Editorial

Globales öffentliches Gut

Die Deutschen lieben ihre Wälder, deren Natur sie verklären. Uns ist meist nicht bewusst, dass es sich in der Bundesrepublik durchweg um Kulturlandschaften handelt, die nachhaltig bewirtschaftet werden. Diesen Begriff prägte die deutsche Forstwirtschaft schon im 18. Jahrhundert. Er besagt, dass nicht mehr Holz geschlagen wird als nachwächst.
Argentiniens Gran Chaco: aus Forst- wird Plantagenlandschaft. Sheila Mysorekar Argentiniens Gran Chaco: aus Forst- wird Plantagenlandschaft.

Verglichen mit Urwäldern sind unsere ökonomisch genutzten Sekundärwälder artenarm– dafür aber von Wegen gut erschlossen. Sie dienen sinnvollerweise als Erholungsgebiete, als grüne Lunge, als Biotope der verbliebenen Species – und als Anlagekapital.

Das war nicht immer so. Als der Wald noch wild war, fürchteten sich die Menschen vor ihm. Dort lebten gefährliche Tiere; dort hausten die Räuber. Wer sich diesen Gefahren aussetzte, war ganz auf sich selbst gestellt. Wild, Holz und andere Ressourcen lockten trotzdem viele an. Wilderei wurde zwar hart bestraft, aber nicht wirksam unterbunden. Die Wälder blieben lange rechtsfreie Räume, in denen Waffen nicht nur der Jagd dienten.  

Weil sie das nicht mehr wissen, begreifen viele Deutsche heute nicht, warum Wald in anderen Weltregionen so rasant vernichtet wird. Viele Menschen in Lateinamerika, Zentralafrika oder Südostasien verbinden aber die Wildnis nicht mit Naturschutz und angenehmen Freizeiterfahrungen, sondern wissen, dass der Kampf ums Überleben dort besonders hart ist. Die Armut treibt dennoch Menschen dorthin, die eine Lebensgrundlage suchen. Zugleich spielt Glücksrittertum eine Rolle.

Überall auf der Welt ist der Staat in abgelegenen Gegenden relativ schwach. Wenn starke kulturelle Normen und Glaube das Leben der dortigen Gemeinschaften prägen, herrscht trotzdem Frieden. Wo aber Staatsferne mit großer sozialer Diversität, ausgeprägter Not und hemmungsloser Profitgier einhergeht, herrscht das buchstäbliche Gesetz des Dschungels. Wer hier zurecht kommen muss, hat dringendere Probleme oder profitablere Interessen als den Schutz des Klimas oder der Biodiversität.

Jeder ist sich selbst der nächste. Alle nehmen sich, was zu greifen ist. Wer es sich leisten kann, bezahlt eine Schutztruppe. Manche Milizen nennen auch politische Motive, leben aber ihrerseits von der gewaltbereiten Ausbeutung der Forstressourcen. Wenn die Polizei überhaupt in Erscheinung tritt, wird sie meist nur als eine weitere bewaffnete Bande wahrgenommen. Besonders gefährdet sind derweil indigene Gemeinschaften, deren Mitglieder vielfach die Amtssprache gar nicht verstehen.

Das ökonomische Interesse am Wald ist riesig. Brandrodende Kleinbauern sind ein vergleichsweise kleines Problem. Großplantagen – für Palmöl etwa – erfordern viel mehr Land. Auch Bodenschätze und Holz sind weltweit geschätzte Rohstoffe, die im großen Stil vermarktet werden.

All das bedeutet nicht, dass Nachhaltigkeit nicht relevant wäre. Im Gegenteil. Sie ist eine globale Notwendigkeit. Die gesamte Weltwirtschaft muss so umgestellt werden, dass künftige Generationen nicht schlechter gestellt werden als heutige, ohne dass ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt werden. Der Weg dorthin ist aber mühsam – und das gilt auch für die Forstwirtschaft, aus der der Begriff ursprünglich stammt. Waldreiche Länder werden nicht selbstlos auf Einkommen verzichten, um für die Weltgemeinschaft das Klima zu stabilisieren. Umweltschutz ist ein globales öffentliches Gut, das alle angeht, nicht eine Pflicht nur für im Weltmaßstab vergleichsweise arme Gesellschaften.

Hans Dembowski

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