Staatsschulden

Weshalb Pakistans Krise so tief ist

Pakistans Volkswirtschaft steckt in einer tiefen Krise, die sich schnell verschärft. Viele Probleme haben innenpolitische Ursachen, werden aber von internationalen Entwicklungen verstärkt.
Chinesische Darlehen haben Infrastrukturvorhaben ermöglicht: Metro-Passagierin in Lahore. picture-alliance/Pacific Press/Rana Sajid Hussain Chinesische Darlehen haben Infrastrukturvorhaben ermöglicht: Metro-Passagierin in Lahore.

Wie alle im Ausland lebenden Pakistanis wissen, kursieren im Internet seit Monaten immer mehr Aufrufe, bedürftige Familien mit Geld- oder Sachspenden zu unterstützen. Menschen leben massenhaft in verzweifelter Lage. Das betrifft auch viele, die glaubten, sicheren Mittelschichtstatus erreicht zu haben.

Am 1. April teilte Reuters mit, Pakistan erlebe die höchste Inflationsrate aller Zeiten – und 16 Menschen seien beim Massenandrang auf Lebensmittelhilfe zu Tode gedrückt worden. Tatsächlich tun sich Millionen von Pakistanis schwer, Essen zu beschaffen. Wo Notrationen ausgeteilt werden, herrscht heftige Nachfrage, und das enge Gedränge ist manchmal tödlich.

Selbst während des Ramadan galt es diesmal als Luxus, Obst zu kaufen. Im heiligen Monat des Islam fasten die meisten Pakistanis tagsüber, gönnen sich aber normalerweise nach Sonnenuntergang besondere Leckerbissen. Wie immer in Krisenzeiten haben vor allem Frauen und Mädchen zu leiden.

Hohe Preissteigerungen

Dem nationalen Statistikbüro zufolge betrug die jährliche Preissteigerung bei Lebensmitteln im März 50 Prozent, während die Verbraucherpreise allgemein um 35 Prozent gestiegen waren. Die ökonomischen Aussichten sind düster. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet im laufenden Finanzjahr mit nur 0,5 Prozent Wachstum, während die Weltbank von 0,4 Prozent und die Asiatische Entwicklungsbank von 0,6 Prozent ausgehen.

Noch vor wenigen Monaten waren die Prognosen günstiger. Im Oktober stellte der IWF 3,5 Prozent Wachstum in Aussicht (nach sechs Prozent im Finanzjahr zuvor).

Auch eine Energiekrise macht Pakistan zu schaffen. Landesweite Stromausfälle fühlen sich mittlerweile normal an. Pakistan hängt – auch für die Stromerzeugung – von Treibstoffeinfuhren ab.

Deshalb ist das Dahinschwinden der Währungsreserven alarmierend. Derzeit betragen sie rund 4 Milliarden Dollar und reichen höchstens für die Einfuhren eines Monats. Die Regierung musste im Winter nichtexistenzielle Einfuhren stoppen. Das hat die Wirtschaftstätigkeit weiter gebremst, denn seither herrscht Mangel an Rohstoffen und Vorprodukten.

Die gewaltigen Auslandsschulden belasten die Volkswirtschaft. Die internationale Initiative Debt Relief schätzt, die Regierung werde dieses Jahr 47 Prozent ihrer Einnahmen für Schuldendienste benötigen. Sie schuldet ausländischen Institutionen rund 100 Milliarden Dollar. Grob ein Drittel beruht auf Darlehen von China und dortigen staatseigenen Banken.

Angesichts der akuten Notlage braucht Pakistan dringend frisches Geld vom IWF oder von „befreundeten Ländern“. Zusätzliche Kredite aus China oder den Golfstaaten können dem Staat zwar kurzfristig Luft verschaffen, machen aber die langfristige Schuldenlast schwerer.

Angespannte Beziehungen zum IWF

IWF-Fachleute irritiert, wie schlecht Pakistans Volkswirtschaft gemanagt wurde. Das belegen makroökonomische Daten. Obendrein wissen IWF-Angestellte, dass es bereits viele Hilfsprogramme gab, nachhaltige Ergebnisse aber ausblieben.

Pakistan bekommt aktuell bereits Unterstützung vom IWF. 3,9 Milliarden von 6,5 Milliarden Dollar einer Extended Fund Facility (EEF) wurden bereits ausgezahlt. Dieses EEF-Paket vereinbarte der Fonds noch mit der Regierung des früheren Premierministers Imran Khan. Zu dem Paket gehören verbindliche Zielvorgaben, die Pakistan erreichen sollte. Dabei geht es um Indikatoren für makroökonomische Stabilität wie die Staatsausgaben und die Schuldentragfähigkeit.

Um die Ziele zu erreichen, hätte die Regierung Ausgaben kürzen müssen. Das wäre aber schmerzhaft gewesen, denn ein Viertel der Bevölkerung lebte bereits vor der aktuellen Krise unterhalb der Armutsschwelle. Es liefe auch nicht wie vereinbart. Voriges Jahr versäumte Pakistan mehrere makroökonomische Zielmarken.

Das lag teilweise an internationalen Entwicklungen, auf welche die Regierung keinen Einfluss hat. Die Klimakrise wirkte verheerend. Erst kam eine schreckliche Hitzewelle und dann zuvor nie erlebtes Hochwasser. Die Folgen waren Tod, verlorene Erwerbsgrundlagen und zerstörte Infrastruktur. Unter anderem wurde die Baumwollernte beeinträchtigt. Das wiederum ging zulasten der Währungsreserven, denn die Textilindustrie ist eine wichtige Exportbranche.

Die Regierung musste mit staatlichen Mitteln Nothilfe leisten. Das ist auch internationalen Institutionen klar. Geberstaaten haben dafür Geld zugesagt. Akzeptiert wird generell auch, dass Pakistan unter den Auswirkungen des Ukrainekriegs leidet, weil er Lebensmittel und Energie teurer gemacht hat.

Internes Versagen

Dass makroökonomische Ziele verfehlt wurden, hatte aber auch heimische Gründe. Als Premierminister Khan und seine Partei PTI (Pakistan Tehreek-e-Insaf) die Gunst der Spitzenmilitärs verloren, versuchten sie sich verzweifelt an die Macht zu klammern. Khan griff zu Treibstoffsubventionen und Steueramnestien. Beides ging zulasten von Haushaltsdisziplin und Währungsreserven.

Dennoch konnte sich Khan nicht im Amt halten. Er verlor eine Vertrauensabstimmung im Parlament, und im April 2022 trat eine neue Regierung unter Premierminister Shehbaz Sharif an. Es handelt sich um eine komplizierte Koalition aus vielen Parteien. Sie hielt an den Treibstoffsubventionen fest. Obendrein verschlimmerte sie die Lage noch dadurch, dass sie die pakistanische Rupie fest an den Dollar band. Das hält den offiziellen Wechselkurs künstlich hoch und lässt den Schwarzmarkt blühen. Informelle Finanzdienstleister gewinnen entsprechend an Boden, während das reguläre Bankwesen geschwächt wird.

Es wird allgemein akzeptiert, dass globale Entwicklungen Pakistan überfordert haben. Auch internationale Finanzinstitutionen sehen das so. Andererseits ist Pakistan bei IWF-Angestellten für wiederholtes Politikversagen bekannt. Sie fragen sich, ob irgendeine Regierung in Islamabad je Versprechen erfüllen wird.

Zur Wahrheit gehört, dass Pakistans Militär überentwickelt ist, während sein Steuersystem unterentwickelt bleibt (siehe Box). Staatliche Institutionen genießen wenig Vertrauen. Dass die aktuelle Koalition schwach ist, macht die Dinge nicht besser. In diesem Jahr stehen Parlamentswahlen an, und wie sie ausgehen werden, lässt sich schwerlich vorhersagen. In turbulenten Zeiten kann alles passieren.

Chinesische Darlehen im Wert von rund 30 Milliarden Dollar

Pakistans mit Abstand wichtigster bilateraler Geldgeber ist China. Insgesamt geht es bislang um einen Schuldenberg von 30 Milliarden Dollar. Die Kredite dienten vor allem Infrastrukturvorhaben. Der „China Pakistan Economic Corridor“ gehört zu Pekings internationaler „Belt and Road Ini­tiative“, die auch als „Neue Seidenstraße“ bekannt ist. Einige Projekte haben militärische Relevanz, aber die meisten dienen Entwicklungszielen. China hat auch begonnen, Pakistans Zahlungsbilanz mit Krediten zu unterstützen. Die Öffentlichkeit ist über die Details nicht informiert, die Zinsen sind aber vergleichsweise hoch.

Pakistan braucht jede Hilfe, die es bekommen kann. Gut wäre, wenn IWF und China koordiniert agieren würden. Bislang tun sie das nicht. Manche Pakistanis denken, die geographische Lage des Landes, seine Größe und seine Atomwaffen böten auf Dauer strategische Vorteile. Schließlich wollen weder China noch die USA Einfluss verlieren. Wie es zurzeit läuft, kann es aber nicht weitergehen.

Jahrzehnte schlechter Regierungsführung, politischer Instabilität und geostrategischer Spielchen sind Basis der aktuellen Schwierigkeiten. Die Klimakrise und die Inflation verschlimmern sie. Globale Trends und selbstgemachte Probleme summieren sich nun zur kompletten Katastrophendynamik.

Sundus Saleemi ist Senior Researcher am Zentrum für Entwicklungs­forschung (ZEF) der Universität Bonn.
sundus.saleemi@gmail.com

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