Universitäten

Weltklasse

Um wichtige Fragen anzugehen und die Millennium-Entwicklungsziele zu erreichen, müssen die Länder Afrikas Innovation, Wissenschaft und Technologie so einsetzen, dass sie lokale Probleme lösen. Universitäten sind die besten Orte, um solche Lösungen hervorzubringen.

Von Chris Gordon und Ernest Aryeetey

In den 80er und 90er Jahren gelang es Geberinstitutionen, die Regierungen von Entwicklungsländern davon zu überzeugen, dass tertiäre Bildung und wissenschaftliche Forschung Luxus seien. Bei Bedarf könnten die Industrieländer derlei als „technische Zusammenarbeit“ bereitstellen. Das Ergebnis war südlich der Sahara ein riesiges Loch, was heimische Kapazitäten in Wissenschaft und Technologie angeht. Die Lage hat sich zwar etwas gebessert, aber eine ganze Generation afrikanischer Wissenschaftler und Forscher ging verloren – und sie leistet keinen Beitrag zur Entwicklung.

Jahrelang gab es zu wenig junge Wissenschaftler für rege heimische Debatten mit kritischem Denken. Folglich können viele afrikanische Universitäten weder auf höchstem Niveau arbeiten noch Weltklasse sein.

„Weltklasse“ ist ein kontroverser Begriff mit verschiedenen Interpretationen. Relevant ist unter anderem, ob eine Hochschule bereits als Weltklasse gilt oder, ob sie nach diesem Status strebt. 2009 ­benannte die Weltbank in ihrem einflussreichen ­Bericht „The Challenge of Establishing World Class Universities“ drei komplementäre Aspekte:
1) die Ansammlung von Talenten unter Lehrenden und Studierenden,
2) ausreichende Mittel für Lehre und Spitzenforschung sowie
3) stimmige Leitungsstrukturen, die zu strategischer ­Vision, zu Innovation und zu Flexibilität ermutigen.

Voriges Jahr benannte eine internationale Konferenz in Saudi-Arabien sechs Hauptkriterien für „Weltklasse-Universitäten“. Solche Hochschulen müssen demnach:
1) dem Nachwuchs beibringen, als gute Staatsbürger Führungskraft zu beweisen und sich an der Wissenswirtschaft zu beteiligen,
2) die soziale Mobilität so stark wie möglich fördern,
3) Forschung betreiben, die zur Lösung sozialer und ökonomischer Probleme beiträgt,
4) Forschung betreiben, die die Wissenschaft voranbringt,
5) das kulturelle Erbe interpretieren, kritisieren und bewahren und schließlich
6) als Diskussions- und Analyseforen dienen.

Relevant ist zudem, ob eine Universität für Weltklasse gehalten wird. Dieser Ruf zieht nicht nur fähige und brillante Studenten an, sondern weckt auch das Interesse von Geldgebern. Leider erfüllen die meisten Universitäten in Afrika die sechs Kriterien nicht. Wir müssen den Trend umkehren.

Die Herausforderungen

Eins der weniger bekannten Bücher von Charles Darwin ist „ On the Various Contrivances by which British and Foreign Orchids are Fertilised by Insects“ von 1862. Darin formulierte er ein Hauptelement der Evolutionslehre: Für das langfristige Überleben einer Spezies ist Selbstbefruchtung keine tragfähige Strategie. Auf Basis der Gene nur eines Elternteils ist nämlich weniger Variation möglich, sodass die evolutionäre Flexibilität beeinträchtigt wird.

Das gilt auch für die Wissenschaft. Leider sind Inzucht und Selbstbefruchtung an afrikanischen Universitäten verbreitet. Ein Grund ist, dass die Zahl der Studierenden steigen soll. Um die wachsende Arbeitslast zu bewältigen, müssen Hochschulen ihre eigenen Absolventen als Lehrkräfte einsetzen.

Potenzielle Mitarbeiter werden schon früh auf Positionen in der Lehre vorbereitet – manchmal schon vor ihrem ersten akademischen Abschluss. Grundsätzlich ist das kein Problem. Es wird aber zu einem Problem, wenn, wie vielfach der Fall, sämtliche Abschlüsse – Bachelor, Master, Doktor – von derselben Uni stammen und in Extremfällen sogar von derselben Fakultät. Junge Mitglieder des Lehrkörpers erleben dann nie selbst, wie andere Universitäten arbeiten.

Eine weitere Form der Inzucht ist die Konsequenz geberfinanzierter Partnerschaften, die Hochschul­fakultäten in Entwicklungsländern an Fakultäten in reichen Nationen koppeln. Über drei bis fünf Jahre werden dann tendenziell alle Lehrenden aus dem Entwicklungsland in einem einzigen Ansatz von universitärer Arbeit unterwiesen.

Die Finanzaufwand für höhere Bildung und Forschung ist in den vergangenen Jahrzehnten ständig gesunken. Die öffentlichen Ausgaben pro Student und Jahr sanken südlich der Sahara von 6800 Dollar im Jahr 1980 auf 1200 Dollar im Jahr 2002 und unter 1000 Dollar im Jahr 2009. Der Hauptgrund ist der Massenandrang auf die höhere Bildung. 1960 gab es südlich der Sahara nur 21 000 Studierende. 2006 waren es 9 Millionen.

Wenn die Zahl der Einschreibungen an afrikanischen Universitäten im derzeitigen Tempo weiter steigt, braucht der Kontinent bis 2015 laut Weltbank-Schätzung 45 000 zusätzliche Hochschullehrer. Wo sollen sie herkommen? Und wie lässt sich die Qualität sichern?

Deutschland führte 2004/05 mit seiner Exzellenz­initiative für Spitzenforschung ein umstrittenes Programm ein. Fast zwei Milliarden Euro wurden für vier Jahre bereitgestellt, wobei das Geld nach rigorosen Wettbewerbskriterien an Hochschulen verteilt wurde. Das Programm hat ein Zwei-Klassen-System geschaffen und den Mythos der Gleichwertigkeit deutscher Universitäten beendet. Brasilien und Südafrika haben ähnliche, wenn auch nicht ganz so ausgefeilte Programme, um Geld nach Leistung zu verteilen. Dieser Ansatz sollte auch in anderen Entwicklungsländern, vielleicht sogar auf globaler Ebene, erwogen werden.

Relevanz und Exzellenz

Als die Universität von Ghana vor kurzem erwog, ein Institut für angewandte Forschung zu schaffen, argumentierte einer unserer älteren Kollegen, es gebe keine „reine“ oder „angewandte“ Forschung, nur gute oder schlechte Forschung. Tatsächlich ist der Schlüssel zum Erfolg die wissenschaftliche Exzellenz. Jede Universität sollte danach streben. Das ist in Entwicklungsländern vermutlich noch wichtiger als anderswo.
Erfolg wurzelt zugleich in der Relevanz der Forschung. Zu Recht sagte Mohamed Hassan, der ehemalige Direktor von TWAS, der Academy of Sciences for the Developing World mit Sitz in Italien: „Wenn sie nicht auf die Bedürfnisse der Gesellschaft eingehen, werden naturwissenschaftliche Fakultäten sich schwer­tun, gesellschaftliche Unterstützung auf Dauer zu erhalten – wenn es ihnen denn überhaupt gelingt.“ Wenn die Universitätsbildung in einem Land nicht relevant ist, finden Absolventen keine angemessene Arbeit und frustrierte Arbeitgeber kein kompetentes Personal. Allzu oft fehlen Absolventen Fähigkeiten, die Arbeitgeber erwarten, wie etwa kritisches Denken und Entscheiden auf Basis von Evidenz.

Manchmal sind Universitäten, wenn es um Exzellenz geht, selbst ihre ärgsten Feinde. An vielen Weltklasse-Universitäten ist es üblich, Noten anhand von Ver­gabekurven zu erteilen, so dass sie proportional die Leistung im Jahrgang widerspiegeln. An manchen afrikanischen Universitäten erhalten dagegen über 50 Prozent eines Jahrgangs in einem Fach die Bestnote. Derartige Inflation macht die Arbeitgeber skeptisch. Allzu häufig bekommen sie großartige Bewerbungen, müssen aber später feststellen, dass die betreffende Person nicht mal eine einfache Anfrage schriftlich beantworten kann.

Wie lässt sich sicherstellen, dass Absolventen für die Entwicklung ihrer Nation oder sogar ihres Kontinents nützlich sind?
– Zunächst müssen Forschung und Lehre Relevanz beweisen. Allzu häufig arbeiten Hochschulen an Themen, die in Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern formuliert wurden. Diese Partner haben eine eigene Agenda und bringen das Geld mit. Sie legen dann Forschungsfragen fest, die oft nicht unbedingt mit den örtlichen Prioritäten übereinstimmen. Das Prinzip der „national ownership“ muss also nicht nur in der Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch im akademischen Leben gelten.
– Zweitens dürfen Lehrpläne nicht nur von Akademikern formuliert werden. Nötig ist die Kooperation mit Staat und Wirtschaft. Zugleich muss aber jegliches Wissen zur Debatte stehen und kritisch hinterfragt werden.
– Drittens muss Exzellenz Vorrang vor allem haben. Afrikaner stehen hier vor einer besonderen Herausforderung. Sie müssen den Wunsch, Autoritätspersonen nicht in Frage zu stellen, überwinden. Allzu oft stecken wir in Klientelwirtschaft fest, die an Hierarchien geknüpft ist. Wir brauchen stattdessen eine Leistungsgesellschaft.
– Schließlich ist klar, dass alternde Fakultätsmitglieder irgendwann ersetzt werden müssen. Hier sind gute Graduiertenprogramme besonders wichtig. Viele Mitglieder von Afrikas „verlorener Generation“ haben akademische oder andere hoch qualifizierte Positionen im Ausland erreicht. Es gibt Bestrebungen, sie zur Rückkehr aus der Diaspora zu ermutigen, um die nächste Generation afrikanischer Wissenschaftler auszubilden. Der Haken ist, dass viele dieser Leute keinen direkten Bezug mehr zu den Problemen haben, mit denen Afrika ringt.

Fazit

Damit Afrikas Universitäten effektiver zur Entwicklung beitragen, muss das Leistungsprinzip befolgt werden. Die hellsten Köpfe und die größten Errungenschaften müssen belohnt werden. Erstklassige Professoren sind entscheidend für den Erfolg aller Institutionen in der höheren Bildung. Die Höhe ihrer Bezahlung ist daher sehr wichtig. Das akademische Leben braucht Laufbahnen, die Produktivität und Exzellenz belohnen. Gehälter dürfen nicht einfach an adminis­trative Jobs geknüpft sein.

Die Regel „Publizieren auf Teufel komm raus“ muss ersetzt werden durch „relevante, bedeutsame Forschung publizieren oder den Kürzeren ziehen“. Universitäten müssen es wagen, diejenigen zurückzuweisen, die beständig schwache wissenschaftliche Publikationen produzieren.

Nachhaltigkeit hängt von der Fähigkeit ab, Wissen an die nächste Generation zu vermitteln. Um ­Exzellenz in Forschung und Lehre zu unterstützen, braucht Afrika starke akademische Institutionen in einem berechenbaren Umfeld.

Auch wenn es widersprüchlich erscheinen mag, ist abschließend noch festzuhalten, dass erfolgreiche Universitäten staatliche Unterstützung und zugleich hohe Autonomie brauchen. Sie müssen ihre Forschungsagenda ohne Einmischung durch Staat oder Geber verfolgen können. Es heißt, die Zukunft liege in Afrika, und es liege an uns, die wir hier leben, sie Wirklichkeit werden zu lassen. Das stimmt – und die höhere Bildung muss ihren Beitrag leisten.

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