Inklusion

Eine Milliarde Menschen ausgeschlossen

Die Rechte von Menschen mit Behinderungen in die Post-2015-Agenda einzubeziehen ist wichtig und machbar. Rund eine Milliarde Menschen leben mit Behinderungen, was ein Hauptgrund für Armut, aber auch eine Konsequenz davon ist.
Ein Agent-Orange-Opfer verkauft Souvenirs in Ho-Chi-Minh-City: Menschen mit Behinderung werden oft marginalisiert. . Dembowski Ein Agent-Orange-Opfer verkauft Souvenirs in Ho-Chi-Minh-City: Menschen mit Behinderung werden oft marginalisiert. .

In der internationalen politischen Debatte gewinnt das Thema Gleichberechtigung steigende Aufmerksamkeit. Ein wichtiger Aspekt davon ist die Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen. Die Millenniumsentwicklungsziele(MDGs) vernachlässigten das Thema Ausgrenzung, was wohl auch ein Grund dafür ist, dass sie nicht effektiv genug waren.

Mindestens eine Milliarde Menschen weltweit haben Behinderungen, und viele von ihnen sind vom sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben ausgeschlossen. In diesem Beitrag verdeutlichen wir, dass es wichtig und machbar ist, die Teilhabe oder Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Post-2015-Agenda zu verankern. Das Thema Inklusion sollte in einen breiten Diskurs über Ungleichheit und Ungerechtigkeit eingebettet werden.

Die große Zahl der Betroffenen und die verschiedenen Formen der Diskriminierung sind wichtige Gründe, das Thema in der internationalen Politik anzugehen. Der Weltbehindertenbericht, den die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Weltbank 2011 herausgaben, schätzt, dass mindestens 15 Prozent der Weltbevölkerung mit einer Form von Behinderung leben.

Behinderung und Armut verstärken sich gegenseitig. Wer mit einer Behinderung lebt, hat ein größeres Risiko zu verarmen. Menschen mit Behinderung werden häufig in der Gesundheitsversorgung, in der Schule und am Arbeitsplatz diskriminiert und erhalten nicht dieselben Chancen wie andere Menschen. Oft werden sie aus sozialen und politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen, auch in ihrem engen sozialen Umfeld.

Arme wiederum sind oft unterernährt, haben schlechte Arbeit, leben in schwierigen Umständen und sind Umweltgefahren ausgesetzt. Diese Faktoren begünstigen die Wahrscheinlichkeit einer Behinderung.

Aus diesen Gründen ist die Inklusion von Menschen mit Behinderungen eine Voraussetzung für nachhaltige Armutsreduzierung. Dies muss in Schule, Berufsausbildung und Arbeit geschehen. Nur dann können die Betroffenen ein unabhängiges Leben führen und am sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben teilhaben. Gelingt dies, müssen Familien- und Gemeindemitglieder auch weniger Zeit für Pflege aufwenden und haben mehr Freiräume für Schule und Job.

Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen verringert die sozioökonomischen Kosten von Ausgrenzung (TST, 2013). Es stimmt, dass die Förderung von Chancengleichheit Zusatzkosten – einschließlich sozialer Transferleistungen für Menschen mit Behinderungen – mit sich bringt. Durch bessere Infrastruktur und barrierefreien öffentlichen Verkehr profitiert jedoch die ganze Gesellschaft– und besonders ältere Menschen und Kinder.

Das Verständnis für Inklusion als Menschenrecht und Mittel gegen Armut hat viele internationale Vereinbarungen beeinflusst. Die bekannteste ist die 2006 von der UN-Generalversammlung verabschiedete Behindertenrechtskonvention (BRK). Nach ihrer Ratifizierung haben viele Länder Strategien zur Verbesserung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen entwickelt. Deutschland hat 2011 einen nationalen Aktionsplan zur Einführung der Konvention erarbeitet, und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat seinen eigenen Aktionsplan entworfen (2012).

Die internationale Gemeinschaft hat kürzlich bekräftigt, dass die Post-2015-Agenda zum Abbau von Chancenungleichheit zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen beitragen soll. Das gilt auch für Menschen mit Behinderungen. Es wurde ebenso anerkannt, dass ein wichtiges Defizit der MDGs ist, dass Staaten oft ihre Bemühungen zur Armutsreduzierung auf bestimmte ärmere Bevölkerungsgruppen beschränken. Dadurch bekommen die Menschen, die in extremer Armut leben und benachteiligt werden, nicht die nötige Aufmerksamkeit.

Das zunehmende Bewusstsein für das Thema Inklusion zeigt sich in vielen aktuellen politischen Beschlüssen, einschließlich der Abschlusserklärungen des Rio+20-Gipfels und des High-Level Forums on Aid Effectiveness in Busan. Darüber hinaus hieß der erste Leitgedanke des Berichts des „High-Level Panel of Eminent Persons“ für eine neue globale Agenda „niemanden zurücklassen“ (siehe E+Z/D+C 2013/07 S. 278f.). Auch in der Offenen Arbeitsgruppe, ein wichtiges Gremium der UN-Mitgliedsstaaten zur Verhandlung neuer Ziele ab 2015, wurde das Thema Behinderungen aufgenommen.

Wie geht es weiter?

Es reicht nicht aus, das Thema Inklusion nur zu benennen. Die Rechte von Menschen mit Behinderungen müssen Teil der Post-2015-Agenda sein und im Monitoring-System aufgenommen werden. Im Kern geht es dabei um folgende Punkte:

  • Verankerung der Menschenrechte, einschließlich der BRK, als Herzstück der neuen Agenda
  • ein überspannendes Gleichheitsziel, das die Inklusion Menschen mit Behinderungen explizit nennt, um konsequentes Handeln sicherzustellen und
  • ein Fokus auf Gleichberechtigung – und der Inklusion von Menschen mit Behinderung – als Querschnitt in Zielen und Vorgaben. Das trägt vermutlich am meisten dazu bei, Zugangsbarrieren zu Dienstleistungen (vor allem zu Ärzten, Krankenhäusern, in Schulen, in öffentliche Gebäude, zum öffentlichen Verkehr) zu reduzieren. Ziele sollten in der Post-2015-Agenda als Bausteine (Watkins, 2013) dienen, um Ungleichheit stufenweise zu reduzieren.

Es ist nötig, die Datenerhebung über Menschen mit Behinderung zu verbessern, um mehr über ihre Situation zu erfahren. Es ist ebenso relevant, Indikatoren nach Behinderung aufzuschlüsseln. Dies würde der Forderung des High-Level Panels nach einer „Datenrevolution“ entsprechen.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sowohl Maßnahmen als auch Monitoring zu verbessern:

  • Länder und Organisationen sollten kurze Umfragen oder Module über Behinderung in Standard-Haushaltsbefragungen einbauen. Um internationale Vergleichbarkeit zu gewährleisten hat die Washington Group 2006 einen kurzen Fragenkatalog erarbeitet. Die WHO und die Weltbank haben ebenso ein relevantes Instrument entworfen, die so genannte Model Disability Survey. Standardfragen gewährleisten die Vergleichbarkeit von wichtigen Umfragen. Dieser Ansatz würde helfen, alle relevanten Post-2015-Indikatoren nach Behinderung aufzuschlüsseln. Es würde sich dadurch auch ein viel klareres Bild ergeben, wie Armut und Behinderung zusammenhängen (Samman, Takeuchi, 2013).
  • Detailliertere Umfragen zum Thema Behinderung und Inklusion würden nationale Datensammlungen ergänzen.

In jedem Fall ist eine enge Zusammenarbeit zwischen nationalen und internationalen Statistikämtern wichtig.

Schlussfolgerung

Es wird zunehmend anerkannt, dass die Inklusion von Menschen mit Behinderungen machbar und notwendig ist, um neue Entwicklungsziele zu erreichen. Es gibt drei Aspekte, die in die Post-2015-Agenda einfließen müssen:

  • Die neue Agenda basiert auf den Menschenrechtsverträgen.
  • Menschen mit Behinderungen müssen explizit in einem Gleichheitsziel einbezogen werden, und
  • Inklusion muss als Querschnittsthema in allen relevanten Zielen und Vorgaben verankert sein.

Um diese Ziele zu erreichen, sind auch bessere und systematisch aufgeschlüsselte Daten vonnöten.

 

Emma Samman ist Forschungsstipendiatin am Overseas Development Institute in London (ODI).
e.samman@odi.org.uk

Laura Rodriguez Takeuchi ist ebenfalls Forschungsstipendiatin am ODI.

Esther Sommer arbeitet im Sektorprogramm „Inklusion von Menschen mit Behinderung“ bei der GIZ. Die Autorinnen drücken in dem Beitrag ihre persönliche Meinung aus.
esther.sommer@giz.de

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