Regionale Integration

Entwicklungspotenziale in den hintersten Winkeln

Grenzregionen haben eine große Bedeutung für den Handel zwischen Ländern und für die regionale Integration. Der Aufbau grenzüberschreitender Infrastruktur ist die Voraussetzung dafür, dass neue wirtschaftliche Korridore entstehen können. Ein Beispiel ist die Grenze zwischen Myanmar und Thailand.
Markt mit Lebensmitteln aus Myanmar in der thailändischen Grenzstadt Mae Sot. Felix Haas Markt mit Lebensmitteln aus Myanmar in der thailändischen Grenzstadt Mae Sot.

Grenzregionen stellen – vor allem in vielen Entwicklungsländern – wirtschaftlich höchst dynamische Räume dar: Sie sind am stärksten von Handel und Migration geprägt. Ihre Entwicklung hängt maßgeblich davon ab, wie liberal oder restriktiv der Austausch zwischen den angrenzenden Ländern ist. Bestenfalls können sich die hintersten Winkel eines Landes in Knotenpunkte für Wirtschaft, Kultur und politische Systeme verwandeln.

Grenzhandel bietet Einkommensmöglichkeiten für familiengeführte Klein- und Kleinstbetriebe. In Myanmar finden beispielsweise nach Daten des Wirtschafsministeriums knapp 44 Prozent der Exporte und 17 Prozent der Importe auf dem Landweg statt (im Zeitraum 1. Oktober 2018 bis 19. Juli 2019). Landwirtschaftliche Produkte wie Wassermelonen, Reis und Hülsenfrüchte, die zu großem Teil von Kleinbauern stammen, werden vorwiegend auf dem Landweg exportiert, vor allem nach China und Thailand. In den Grenzstädten, zum Beispiel Myawaddy in Myanmar und Mae Sot in Thailand, herrscht reger wirtschaftlicher Austausch.

Während in Thailand viele Waren per Lkw abgeholt werden, nehmen in Myanmar zumeist Kleinsthändler die Importprodukte entgegen. Es gibt beidseits der Grenze zahlreiche lokale Beschäftigungsmöglichkeiten für Handels-, Transport- und Logistikunternehmen, aber auch selbstständige Träger und Zwischenhändler.

Im informellen Grenzhandel arbeiten mehr Frauen als Männer, wie eine Studie der UN Conference on Trade and Development (UNCTAD, 2019) in Bezug auf Malawi, Tansania und Sambia aufzeigte. Es wäre allerdings von Vorteil für die Frauen selbst und für den Handelssektor – und damit die Wirtschaft allgemein – , wenn sie in den formellen Sektor integriert würden.

Jenseits von Grenzen gibt es oft Teilarbeitsmärkte mit stark unterschiedlichen Bedingungen, was – neben anderen Push- und Pull-Faktoren – für Arbeitsmigration sorgt. So sind allein 400 000 Wanderarbeiter aus Myanmar in der kleinen thailändischen Grenzstadt Mae Sot tätig. In Thailand gibt es einen Mindestlohn, der für Arbeiter aus dem armen Nachbarland sehr attraktiv ist.


Infrastruktur für neue Wirtschaftskorridore

Benachbarte Grenzgebiete – wie Mae Sot/Myawaddy – sollten als ein verbundenes System betrachtet werden. Der Verband Südostasiatischer Nationen (Association of Southeast Asian Nations – ASEAN) könnte mit diesem Ansatz ein neues Modell regionaler Integration finden. Eine wichtige Triebkraft ist die Errichtung transnationaler Infrastrukturkorridore. Sowohl Chinas Belt-and-Road-Initiative, die „neue Seidenstraße“ (siehe Interview mit Doris Fischer im Schwerpunkt des E+Z/D+C e-Paper 2019/07) als auch das von der Asian Development Bank unterstützte Programm zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit der sechs Länder der Greater Mekong Subregion basieren auf neuen Infrastrukturverbindungen entlang wirtschaftlicher Korridore. Dass sich derzeit in Asien viel tut, zeigt auch die Datenbank des Projekts Reconnecting Asia des Washingtoner Thinktanks Center for Strategic and International Studies (CSIS): Sie führt in Eurasien knapp 14 000 Infrastrukturprojekte auf – von Häfen und Eisenbahnstrecken bis hin zu Kraftwerken.

Doch folgt der transnationalen Infrastruktur automatisch wirtschaftliche und später auch politische Integration? Wie können die Verwaltungen benachbarter Grenzgebiete effektiv zusammenarbeiten, um Herausforderungen und Potenziale gemeinsam anzugehen beziehungsweise zu nutzen? Ein Blick auf die Geschichte europäischer Integration hilft bei der Beantwortung dieser Fragen.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs mussten in einem gespaltenen Westeuropa Wege für den Wiederaufbau gefunden werden. Ein Vorschlag des französischen Außenministers Robert Schuman führte 1952 zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), dem frühesten Vorläufer der Europäischen Union, zwischen Deutschland, Frankreich, Italien und den Benelux-Staaten. Die Gründung der EGKS basierte auf wirtschaftlichen Erwägungen: Für die Stahlproduktion wurden sowohl deutsche Steinkohle als auch französisches Eisenerz benötigt. Das Montandreieck Saar-Lor-Lux an der deutsch-französisch-luxemburgischen Grenze wurde somit zur ersten transnationalen Kooperationsregion in Europa.

Im Zuge der Etablierung eines gemeinsamen Binnenmarktes in Europa hat die EU 1990 mit Interreg ein entscheidendes Instrument für die Förderung interregionaler Zusammenarbeit an den Binnengrenzen geschaffen. Es wurden neue grenzüberschreitende Regionen, sogenannte Euroregionen, definiert und dort Kooperationsbüros eingerichtet und Fördermittel für grenzüberschreitende Aktivitäten bereitgestellt. Erfahrungen etwa aus der deutsch-dänischen Euroregion Fehmarnbelt zeigen, dass Kooperationen nicht zufällig und nicht ohne Fördermittel entstehen. Gemeinsame Projekte sollten nicht nur in klassischen wirtschaftlichen Bereichen der Handelsförderung, sondern ebenso in anderen Feldern wie Kultur, Bildung, Sport et cetera entstehen.

Erfahrungen und Instrumente der europäischen Integration könnten den ASEAN-Staaten dabei helfen, eine gemeinsame Vision für eine grenzüberschreitende Region zu entwickeln.
Infrastruktur macht den Anfang: Mitte März wurde eine neue „Freundschaftsbrücke“ zwischen Mae Sot und Myawaddy eröffnet, die den myanmarisch-thailän­dischen Güterhandel stark erleichtern wird.


Felix Haas arbeitet als Berater in Myanmar und Südostasien vor allem zur Privatsektorentwicklung.
felix.haas.mm@gmail.com


Links

UNCTAD, 2019: Borderline. Women in Informal Cross-border Trade in Malawi, the United Republic of Tanzania and Zambia.
https://unctad.org/en/pages/PublicationWebflyer.aspx?publicationid=2348

Center for Strategic and International Studies: Reconnecting Asia.
https://reconnectingasia.csis.org/
 

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