Tigray-Konflikt

Äthiopiens zerbrechlicher Frieden

The Tigray conflict in the north of the country is estimated to have claimed a million lives. Now a peace agreement gives reason for hope. However, those implementing it need to take account of underlying problems.
Jetzt ruhen die Waffen – Kämpfer in der Region Afar im Frühjahr 2022. picture-alliance/REUTERS/Tiksa Negeri Jetzt ruhen die Waffen – Kämpfer in der Region Afar im Frühjahr 2022.

Der 2020 ausgebrochene Konflikt zwischen dem äthiopischen Zentralstaat und der Regionalregierung von Tigray verlief äußerst brutal. Am Ende ging es darum, welche Seite bereit und in der Lage war, einen höheren Blutzoll zu entrichten. Soldaten wurden zu Kanonenfutter, die ausgehungerte Zivilbevölkerung zum Kriegspfand, Infrastruktur zum Ziel von Zerstörungen.

In der Folge gibt es im Norden Äthiopiens derzeit Millionen von Binnenvertriebenen. Die Wirtschaft des Landes ist um Jahre zurückgeworfen, die Bevölkerung von der Politik zunehmend desillusioniert. Gräben zwischen ethnischen Gruppen haben sich vertieft.

Der Friedensvertrag, im November in Südafrikas Hauptstadt Pretoria ausgehandelt, kam auch deshalb zustande, weil der äthiopische Zentralstaat vor dem wirtschaftlichen Kollaps stand. Geberländer machten zunehmend Druck. Auch seine Kontrahentin, die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF – Tigray People’s Liberation Front), kämpfte um ihr militärisches und politisches Überleben. Sollte der Frieden scheitern, haben beide Kriegsparteien mehr zu verlieren als vor Abschluss des Vertrags: Oppositionelle Kräfte und Diasporagruppen üben harsche Kritik und stehen bereit, um das Ruder zu übernehmen.

Lückenhafter Friedensvertrag

Nachdem frühere Vereinbarungen wiederholt gebrochen worden waren, zweifelten viele daran, dass die Konfliktparteien ernsthaft an einem Frieden interessiert seien. Am Friedensvertrag wurde kritisiert, dass er zu lückenhaft und unverbindlich sei, sodass er schwer umzusetzen sein würde – oder sogar weitere Konflikte entfachen könnte.

Mittlerweile mehren sich aber die positiven Zeichen. Die Parteien trafen sich zunächst in Kenias Hauptstadt Nairobi und später in Tigray, um die Umsetzung des Vertrags zu besprechen. Zügig wurden mehr als 65 Prozent der Soldaten der Rebellengruppe Tigray Defense Forces (TDF) demobilisiert. Wichtige Zentren in Tigray sind wieder an das nationale Stromnetz angeschlossen, und humanitäre Akteure haben wieder Zugang zu Hilfsbedürftigen.

Nicht alle sind eingebunden

In bestimmten Gebieten werden allerdings weiterhin Menschenrechte verletzt, und humanitäre Hilfe ist schwierig. Dies zeigt, wo die Bruchlinien des Friedensvertrages verlaufen: Die äthiopische Armee wurde von der amharischen Fano-Miliz und dem eritreischen Militär unterstützt. Beide waren offiziell weder Teil der Verhandlungen noch des Abkommens. Welche Auswirkungen dies haben wird, ist ungewiss. Stand Januar 2023 ziehen sich die im Norden stationierten Eritreer plündernd zurück. Sie werden aber wohl nicht jenen Gebieten den Rücken kehren, die sie seit dem Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien zur Jahrtausendwende beanspruchen. Wie auch die alliierten Amhara werden sie einen Ausgleich für erbrachte Opfer erwarten.

Fundamentale Schwierigkeiten

Bei der Umsetzung des Friedensabkommens sollten die tiefgehenden Probleme, die dem Konflikt zugrunde liegen, nicht aus dem Blickfeld geraten: skrupellose Eliten, die ethnische Konflikte strategisch anheizen; eine Spirale aus Gewalt, Traumatisierung und Rache; der Ausschluss breiter Teile der Bevölkerung von Entwicklungserfolgen – all das hat Äthiopien zurückgeworfen, sozial zerrüttet und wirtschaftlich ärmer gemacht.

Um diese Herausforderungen anzugehen, ist ein nationaler Dialog nötig. Zunächst wird aber wohl die wirtschaftliche Entwicklung im Vordergrund stehen. Diese hatte allerdings schon vor dem Konflikt keine starke soziale Integrationswirkung. Hinzu kommt, dass die äthiopische Zentralregierung geschwächt aus dem Konflikt hervorgeht. Sie ist außenpolitisch isolierter und abhängiger von Schuldnern und Partnern als vor dem Konflikt. Zudem verfügt sie nur noch über eine stark entkräftete und innerlich zerrissene Armee.

Der Aufbau Äthiopiens muss jetzt so geleistet werden, dass er erstens die genannten Probleme nicht verstärkt. Zweitens muss er auf allen politischen und militärischen Ebenen – regional, zentralstaatlich und international – gleichzeitig ansetzen, um ein erneutes Aufschaukeln zu unterbinden und die Grundlagen für echten Frieden zu schaffen.

Markus Rudolf ist bei der Addis Ababa University assoziierter Senior Researcher.
markus.k.rudolf@googlemail.com

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