Bodennutzung

Geringe Rechtssicherheit

Mit steigender Nachfrage nach Nahrungsmitteln nehmen auch die Konflikte um Acker- und Weideflächen zu. Marginalisierte und indigene Gemeinschaften haben dabei oft das Nach­sehen. Es geht um erheblich mehr als stimmige Gesetze und rationale ökonomische Interessen. Von Ellen Thalman.
Water issues get more international attention than soil issues – irrigated Peruvian smallholding. Dembowski Water issues get more international attention than soil issues – irrigated Peruvian smallholding.

Ende Oktober reichte eine Gruppe kambodschanischer Bauern in den USA eine Beschwerde gegen den großen amerikanischen Zuckerhersteller American Sugar Refining ASR ein. Sie behaupteten, ihre Regierung habe sie von ihrem Land vertrieben, um dieses zwei asiatischen Unternehmen und einem Lokalpolitiker zu übertragen, die dort Rohstoff für eine ASR-Tochter produzieren.  

Obwohl solche Übergriffe rechtswidrig sind, kommen sie in Kambodscha und anderen Entwicklungsländern immer wieder vor. Das sagt David Pred von Inclusive Development International IDI, einer zivilgesellschaftlichen Organisation. Besonders oft geschehe derlei,  wo Eigentumsrechte unklar sind und mächtige Lobbies und staatliche Stellen Menschen leicht einschüchtern können. „Es geht um eine Geographie der Landnahme“, sagte Pred Ende November während der Global Soil Week in Berlin, die das Potsdamer IASS Institute for Advanced Sustainability Studies mit Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der EU und der UN organisierte.


Fruchtbares Land wird knapp

Die Ressource Land ist begrenzt und nicht erneuerbar. Wegen Erosion, Umweltverschmutzung und Verstädterung werden die fruchtbaren Böden knapp. Derweil verlieren lokale Gemeinschaften Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen, weil beispielsweise ausländische Investoren in großem Stil Land kaufen „Land-Grabbing“. Laut UN-Er­nährungs- und -Landwirtschaftsprogramm FAO standen vor 50 Jahren pro Mensch 0,45 Hektar Anbaufläche zur Verfügung, heute sind es nur noch 0,25 Hektar. Mit dem Nahrungsbedarf steigt aber auch der Bedarf an landwirtschaftlicher Nutzfläche. Dennoch erhalten Bodenutzung und verwandte Konflikte international im Vergleich zu Themen wie etwa Wasser wenig Aufmerksamkeit.

Viele Länder haben die UN-Konventionen unterschrieben und Richtlinien verabschiedet, die Grundbesitz und Nutzungsrechte regeln. Dennoch verlieren margina­lisierte Menschen immer wieder die Lebensgrundlagen, die sie zu Recht für ihr Eigen halten. Sie werden von der Politik ausgeschlossen, argumentieren Organisationen wie IDI. Derartiger Machtmissbrauch komme auch in Demokratien vor – beispielsweise in Indien und Brasilien. Oft kenne die betroffene Bevölkerung ihre Rech­te nicht. Pred betont, nicht einmal die Verpflichtung örtlicher Verwaltungen, alle Betroffenen zu konsultieren, löse das Problem.

Aus offensichtlichen Gründen ist die Lage unter autoritärer Herrschaft noch schlimmer. Komplizierte Szenarien treten auch dort auf, wo – etwa im Urwald – Landrechte gar nicht klar geregelt sind und staatliche Institutionen wenig Durchsetzungsvermögen haben, sagt Sergio Sauer von der Universidade de Brasília.

Land-Grabbing und Bodenspekulation treiben derzeit in vielen Weltgegenden die Grundstückspreise in die Höhe, sodass einheimische Bauern sich die Pacht nicht mehr leisten können. Gruppen am Rande der Gesellschaft wie indigene Gemeinschaften haben kaum eine Chance im globalen Wettbewerb um Ackerland, Wald, Bodenschätze oder sogar Wasser, warnen Fachleute.


Aus den kambodschanischen Dörfern Chuuk, Chikor und Trapeng Kendal wurden laut IDI 450 Familien vertrieben, um der Zuckerproduktion des thailändischen Unternehmens Khon Kaen Sugar Platz zu machen. Der Zucker sei an eine britische Firma verkauft worden, und diese sei 2010 von ASR übernommen worden. In Kambodscha hätten solche Fälle zur Vertreibung und Verelendung von mehr als 10 000 Menschen geführt.  In einem anderen prominenten Fall setzen sich die indigenen brasilianischen Guarani gegen eine Lobby aus Lokalpolitikern und Großgrundbesitzern zur Wehr, um das Land ihrer Vorfahren zu behalten. Ihre Widersacher arbeiten mit Einschüchterung und nutzen Beziehungen zu Justiz und Vollzugsbehörden, wie Betroffene und Beobachter berichten. 2012 hat Brasiliens Generalstaatsanwalt eine Direktive erlassen, die wirtschaftliche Vorhaben auf dem Boden indigener Völker erlaubt, ohne diese auch nur zu konsultieren. Es herrscht weithin Einvernehmen, dass diese Direktive die Rechte der Indigenen verletzt, die ihnen der Staat zuvor zugestanden hat – von der Verletzung internationalen Rechts ganz zu schweigen.

Im Mai beschloss der Welternährungsausschuss die „Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of the Tenure of Land, Fisheries and Forests” der FAO. Diese Richtlinien sind nicht bindend, aber auch kritische Organisationen halten sie für einen wichtigen Schritt in Richtung Standards mit Vorbildcharakter siehe Kommentar von Michael Windfuhr in E+Z/D+C 2012/05, S. 219. Sie versprechen Anspruchsberechtigten Zugang zu Ressourcen und bieten eine Grundlage, um Konflikte im Konsens der Beteiligten zu lösen.  

Allerdings kann es selbst in Ländern mit etablierten Rechtssystemen schwer sein, Konflikte einvernehmlich zu lösen. Das gilt umso mehr, weil die Landbevölkerung oft in verschiedene Klassen, Kasten und Ethnien gespalten ist. „Man darf Land nicht nur unter einem einzigen Aspekt betrachten“, sagt Jun Borras von der Rotterdamer Erasmus-Universität. Es gehe um mehr als stimmige Gesetze und rationale ökonomische Interessen. Für viele Indigene bedeute der Verlust ihres Landes nicht nur Verlust ihrer Heimat, sondern auch Verlust ihrer Kultur und Tradition.

Borras lehnt eine Kommerzialisierung von Landbesitz ab, die vor allem Investoren dient und mit der Regierungen Wirtschaftsinteressen absichern wollen: „Der Staat will Dinge gern vereinfachen. Aber bei Land geht es nun mal um komplexe ­soziale Beziehungen.“ Der Sozialwissenschaftler betont die Diskrepanz „zwischen offiziellen Daten und dem, was in entlegenen Gebieten wirklich passiert“.

In vielen Regionen der Welt ist Rechts­sicherheit nicht gewährleistet. Oft „werden selbst verbindliche Vereinbarungen zur Bodennutzung nicht in die Praxis umgesetzt“, sagt Jes Weigelt vom IASS. Es wäre deshalb ein guter Start, den öffentlichen und privaten Sektor, die Zivilgesellschaft und die internationale Gemeinschaft dazu zu bringen, in der Praxis Beispiele mit Vorbildfunktion zu entwickeln.

Bloße Lippenbekenntnisse werden Missbrauch aber nicht verhindern. „Wir müssen die Macht umverteilen: Wir müssen sie denen nehmen, die Recht missachten, und denen geben, die Rechte haben“, sagt IDI-Aktivist Pred. Seiner Meinung nach geht es um Menschenrechte – und das stehe nicht nur in einem juristischen, sondern auch in einem gesellschaftlichen Zusammenhang.

 

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