, so Zirkl, fühlten sich in ihrer Favela im Ausnahmezustand. Der Autor meint, dass eine „Rückeroberung“ dieser Viertel nicht nur ein Durchgreifen der Polizei erfordere. Vielmehr sei Good Governance notwendig, sprich eine Partizipation aller Beteiligter, um die Stadtentwicklung zu verbessern und den Drogenhandel einzudämmen.

Sabine Balk


Literatur:
Korf, B., und Schetter, C., 2015: Geografien der Gewalt. Kriege, Konflikte und die Ordnung des Raumes im 21. Jahrhundert. Borntraeger Stuttgart.

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