Kommentar

Die Macht der Befreiungsbewegungen

Mehrere einstige Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika brachten autokratische Regime hervor, die ihre Länder ausbeuten. Dies gilt auch für Namibia. Dennoch genießt die Regierung einen relativ guten internationalen Ruf.
Politiker der Herero gedenken ihrer im Befreiungskampf gefallenen Mitglieder in Okahandja, Namibia. Frans Lemmens/Lineair Politiker der Herero gedenken ihrer im Befreiungskampf gefallenen Mitglieder in Okahandja, Namibia.

Am 21. März 2015 feierte Namibia den 25. Jahrestag der Unabhängigkeit. Seither sitzt die South West African People’s Organisation (SWAPO) als Swapo-Party fest im Sattel. Im November 1989 erreichte sie in den Wahlen unter Aufsicht der Vereinten Nationen eine absolute Mehrheit, die sie 1994 zu einer Zwei-Drittel-Mehrheit ausbaute. Bei den Wahlen Ende November 2014 erreichte sie sogar 80 Prozent der Stimmen.

Ihre Super-Dominanz erlaubt der Swapo, die demokratischen Spielregeln zumindest formal weitgehend einzuhalten und sie dient mittlerweile sogar dem südafrikanischen African National Congress (ANC) als Vorbild. Swapo und ANC gehören seit 1990 beziehungsweise 1994 zu den antikolonialen Bewegungen, die seit ihren Wahlsiegen die politische Macht nicht mehr abgegeben haben. Dies gilt auch für die MPLA (Movimento Popular de Libertação) in Angola (1974), die Frelimo in Mosambik (1975) und die Zimbabwe African National Union (ZANU) in Simbabwe (1980).

Viele postkoloniale Staaten kamen auch nach der Befreiung nicht wirklich zur Ruhe. Die Regierungen in Angola und Mosambik mussten sich jahrzehntelang gegen Terrorgruppen im eigenen Land behaupten, was ihre militaristische Denk- und Handlungsweise verstärkte. In Simbabwe entledigte sich Mugabe schon Mitte der 1980er Jahre durch an Genozid grenzende Massaker im Matabeleland der Opposition. Mit dem Movement for Democratic Change (MDC) formierte sich schließlich eine veritable Opposition, die ihn und seine Regierung abgelöst hätte, wenn es bei den Wahlen zu Beginn der 2000er Jahre mit halbwegs rechten Dingen zugegangen wäre. Dank der Rückendeckung durch die befreundeten Befreiungsbewegungen an der Macht vermochte sich Mugabe mit brutaler Repression und taktischer Finesse zu behaupten. In Sim­babwe wie auch in Angola und Mosambik leiden die Bevölkerungen heute unter der Misswirtschaft ihrer korrupten Machthaber.

In Namibia erfolgte die Konsolidierung politischer Macht ohne kriegerische Nachwehen. Die sozialökonomischen Strukturen der Siedlergesellschaft blieben weitgehend intakt. Zur privilegierten weißen Minderheit gesellte sich eine neue schwarze Elite, die sich wesentlich aus der ersten Generation der Befreiungsbewegung und deren Günstlingswirtschaft rekrutierte.

Die namibische Gerontokratie entwickelte eine kleptokratische Mentalität. Sie verscherbelte den Reichtum des Landes aus Bergbau oder Fischerei, ohne dass die materiellen Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit entscheidend verbessert wurden. Namibia gilt mit über 6 000 US-Dollar Pro-Kopf-Einkommen im Jahr als Land höheren mittleren Einkommens. Werden die eklatanten Einkommensunterschiede berücksichtigt, hat das Land in puncto sozialökonomischer Entwicklung hingegen kläglich versagt. Die Swapo-Führung ist sich keiner Schuld bewusst und macht für die weitverbreitete Armut weiterhin die Auswirkungen der Apartheid verantwortlich.

Dieses Beuteverhalten, das die Partei mit der Regierung und die Regierung mit dem Staat als Selbstbedienungsladen gleichsetzt, schürt zunehmend Missmut bei der Bevölkerung. Die soziale Frage wird zur Zeitbombe. Dennoch hat die Partei bisher alle potenziellen Herausforderer mangels ernsthafter Alternativen mühelos in die Schranken verweisen können. Dies gelang nicht zuletzt dank einer selbst nur auf den Eigennutz bedachten Pseudo­opposition.

Auch der Nationalstolz ist als Projek­tionsfläche ein wesentlicher Faktor. Die Swapo kompensiert koloniale Minderwertigkeitskomplexe und gilt weiterhin als Hoffnungsträger. Doch letztendlich vertragen sich Demokratie und Destitution nicht und erlauben keine tragfähige Entwicklung. Die Grenzen der Befreiung werden immer deutlicher. Dass der aus dem Amt scheidende Präsident Hifikepunye Pohamba im März den Mo-Ibrahim-Preis für gute Regierungsführung erhalten hat, spricht nicht für seine Amtsführung, sondern verdeutlicht, wie rar „gute Regierungsführung“ auf dem Kontinent wirklich ist.

Hennig Melber ist Direktor emeritus der Dag Hammarskjöld Stiftung in Uppsala und Extraordinary Professor der Universitäten in Pretoria und Bloemfontein. Er ist seit 1974 Mitglied der Swapo. Seine Monographie „Namibia
– ­Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit“ erschien im März 2015 bei Brandes & Apsel in Frankfurt/Main.
henning.melber@dhf.uu.se

 

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