Geringstentwickelte Länder

„Wir brauchen kein Gebergeld, um loszulegen“

Saleemul Huq ist ein Veteran der multilateralen Klimaverhandlungen. Der Wissenschaftler aus Bangladesch konzentriert sich nun darauf, Universitäten aus den geringstentwickelten Ländern (least developed countries – LDCs) untereinander zu vernetzen, um Klimaschutz und Klimaanpassung voranzubringen. Aus seiner Sicht sind Hochschulen die Zentren des Capacity Development.
Dank der Zyklonbunker sind die Todeszahlen dramatisch gesunken. Boethling/Photography Dank der Zyklonbunker sind die Todeszahlen dramatisch gesunken.

Was hat das Pariser Abkommen den LDCs bisher gebracht?
Ich denke, es gibt vier große Vorteile:

  • Alle sind an Bord. Das gilt, obwohl US-Präsident Donald Trump den Ausstieg seines Landes beschlossen hat. Erfreulicherweise halten aber alle anderen Parteien am Abkommen fest. Es wird also universell anerkannt.
  • Das Abkommen betrifft nicht nur nationale Regierungen. Es richtet sich an alle relevanten Akteure – Nationalstaaten, subnationale Institutionen, Kommunen, Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft, Individuen. Alle sind aufgerufen, etwas für Klimaschutz und -anpassung zu tun. Jeder kann mitmachen.
  • Das Abkommen ist bottom-up. Handeln ist freiwillig. Es gab die Sorge, das Abkommen werde zahnlos bleiben, weil es keine rechtsverbindlichen Pflichten vorsieht. Ich sehe das aber als Stärke, denn Zuckerrohr ist besser als Peitsche. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass das Kyoto-Protokoll mit verbindlichen Emissionsreduktionen gescheitert ist. Die USA haben es nie ratifiziert und Kanada ist später wieder ausgestiegen. Ich bin grundsätzlich für starke Verträge, aber die Erfahrung lehrt, dass Vorschriften nicht funktionieren. Freiwilliges Handeln hat aus offensichtlichen Gründen mehr Wirkung.
  • Wir können nun Koalitionen der Willigen bilden. Alle Parteien tun, was sie aus Eigeninteresse für das Beste halten. Die 48 Mitgliedsländer des Climate Vulnerable Forum haben beispielsweise beschlossen, bis 2050 komplett auf Erneuerbare umzusteigen. Wir müssen nicht mehr darauf warten, dass jedes UN-Mitglied jedem Paragraphen zustimmt.

Aber führt freiwilliges Handeln wirklich zu ernstzunehmender Transformation?
Ja. Die Erneuerbaren haben enormen Schwung. Sie sind jetzt wettbewerbsfähig. Kein Privatunternehmen investiert noch in Kohle. Manche Regierungen versuchen, die Branche am Leben zu halten, weil sie sich um Sektoren ihrer Volkswirtschaften sorgen – aber ansonsten ist Kohle tot. Das ist im Handumdrehen passiert. Öl und Fracking sind auch angeschlagen. Investoren entscheiden sich für andere Technologien. E-Mobilität ist ein weiteres Beispiel; der Transportsektor wird elektrifiziert. Grünes Wirtschaften – mit grünen Investitionen, grünen Anleihen, mehr Transparenz et cetera – setzt sich durch. Auf verschiedenen Feldern gibt es positive Rückkopplungen, und das sollten wir nach Möglichkeit unterstützen. Politik, die Anreize gegen die Nutzung fossiler Energie setzt, ist sicherlich sinnvoll. Entscheidend ist aber, dass die Transformation nun vom Markt getrieben wird.

Leider laufen aber die aktuellen Trends immer noch auf einen globalen Temperaturanstieg von drei Grad oder sogar noch mehr hinaus. Das Ziel ist aber eine Begrenzung auf höchstens zwei und besser noch 1,5 Grad.
Ja, es muss noch viel mehr geschehen. Und weil die Gefahr besteht, dass das ausbleibt, müssen wir unseren Ehrgeiz hochschrauben. Wir müssen herausfinden, was funktioniert, und das dann in großem Stil umsetzen. Wir müssen Begeisterung wecken. Wenn der globale Temperaturanstieg unter zwei Grad bleiben soll, müssen alle aus Eigeninteresse richtig handeln.

Was muss beim nächsten Klimagipfel in Bonn im November geschehen?
Mein Vorschlag ist, das Format dieser Konferenzen umzukrempeln. Im Mittelpunkt sollten die stehen, die Maßnahmen konzipieren und ergreifen. Bislang standen die Regierungsdelegationen im Mittelpunkt, weil sie im Kontext der UN-Klimarahmenkonvention (UN Framework Convention on Climate Change – UNFCCC) Vertragstexte aushandelten. Es ging um Worte auf Papier. Diese Arbeit wurde aber in Paris abgeschlossen. Die Klimagipfel waren für die UN immer in dem Sinn ungewöhnlich, dass nicht nur Staaten vertreten waren. Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft waren auch präsent – aber nur bei den Randveranstaltungen. Jetzt verdienen sie die volle Aufmerksamkeit, denn jetzt geht es darum, Erfahrungen mitzuteilen, Wissen zu verbreiten und voranzukommen. Wir können uns jetzt auf konkretes Handeln konzentrieren statt auf juristische Texte.

Das Pariser Abkommen sieht vor, dass jeder Nationalstaat mitteilt, was er klimapolitisch tun will. Spielen diese nationalbestimmten Beiträge (nationally determined contributions – NDCs) noch eine Rolle?
Ja, sie sind nützlich. Sie schaffen einen einheitlichen Rahmen und ermöglichen so Vergleiche und Zusammenarbeit. Zudem treiben sie Staatshandeln an. China und Indien setzen auf Solarenergie und werden aus der Kohle vermutlich schneller aussteigen als bislang angekündigt. Wichtig ist, dass sie tun, was gut für sie ist.

Was sollten die LDCs tun?
Wir überlegen, wie wir Technologien überspringen können. Wir werden die Fehler der sogenannten fortgeschrittenen Nationen nicht wiederholen, sondern müssen sofort nachhaltige Lösungen wählen. Wir können – und müssen – unsere Entwicklung von fossilen Treibstoffen abkoppeln. Zum jetzigen Zeitpunkt kann zwar niemand genau sagen, wie das gehen wird, aber mit entschlossener Führung ist es zu schaffen. Daraus ergeben sich Aufgaben für unsere Regierungen. Die Entscheidung, zu 100 Prozent auf Erneuerbare umzusteigen, weist in die richtige Richtung. Wir müssen zudem unsere Länder an den Treibhauseffekt anpassen. Wir lernen schnell. Wir stehen vor schweren Aufgaben und gehen diese an. Arme kommen mit Schwierigkeiten besser zurecht als Reiche. Fluten und Zyklone belasten Bangladeschis schon immer – aber wir haben immer weitergemacht. Wir müssen unsere Resilienz noch weiter steigern, vor allem die Relisilienz der verwundbarsten Menschen.

Haben Sie ein Erfolgsbeispiel?
In diesem Jahr hatten wir zwei Zyklone. Wir können nachweislich in kurzer Zeit 2 Millionen Menschen in Sicherheit bringen. Es wurden nur 28 Todesfälle gezählt – und alle betroffenen Personen hatten aus irgendeinem Grund ihren Zyklonbunker verlassen. Wir wissen noch nicht, wie viele Fischer auf See starben. Es ist aber klar, dass die Mehrheit der über 3000 Toten, die der verheerende Zyklon Sidr 2007 forderte, auf Fischbooten rausgefahren waren und nicht rechtzeitig gewarnt werden konnten. Diese Zahlen müssen Sie im historischen Kontext sehen: 1991 kamen bei einem Zyklon ähnlicher Stärke fast 130 000 Menschen um – und 1970 sogar 300 000 bis 500 000. Bedenken Sie zudem, dass unsere Bevölkerung die ganze Zeit über schnell gewachsen ist. Unser Frühwarnsystem funktioniert, unsere Schutzstände sind belastbar, und unsere Statistiken sind präziser geworden. Zyklone richten immer noch großen Schaden an, aber sie fordern viel weniger Menschenleben.

Ja, dieses Argument hat Ihr Mitarbeiter Feisal Rahman neulich auch in E+Z/D+C gebracht (e-paper 2017/04, S. 22 / Druckheft 2017/05-06, S. 30). Er wies aber auch auf viele andere große Probleme hin – von der Versalzung des Grundwassers bis hin zu schnellem Stadtwachstum. Ist Bangladesch dem Klimawandel wirklich gewachsen?
Die Folgen des Klimawandels werden zweifellos hart und gewaltig sein. Wir müssen also hart arbeiten und schnell lernen. Wichtig ist aber auch, dass wir trotz all unserer Probleme deutliche Fortschritte machen und unsere Volkswirtschaft wächst.

Das gilt für Bangladesch, aber nicht für alle LDCs – besonders in Afrika nicht.
Das stimmt. Die Unterschiede zwischen einzelnen Ländern sind groß, und die größten Schwierigkeiten bestehen dort, wo Gewalt tobt. Die LDCs machen aber gemeinsame Anstrengungen. Wir warten nicht darauf, dass die internationale Staatengemeinschaft uns rettet. Wir können ohne Geberhilfe viel tun. Wir haben ohnehin mehr Gemeinsamkeiten miteinander als mit den Geberländern. Wir müssen dafür sorgen, dass erfolgreiches Handeln schnell kopiert wird.

Wie geht das in der Praxis?
Zum Beispiel haben sich mehrere Hochschulen aus LDCs neulich bei einer Tagung an der Makerere Universität in Uganda zum Least Developed Countries Universities Consortium on Climate Change (LUCCC) zusammengetan. Mein International Centre on Climate Change and Development (ICCCAD) an der Independent University, Bangladesh (IUB), hat eine Leitungsrolle. LUCCC ist eine Süd-Süd-Initiative. Wir werden Forscher und Lehrkräfte austauschen. Die entsendende Universität zahlt die Reisekosten, und die gastgebende Uni trägt die Kosten des Aufenthalts. Wir werden voneinander lernen und dadurch das Capacity Development beschleunigen.

Gibt es dabei eine Aufgabe für internationale Geberinstitutionen?
Ich bin kein großer Anhänger der offiziellen Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA). Mir wäre es lieber, die Geberregierungen erfüllten andere Pflichten. Vor allem müssen sie sicherstellen, dass von 2020 an jährlich wie versprochen 100 Milliarden Dollar zur Unterstützung von Klimaschutz und -anpassung in die Entwicklungsländer fließen. An ODA stört mich, dass sie komplett von den Gebern kontrolliert wird. Capacitybuilding ist ein Beispiel. In den vergangenen zehn Jahren haben Geberregierungen dafür 300 Millionen bis 400 Millionen Euro ausgegeben, aber der Löwenanteil ging an ihre eigenen Institutionen wie die GIZ oder das britische DfID (Department for International Development). Berater, die kurz einreisen und dann wieder wegfliegen, schaffen aber keine dauerhaften Strukturen. Deshalb besagt Artikel 11 des Pariser Abkommens, dass Capacity Development langfristig und in den Zielländern laufen muss. Das Gebergeld wäre besser in LDC-Universitäten investiert worden, denn das sind die Orte, an denen Nationen Wissen generieren und Führungskräfte ausbilden. Das sind die Zentren echten Capacitybuildings. Wenn Geberinstitutionen LUCCC unterstützen wollen, sind sie natürlich willkommen. Sie könnten uns helfen, unsere Bemühungen aufzustocken. Wir brauchen aber kein Gebergeld, um loszulegen.

Als ich Sie vor zwei Jahren vor dem Pariser Klimagipfel zuletzt interviewte, klangen Sie viel pessimistischer (E+Z/D+C e-Paper 2015/06, S. 16 / Druckheft 2015/06-08, p. 8). Jetzt kommen Sie mir dagegen allzu optimistisch vor. Bei allem Respekt vor den Anstrengungen der LCDs fürchte ich, dass die Auswirkungen der globalen Erwärmung sie überfordern werden.
Vielleicht bin ich überoptimistisch, aber darüber denke ich nicht nach. Wenn wir ständig sämtliche möglichen Probleme bedenken, werden wir die Aufgaben, vor denen wir stehen, nicht meistern. Wir müssen normativ agieren und sagen: Das wollen wir schaffen. Wer sich keine Ziele setzt, kann diese auch nicht erreichen. Ich konzentriere mich nicht darauf, was geschehen muss, und nicht auf das, was schiefgehen könnte. Andererseits verbringe ich jetzt viel mehr Zeit mit Studierenden in Bangladesch, mit jungen Männern und Frauen, die etwas bewegen wollen. Dringender als Geld brauchen sie Orientierung und Anleitung. Ihre Energie und ihr Enthusiasmus sind ansteckend.


Saleemul Huq leitet das International Centre for Climate Change and Development (ICCCAD) an der privaten Independent University, Bangladesh (IUB), in Dhaka. Er ist außerdem Senior Fellow am International Institute for Environment and Development in London.

Saleemul.huq@icccad.net

http://www.icccad.net/

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