Editorial

Menschenrechte

Ein Leserbrief in einer Tageszeitung Kalkuttas bleibt mir auf Dauer in Erinnerung. Im Herbst 1996 schrieb ein heimgekehrter Migrant, er habe sich in London viele Jahre lang über schlechte Behandlung durch Beamte geärgert und das auf Rassismus zurückgeführt. Nun erlebe er, dass ihm Landsleute in Behörden des Heimatlandes noch übler mitspielten.

Über Governance reden Regierungsvertreter aus reichen Ländern gern, nicht aber die aus armen Ländern. Zivilgesellschaftliche Aktivisten aus Entwicklungsländern finden das Thema aufregend. Entwicklungspolitisch en­ga­gier­te Vereine aus Industrienationen tun das nicht. Wer Amts- und Regierungsfüh­rung diskutiert, spricht nun mal implizit immer über die Verantwortung von Ka­­bi­netten und Verwaltungsapparaten für Wohlstand oder Elend in ihren Ländern.

Zivilgesellschaftliche Organisationen sehen sich oft als Wachhunde ihrer jeweiligen Regierung. In armen Ländern erinnern sie deshalb Politiker und Beamte an deren Zuständigkeiten. Dagegen thematisieren Protestkampagnen in den OECD-Ländern eher unzureichende Hilfsleistungen, unfaire Handelspolitik oder Klimasünden der dortigen Regierungen. Klar ist aber: Wenn irgendwo Entwicklung gelingen soll, muss der dortige Staat das möglich machen. Verwaltungen müssen der Gesellschaft dienen, nicht sich selbst. Sie müssen Recht und Gesetz befolgen, nicht willkürlich entscheiden. Sie müssen den Privatsektor gedeihen lassen, nicht Unternehmen sinnlos behindern.

Auf Staatshandeln kommt es überall an. Bildung, soziale Sicherung, Infrastruktur, Raumplanung, Polizei sind nur fünf von vielen wichtigen As­pek­ten. Dabei muss der Staat nicht alle Leistungen selbst erbringen. Alternativen können Privatfirmen bieten – vorausgesetzt, es gibt intelligente Regulierungen und kompetente behördliche Aufsicht. Dafür ist wiederum fachgerechte und durchsetzungsfähige Verwaltung nötig.

Klagen über träge Bürokratien gibt es weltweit, ebenso über inkompetente und vielleicht auch korrupte Beamte. Kein Staat ist perfekt. Die Kluft zwischen armen und reichen Ländern ist trotzdem gewaltig. Das zeigt schon ein kurzes Gedankenspiel: Hätte eine Arbeitslosenfamilie aus einem sozial schwachen Stadtteil von Dortmund, Marseille oder Lüttich Grund, mit einer ähnlich gestellten Familie in Mombasa, Nagpur oder Monterrey zu tauschen? Wohl kaum. Und andersherum? Vermutlich schon. Das liegt nicht nur daran, dass Deutschland, Frankreich und Belgien reicher sind als Kenia, Indien und Mexiko. Ihre Institutionen funktionieren auch besser.

Arme und Schwache können Rechte nur geltend machen, wenn ein Staat Gesetze schafft, sie durchsetzt und sich selbst daran hält. Deshalb ist Good
Governance eine Frage von Menschenrechten, und nicht nur eine des volkswirtschaftlichen Erfolgs.

Jede Verwaltungsreform ist schwierig. Sie muss tief verwurzelte Gewohnheiten überwinden und gegen gut vernetzte Interessen durchgesetzt werden. Das größte Problem ist dabei meist, dass Regierungen selbst Teil des Staatsapparats sind, und ihre Mitglieder in vieler Hinsicht vom Status quo profitieren. Damit Bürgerfrust nicht in Leserbriefspalten verpufft, verdienen beim Thema Governance zivilgesellschaft­liche Akteure aus Entwicklungsländern am meisten Gehör. Das sollte das High-Level Forum der OECD im September in Accra beherzigen, wenn Regierungsvertreter aus reichen und armen Ländern über wirkungsvollere Entwicklungspolitik beraten.

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