Editorial

Freud und Leid

Der Fremdenverkehr zählt zu den relativ sicheren Wirtschaftsbranchen. Seit 50 Jahren wächst der Markt trotz Weltwirtschafts- und Finanzkrisen fast unbeirrt. Mehr als 200 Millionen Menschen sind in diesem Sektor tätig – vom Zimmermädchen bis hin zum Reiseveranstalter.

Die Welttourismusorganisation UNWTO geht davon aus, dass es bald mehr als eine Milliarden internationale Reisen pro Jahr geben wird. Allerdings verteilt sich die Reiseaktivität nicht gleichmäßig: Die meiste Bewegung spielt sich immer noch in und zwischen Europa und Amerika ab. Auf den Weg machen sich vor allem Menschen aus Industrieländern – und letztlich sind es auch deren Heimatländer, die wirtschaftlich am meisten profitieren.

Afrika beispielsweise wird den Prognosen zufolge auch in den kommenden Jahren gerade einmal vier Prozent der weltweiten Einnahmen aus dem Tourismus erhalten. Und davon wiederum dürfte lediglich ein Bruchteil bei der einfachen Bevölkerung ankommen. Das ist ein Grund dafür, dass über die Frage, ob Tourismus zu Entwicklung beiträgt, gestritten wird.

Im Tourismusgeschäft liegen Freud und Leid eng beieinander. Der Urlaub als temporärer, erholsamer Ausstieg aus der eigenen Kultur- und Arbeitswelt geht mitunter auf Kosten des Gastlandes und seiner Bevölkerung. Nicht immer respektieren Reisende die üblichen Umgangsformen an ihrem Zielort, und allzu oft nutzen sie arme Menschen nur als billige Dienstleister aus. Zudem bringen manche Urlauber außer Devisen auch negative Einflüsse mit. Stichworte sind, neben der Gefahr von kultureller Verfremdung und Identitätsverlust der gastgebenden Bevölkerung, Sextourismus und Kinderprostitution. Allein auf den Philippinen werden schätzungsweise zwischen 60 000 und 100 000 Mädchen und Frauen Opfer der Prostitutionswirtschaft. Gesetzesbrüche werden aber nur selten geahndet – Korruption und Rücksicht auf mächtige Interessen gibt es nicht nur auf den Philippinen.

Ein weiteres Manko ist, dass durch den Flugverkehr enorme Mengen an Treibhausgasen emittiert werden. Da die Nachfrage kaum sinken wird, ist die Frage, wie damit umzugehen ist, elementar. Ob der Fremdenverkehr ökologisch vertretbar ist, hängt indessen noch an vielen anderen Fragen:
– Werden Ressourcen am Urlaubsort sparend oder verschwenderisch eingesetzt?
– Stammen die Baumaterialien aus der Region oder von weither?
– Gefährdet der Reiserummel die biologische Vielfalt – oder tragen seine Erlöse vielleicht gerade dazu bei, ihren Schutz zu finanzieren?

Zum Glück erkennen Reiseunternehmen zunehmend ihre Verantwortung. Dabei spielt sicherlich auch eine Rolle, dass kritische Verbraucher in reichen Nationen auf Corporate Social Responsibility Wert legen und verstärkt Fair-trade-ähnliche Reisen nachfragen. Reisen bildet, heißt es. Im Zeitalter der Alles-Inklusive-Angebote ist das sicherlich nicht immer der Fall. Tatsächlich bietet der Tourismus aber viele ökonomische, soziale und kulturelle Chancen – sofern man sie nutzt. Gefragt sind dabei nicht zuletzt die individuellen Urlauber selbst.

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