Kommentar

Das Ende des Friedensprozesses

Die israelischen Truppen haben im Gazastreifen ein Bild der Verwüstung hinterlassen. Ganze Wohnviertel wurden dem Erdboden gleichgemacht. 100 000 Menschen wurden obdachlos.


[ Von Bettina Marx ]

Israel will keinen Frieden, das hat die Militäroperation mit dem zynischen Na­men „gegossenes Blei“ überdeutlich gemacht. Drei Wochen dauerte der Feldzug gegen den Gazastreifen. Er kostete auf palästinensischer Seite mindestens 1300 Menschen das Leben. Der Gazastreifen wurde buch­stäblich zurück in die Steinzeit gebombt. Auf israelischer Seite kamen insgesamt 13 Personen um, darunter zehn Soldaten.

Aus eigener Kraft können sich die 1,5 Millionen Einwohner des bitterarmen Gazastreifens nicht von diesem Schlag erholen. Sie brauchen wieder massive ausländische Hilfe, um die Infrastrukturschäden zu beheben, die zerstörten Häuser wieder aufzubauen und um die Verwundeten und Traumatisierten zu behandeln. Ohne Unterstützung von außen gibt es auch keine ökonomische Perspektive. Schon vor der Militäroffensive hingen 80 Prozent der Bevölkerung von ausländischer Hilfe ab.

18 Milliarden Dollar hat die internationale Staatengemeinschaft seit Beginn des Oslo-Friedensprozesses im Jahr 1993 in die palästinensischen Gebiete gepumpt. Doch zu einer wirtschaftlichen Konsolidierung hat das nicht geführt. Hunderte von Straßensperren verhindern den freien Warenverkehr im Westjordanland und zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen.

Der Gazastreifen wurde 2005 nur in eine scheinbare Unabhängigkeit entlassen und ist seither völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Das kleine, wasserarme Küstengebiet lag schon vor der jüngsten Militäraktion wirtschaftlich am Boden. Die israelische Ausgrenzungspolitik trieb die Arbeitslosigkeit in schwindelnde Höhen und zwang im Lauf der Jahre auch die kleinen Reste der Privatwirtschaft, die sich zäh gehalten hatten, in die Knie.

Nach dem Ende der Operation erklärte Verteidigungsminister Ehud Barak im israelischen Fernsehen stolz, man habe die Truppen monatelang auf die Offensive vorbereitet. Sie war also keineswegs eine spontane Reaktion auf den Raketenbeschuss durch die Hamas, wie die israelische Regierung glauben machen will. Der Feldzug sollte Gaza endgültig ausgrenzen und wirtschaftlich vernichten.

Die Offensive wurde schon vor einem halben Jahr geplant, als Israel mit der Hamas – zunächst erfolgreich – über einen Waffenstillstand verhandelte. Es war dann auch nicht die Hamas, die nach fünf Monaten weitgehender Ruhe im Herbst den Waffenstillstand brach. Israel setzte der Ruhe am 4. November mit einer gezielten Militäroperation auf palästinensischem Boden und einem Luftangriff ein Ende. Die Hamas reagierte auf die Provokationen wie erwartet – mit massivem Beschuss israelischer Ortschaften. Daraufhin begann Israel die lang vorbereitete Militäroperation.

Jerusalem hat sich mit dieser Militäroperation vom Friedensprozess und von der Zweistaatenvision verabschiedet. Nicht mehr Frieden ist jetzt das Ziel, sondern Ruhe an der Süd- wie der Nordgrenze. Um dies zu erreichen, strebt man das an, was der konservative Oppostionsführer Benjamin Netanjahu einen „wirtschaftlichen Frieden“ nennt. Mit Hilfe Europas sollen die palästinensischen Enklaven im Westjordanland einen bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung erleben, und das soll die Menschen in diesen Bantustans ruhigstellen.

Der Gazastreifen stört in dieser Rechnung, denn die Hamas ist – anders als die Auto­nomiebehörde in Ramallah – nicht bereit, sich damit zufriedenzugeben. Darum soll das rebellische Gebiet jetzt gänzlich abgetrennt und nach und nach in die Verantwortung der Ägypter abgeschoben werden. Eine Lösung des Nahostkonflikts wäre aus israelischer Sicht weniger drängend und der jüdische Staat hätte Zeit gewonnen, um weitere Fakten zu schaffen, die Siedlungen auszubauen und sein Territorium auszudehnen. Ein lebensfähiger palästinensischer Staat rückt damit in immer weitere Ferne.

Doch die Palästinenser werden sich nicht dauerhaft mit kleinen wirtschaftlichen Erleichterungen zufriedengeben. Sie wollen ihre nationalen Rechte durchsetzen, sie wollen Selbstbestimmung und Freiheit. Sie wollen den eigenen Staat, der ihnen zusteht und auf den sie nun schon seit mehr als sechzig Jahren warten.

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