Corporate Social Responsibility

Verantwortlich reisen

Seit den 1960er Jahren zählt die Reiseindustrie trotz Krisen und politischer Spannungen zu den am stärksten wachsenden Wirtschaftsbranchen. Entwicklungsländer profitieren davon bislang wenig. Zunehmend besinnen sich Anbieter aber auf Corporate Social Responsibility.


[ Von Heinz Fuchs ]

Nach wie vor haben die klassischen Industrieländer am meisten vom Tourismus. Mehr als die Hälfte der international Reisenden kommen aus Europa – und dort landen auch die Einnahmen. Europa ist auch der Kontinent, der am meisten Urlauber aufnimmt.

Die Welttourismusorganisation (UNWTO) verzeichnet für das Jahr 2009, bedingt durch Wirtschafts- und Finanzkrise, einen Rückgang der Auslandsreisen von 4,3 Prozent und 5,8 Prozent weniger Einnahmen aus dem Tourismus. Doch sie geht davon aus, dass die Branche demnächst schnell wieder wachsen wird. Mehr als 200 Millionen Menschen arbeiten weltweit in diesem Sektor.

Die UNWTO prognostiziert, dass es schon bald mehr als eine Milliarde internationaler Reisen pro Jahr geben wird. Während Asien künftig mehr profitieren soll, wird Afrika der Vorhersage nach auch im kommenden Jahrzehnt kaum mehr als vier Prozent der weltweiten touristischen Einnahmen verbuchen.

Zwar besuchen immer mehr Touristen auch Entwick­lungs- und Schwellenländer, dies führt aber nicht automatisch zur Verbesserung der Lebensverhältnisse dort. Bei touristischen Großprojekten ist fraglich, wie viel Profit im Land bleibt – und vor allem bei wem. Zu klären ist also, ob die einheimische Bevölkerung an den Erträgen teilhat und ob die Umwelt geschont wird.

Enorme Gestaltungsmöglichkeiten

Die Tourismuskritik ist so alt wie die Branche selbst (siehe Kasten unten). Es gilt als Neokolonialismus, wenn Reiche Arme nur als billige Dienstleister in Anspruch nehmen. Tatsächlich beuten nicht nur Sextouristen sozial schlechter gestellte Menschen rücksichtslos aus (siehe S. 288). Fraglich ist auch, ob Flugreisen zu Vergnügungs- und Erholungszwecken angesichts des Klimawandels vertretbar sind (siehe Aufsatz S. 284). Es geht immer um Verantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten der individuellen Reisenden, aber auch der touristischen Unternehmen.

Zweifellos hat die Reisewirtschaft eine enorme Verantwortung. Langfristig ist soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit in ihrem eigenen Interesse. Sie braucht ökologisch intakte Reiseziele und eine aufgeschlossene und gastliche Bevölkerung.

Das Schlagwort Corporate Social Responsibility (CSR) hat mittlerweile den touristischen Mainstream erreicht. Es steht für unterschiedlichste Ansätze von Reiseunternehmen, um Tourismus nachhaltig und zukunftsfähig zu gestalten. Allerdings bleibt noch viel zu tun: Oft agieren die Unternehmen nur punktuell, ihre CSR-Maßnahmen sind unübersichtlich und intrans­parent. Die Tourismuswirtschaft hinkt anderen Branchen diesbezüglich weit hinterher.

Unter CSR verstehen Reiseunternehmen verschiedene Aspekte – von der kulturellen Sensibilisierung der Reisenden über die Einführung von Arbeitsrichtlinien für Angestellte bis zur Gründung gemeinnütziger Stiftungen und Sozialprojekte für Kinder. CSR geht per Definition über die Erfüllung gesetzlicher Vorschriften hinaus und zielt auf soziale und ökologische Kriterien ab.

Unabhängige Zertifizierung

CSR ist insofern ein umstrittenes Konzept, als immer der Verdacht naheliegt, es gehe nur um Imagekampagnen. Auf Dauer kommen Unternehmen damit aber nicht weit. Echter Mehrwert entsteht für Unternehmen nur durch externes Monitoring und unabhängige Zertifizierung. Die Gesellschaft TourCert bietet mit dem Label „CSR-Tourism certified“ eine glaubwürdige Begutachtung für nachhaltiges Wirtschaften im Tourismus an. Zu den Gesellschaftern von TourCert gehören der Evangelische Entwicklungsdienst in Bonn und die Naturfreunde Internationale in Wien.

Das Label zielt auf dynamische Prozesse besonders in kleinen und mittleren Unternehmen ab. Es geht nicht um Hilfsprojekte oder social sponsoring, sondern um die verantwortliche Gestaltung des touristischen Kerngeschäfts. Unternehmen, die das Siegel nutzen, verpflichten sich, ihre Nachhaltigkeitsleistung kontinuierlich zu verbessern.

TourCert stützt sich auf die Expertise des Wirtschaftszweigs selbst sowie auf Fachleute aus Wissenschaft, Umweltschutz, Entwicklungszusammenarbeit und Politik. Die Mitglieder des Zertifizierungsrats werden auf zwei Jahre berufen. Der Rat entscheidet über die Leitlinien und Verfahren. Er wertet Erfahrungen aus und entwickelt entsprechend die Zertifizierungsricht­linie weiter. Der Rat entscheidet auch über die Zulassung der Gutachter und ist für die Vergabe des Siegels auf der Basis der gutachterlichen Arbeit zuständig.

Die Grundlage aller Bewertungen bilden dabei strukturierte CSR-Berichte, welche die Unternehmen auf Basis eines TourCert-Leitfadens vorlegen. Die Grundprinzipien des Leitfadens sind:
- umweltschonend reisen,
- Unterkünfte sorgfältig auswählen,
- Reiseziele abwägen,
- lokale Gemeinschaften beteiligen,
- angemessene Preise zahlen,
- Arbeitsstandards einhalten,
- partnerschaftlich wirtschaften und
- Transparenz schaffen.

TourCert bietet interessierten Unternehmen Schulungen und eine spezielle Software an, um ihre Geschäftspraxis anhand von Nachhaltigkeitskriterien zu durchleuchten und die Ergebnisse zu veröffentlichen. Das Kernelement ist der „Entwicklungs- und Verbesserungsplan“, den das Unternehmen erstellt und der nach zwei Jahren die Grundlage für die Nachzertifizierung bildet.

Die Macht der Reisenden

Tourismus ist kein isolierter Wirtschaftssektor. Das Reiseverhalten europäischer Konsumenten ist so wenig nachhaltig und zukunftsfähig wie unsere Wirtschaftsweise insgesamt. Allerdings hinterfragen viele Menschen den eigenen Lebensstil mittlerweile.

Individuelle Möglichkeiten, Verantwortung zu übernehmen, sind:
- seltener und intensiver reisen,
- weniger fliegen,
- länger vor Ort bleiben sowie
- vom Reiseveranstalter Transparenz über ökologische und soziale
Hintergründe des „Produkts“ zu fordern.

Für Reiseunternehmen müssen sich CSR-Maßnahmen bezahlt machen. Andersherum bedeutet das: Wenn Reisende bereit sind, soziale und ökologische Anstrengungen zu honorieren, beeinflussen sie die Praktiken der Branche.

Einem Drittel der reiseaktiven Haushalte in Deutschland ist Unternehmensverantwortung wichtig, wie die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) 2009 herausfand. Viele sind bereit, rund acht Prozent mehr für eine entsprechende Reise zu zahlen. Drei Viertel aller deutschen Reisenden halten den schonenden Umgang mit der Umwelt und die Wahrung und Förderung der Menschenrechte für wichtig.

Auch die enormen Wachstumszahlen im Ökolandbau oder bei Fair-trade-Produkten sprechen für diesen Trend. 1,5 Millionen Deutsche wären laut einer repräsentativen Umfrage der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen und EED Tourism Watch (2007) bereit, für eine Fair-trade-Reise mehr zu bezahlen. In anderen europäischen Ländern ist das ähnlich.

Bei aller Kritik darf zudem nicht vergessen werden, dass Fernreisen bilden, den Horizont erweitern und oft unvergessliche Eindrücke hinterlassen. Dies muss mit ökologischen Kosten und möglichen sozialen Defiziten abgewogen werden. Die Chance des Tourismus beruht in der Rücksicht auf Natur, Umwelt und Soziales. Dies bedeutet nicht zwangsläufig weniger Komfort, im Gegenteil: Gerade durch behutsamen Umgang, wohldosierte Neugier und Respekt gegenüber fremden Kulturen gewinnt das Reisen an Qualität. Letztlich kommt es auf die persönliche Haltung der Urlauber an.

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