Primärwälder

Indigene Völker spielen eine wichtige Rolle

Obwohl die Menschheit es sich nicht leisten kann, die Amazonaswälder zu verlieren, wird weiter kräftig abgeholzt. Untersuchungen zeigen, dass offiziell anerkannte indigene Territorien als Schutzbarrieren fungieren. Die nationalen Regierungen sollten das unterstützen. Die jüngste Entwicklung weg vom Umweltschutz, wie etwa in Brasilien, wird auf kontinentaler und globaler Ebene massiven Schaden anrichten.
Rosa Delphine leben im Amazonas.. Lineair Rosa Delphine leben im Amazonas..

Die indigenen Amazonasvölker waren über Jahrtausende die Hüter riesiger tropischer Waldgebiete. Nach biogeographischen Kriterien ist das Amazonasgebiet fast 7 Millionen Quadratkilometer groß und somit das größte Waldgebiet der Erde. Mehr als ein Drittel (37 Prozent) davon gehören zu mehr als 3 344 offiziell anerkannten indigenen Gebieten. In ihnen sind 375 verschiedene Ethnien zu Hause.

RAISG ist ein Netzwerk zivilgesellschaftlicher Organisationen aus mehreren lateinamerikanischen Ländern. Die Abkürzung steht für Red Amazónica de Información Socioambiental Georreferenciada (Amazonas-Netzwerk für sozial-ökologische georeferenzierte Information). RAISG nutzt jede verfügbare Methode, inklusive High-Tech-Anwendungen, um den sozial-ökologischen Zustand des Amazonasbeckens zu dokumentieren.

Untersuchungen von RAISG zeigen, dass bis 2015 nur acht Prozent der Wälder der indigenen Amazonasvölker abgeholzt worden waren. 88 Prozent aller Bäume waren in dem kleineren Teil des Amazonasgebietes gefällt worden, das weder indigenes Gebiet noch Schutzgebiet ist. Dieses Muster findet sich in allen Ländern der Region.

Auch andere Studien der vergangenen Jahre kamen zu diesen Ergebnissen. Tendenziell wird weit weniger abgeholzt, wenn Wälder von indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften (indigenous peoples and local communities – IPLCs) bewirtschaftet werden. IPLCs tragen somit dazu bei, CO2-Emissionen einzudämmen, die mit Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (land-use, land-use change and forestry – LULUCF) zusammenhängen. Weltweit machen derartige Emissionen rund acht Prozent aller Ausstöße aus. In den Amazonasländern sind es jedoch weit mehr: LULUCF verursachen hier zwischen 24 und 50 Prozent der nationalen CO2-Emissionen.

Forscher stellten fest, dass indigene Gebiete tatsächlich als Barrieren für die Abholzung dienen. Auch institutionelle Steuerung spielt eine Rolle. Eine Studie untersuchte verschiedene Waldstücke in Brasilien, die in vergleichbarer Weise von Abholzung bedroht waren. Wie sich zeigte, war Abholzung in Waldstücken in indigenen- und anderen Schutzgebieten weniger wahrscheinlich. Zwar war der Abholzungsdruck dort am stärksten – tatsächlich aber wurde am wenigsten gerodet.

Zum Teil wird argumentiert, dass in IPLC-verwalteten Gebieten wegen ihrer abgelegenen Lage weniger abgeholzt werde. Das stimmt aber nicht. Zumindest stimmt es nicht mit der Erfahrung in Brasilien zwischen 2001 und 2013 überein. Eine kürzlich durchgeführte Studie hat gezeigt, dass in IPLC-Wäldern um 49 bis 88 Prozent weniger abgeholzt wurde als in ungeschützten Waldflächen, die von der Lage und anderen Umständen her vergleichbar waren. Ähnliche Muster zeigten sich auch in Bolivien und Kolumbien, in Ecuador hingegen nicht.

Weniger Abholzung und Degradation bedeuten auch weniger CO2-Ausstoß. In Wäldern wird viel Kohlenstoff gespeichert, und es ist wichtig, dass er dort auch bleibt. Die indigenen Territorien im Amazonasgebiet tragen viel dazu bei, die CO2-Emissionen der Länder zu senken.

Die indigenen Gebiete machen nur etwa ein Drittel der gesamten Waldfläche aus, speichern aber fast ein Drittel des oberirdischen Kohlenstoffs der Region. Daher sind sie für den Erfolg des Pariser Klimaschutzvertrags relevant. In seinem Rahmen haben sich die Länder des Amazonasbeckens dazu verpflichtet, national festgelegte Beiträge (nationally determined contributions – NDCs) zur Minderung zu leisten. Diese könnten sie nicht erfüllen, wenn die von IPLCs verwalteten und zu schützenden Kohlenstoffsenken ähnlich massiv abgeholzt würden wie ungeschützte Bereiche. Eine Katastrophe wäre das auch hinsichtlich des regionalen Klimas. Dieses würde sich ändern und das Niederschlagsmuster des Kontinents erheblich beeinflussen. Die Wüstenbildung könnte sich verschärfen, und die Artenvielfalt würde definitiv stark zurückgehen (siehe Beitrag von Stephan Opitz im Schwerpunt E+Z/D+C 2019/02).


Traditionelles Wissen

Die indigenen Amazonasvölker waren seit jeher vom Wald abhängig. Alles Lebenswichtige bezogen sie daraus – darunter Nahrung, Unterkunft, Wasser, Fasern, Treibstoff und Medizin. Folglich sind die Kulturen der diversen ethnischen Gruppen untrennbar mit diesem Lebensumfeld verbunden, das Territorium definiert ihre Identität. Ihr Weltbild fußt auf Verbindungen zwischen ihren Vorfahren und Naturkräften. Von Generation zu Generation weitergegeben, entwickelte sich daraus ein traditionelles Wissen, das Gemeinschaften über Jahrtausende hinweg materiell und spirituell aufrechterhielt.

Heute steht dieses Gleichgewicht auf dem Spiel. Die westliche Kultur dringt in die Amazonasregion ein und nimmt zunehmend Einfluss auf IPLCs und ihre Gebiete. RAISG-Daten zeigen, dass im Jahr 2018 Straßen von 16 900 Kilometer Länge indigene Gebiete durchkreuzten. Konzessionen für Bergbau und Erdölbohrungen für 470 000 Quadratkilometer Wald wurden bereits vergeben oder stehen kurz davor, vergeben zu werden. Leider erteilen die Regierungen solche Konzessionen gerne unabhängig vom Rechtsstatus eines Gebiets – somit sind auch andere Schutzgebiete betroffen.

Indigene Führer wissen um die Bedeutung der Wälder. Sie äußern die Bedenken ihrer Gemeinschaften und fordern entsprechende nationale Politiken und Schutzmaßnahmen. Von REDD+ sind sie enttäuscht. Das Akronym steht für „Verringerung der Emissionen durch Entwaldung und Walddegradierung und Verbesserung der Kohlenstoffsenken in Entwicklungsländern“. Diese Initiative wurde 2005 auf dem UN-Klimagipfel gestartet. Die Idee war, dass waldreiche Länder belohnt werden sollten, wenn sie ihren Wald messbar schützen. REDD+ erwies sich als weniger wirksam als erhofft. Die Umsetzung ist aus verschiedenen Gründen schwierig – nicht zuletzt, weil auch die lokalen Gemeinschaften entlohnt werden müssen.

2011 präsentierten indigene Gruppen aus dem Amazonasgebiet gemeinsam eine Alternative zu REDD+: das Amazon Indigenous REDD+ (RIA). Diese Strategie sollte den Klimawandel abmildern und zur Anpassung beitragen, unter anderem durch den Erhalt und die ganzheitliche Bewirtschaftung der Gebiete. RIA nimmt traditionelles Wissen ernst, weil dieses den Wert bestehender Wälder und deren ökologischen Nutzen erkennt. Zugleich soll der Ansatz Wohlergehen, Selbstbestimmung und auch das künftige Wohlergehen von IPLCs fördern.

Zentraler Bestandteil des RIA-Vorschlags ist die Anerkennung kollektiver Landrechte sowie die Forderung nach nationalen Entwicklungspolitiken, die mit den Verpflichtungen der Länder zum Klimaschutz in Einklang stehen. Es bedarf eines konkreten Vorgehens, um die Entwaldung und Waldzerstörung zu kontrollieren und zu reduzieren. Die größten Umweltschäden gehen auf das Konto von Agrarindustrie, Beweidung, Holzindustrie und Bergbau. Auch Infrastrukturen für Wasserkraft und Verkehr sorgen für enormen Schaden. Diese Themen müssen angegangen werden.

Leider ignorieren die nationalen Regierungen die Dringlichkeit. Jair Bolsonaro, der neue brasilianische Präsident, hat sich grundsätzlich ablehnend gegenüber dem Umweltschutz geäußert (zur Demokratiekrise in Brasilien siehe auch Beitrag von Carlos Albuquerqe in der Tribüne E+Z/D+C e-Paper 1019/02). Besorgniserregend ist auch seine Missachtung von Minderheiten- und Menschenrechten. Lateinamerika sollte für Abholzung verantwortliche Unternehmen definitiv nicht weiter stärken. Sie weitermachen zu lassen wie bisher wäre fatal.

Andererseits spielen indigene Völker aus dem Amazonasgebiet und anderen Weltregionen bei internationalen Verhandlungen inzwischen eine immer wichtigere Rolle. Die Plattform für lokale Gemeinschaften und indigene Völker wird zum Beispiel als Brücke dienen, um die UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) mit den lokalen Gemeinschaften und ihrem traditionellen Wissen zu verbinden und den Austausch von Erfahrungen und bewährten Verfahren zu fördern (siehe Beitrag von Fatima Arkin im Schwerpunkt E+Z/D+C 2019/02).

Wissenschaftler betonen, dass die Temperaturziele des Pariser Abkommens nur zu erreichen sind, wenn Strategien zum Schutz der Wälder übernommen werden. Derartige Ansätze erlauben es auf kostengünstige Weise, Schaden abzuwenden. Wichtig sind Aufforstung sowie umweltfreundliche Waldbewirtschaftung und Landwirtschaft. Maßnahmen müssen aufgestockt und angemessen finanziert werden. Die IPLCs spielen in der Amazonas-Region eine entscheidende Rolle – und sie sind arm. Folglich sollten sie mitentscheiden dürfen und von Investitionen profitieren.


Carmen Josse arbeitet als Wissenschaftlerin für die Fundación EcoCiencia in Ecuador. Die zivilgesellschaftliche Denkfabrik ist Mitglied des internationalen nichtstaatlichen Netzwerks RAISG (Red Amazónica de Información Socioambiental Georreferenciada).
www.ecociencia.org


Link
RAISG:
https://www.amazoniasocioambiental.org/en/

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