Infrastruktur

Klospülung reicht nicht

Unbehandeltes Abwasser ist ein Gesundheitsrisiko. Trotzdem sollte es als Ressource betrachtet werden. Wenn wir es nicht recyceln und wiederverwenden, ist es unmöglich, alle Städter in Entwicklungsländern mit sauberem Trinkwasser zu versorgen, wie das Beispiel Indien zeigt.

Von Sunita Narain

Indien ist derzeit wie besessen davon, immer mehr Wasser in die Städte zu leiten. Dies ist ein teures Unterfangen, und je länger die Pipelines sind, desto weniger Wasser kommt an. Die Stadtwerke berichten, dass 30 bis 50 Prozent des Wassers beim Transport verloren gehen. Dadurch steigen die Wasserkosten und die Subventionen der Regierung reichen nicht mehr für alle. Letztendlich unterstützt der Staat nur noch die Wohlhabenden – für die Armen reicht das Geld nicht aus. Ein perverses Szenario.

Wenn städtische Wasserwerke wegen zu hoher Kosten überfordert sind, kaufen die, die es sich leisten können, Wasser in abgefüllten Flaschen. Die Armen dagegen zahlen mit ihrer Gesundheit.

Nun wollen die Behörden mehr sauberes Wasser zur Verfügung stellen. Dabei vergessen sie aber einen wichtigen Fakt: Wo sauberes Wasser angeboten wird, muss sich auch jemand um das Abwasser kümmern. Denn nachdem die Haushalte es benutzt haben, sind rund 80 Prozent der Flüssigkeit verschmutzt. Wohin gelangt sie dann? In Bäche, Teiche, Seen und Flüsse. Oder aber sie sickert in den Boden und verschmutzt das Grundwasser. Grundwasserproben aus indischen Städten beweisen, dass die Nitratbelastung zunimmt.

Indische Stadtplaner träumen von einem Kanalsystem, das alle Toiletten miteinander verbindet. Hier könnten WCs mit Spülung angeschlossen werden. Sie glauben, dass solche unterirdischen Systeme das Abwasser auf magische Weise zur Kläranlage transportieren, wo es gereinigt und unmittelbar in das nächstgelegene Gewässer zurückgeleitet wird.

Doch die städtischen Abwasseranlagen sind mit dem mit Exkrementen verschmutzten Wasser über­fodert. Das jetzige System braucht viel saubere Flüssigkeit, um kleine Fäkalienmengen über teure Leitungen in ebenfalls sehr teure Kläranlagen zu transportieren – die jedoch den vielen Schmutz nicht bewältigen können. Also wird ein großer Teil unbehandelt in die Umwelt geleitet. Ähnliches geschieht mit den Exkrementen der armen Menschen, die die öffentliche Kanalisation nicht erreicht, die aber den Gesundheitsrisiken in vollem Maße ausgesetzt sind.

Diese Art der Infrastruktur ist also nicht die Lösung des Umweltproblems. Sie ist selbst ein Teil des Problems geworden.

Da Abwassersysteme viel Kapital verschlingen, können Städte in Entwicklungsländern sie nicht für alle Bürger zur Verfügung stellen. Zumeist reicht das Geld weder für die Kanalisation noch für Kläranlagen. Umweltverschmutzung ist die Folge.

Die Städte Indiens ertrinken in ihren Exkrementen. Jede Stadt, die ihre Abwässer in einen Fluss ableitet, denkt, ihr Problem sei nun gelöst. Die Ironie dabei ist jedoch, dass wir in gewisser Weise alle flussabwärts leben. Denn es gibt immer noch Kommunen weiter flussaufwärts, die ebenso handeln. Und wenn diese Siedlungen wachsen, vermehrt sich der Abfall.

Dass die Stadtbevölkerung auch noch mit der Industrie und Landwirtschaft um Wasser konkurrieren muss, verschlimmert die Lage. Je mehr Wasser diese verbrauchen, zum Beispiel für Bewässerung, desto weniger bleibt übrig, um den Abfall zu verdünnen. Dadurch verlieren unsere Flüsse ihre natürliche Selbstreinigungskraft. Viele unserer Gewässer sind inzwischen zu Abwasserkanälen geworden.

All dies muss sich ändern. Die beliebte Lösung der Wasser- und Abfallwirtschaft der reichen Länder – runterspülen und vergessen – funktioniert in Entwicklungsländern nicht. Soll es einmal genug sauberes Wasser für jeden geben, muss zuerst das Abwasserproblem bewältigt werden.

Offensichtlich sind Wasserknappheit und Schmutzwasser wachsende Probleme. Entweder man geht sie an und nimmt hohe Klärkosten in Kauf, oder aber die Zahl der Kranken und Toten schießt in die Höhe. Durchfall und andere durch Wasser übertragene Erkrankungen gehören in Indien und anderen Entwicklungsländern nach wie vor zu den häufigsten Todesursachen von Kindern unter fünf Jahren. So kann es nicht weitergehen.

Unsere Städte müssen neue Methoden und Techniken zur Wasserförderung und Abfallbeseitigung finden. Die derzeitige Methode bringt mehrere Probleme mit sich:
– Sie ist kapitalintensiv.
– Sie vergrößert die Kluft zwischen Arm und Reich.
– Sie verbraucht zu viele Ressourcen, weil sie frisches Wasser für Spülung und Reinigung einsetzt.

Dieses System wurde in den reichen Industrieländern, die genügend Ressourcen zur Verfügung hatten, eingeführt und von Entwicklungsländern unüberlegt imitiert. Es kann jedoch nicht für alle funktionieren.

Neue Wege

In den Entwicklungsländern müssen wir umdenken und in Ressourceneffizienz investieren. Unsere Städte dürfen nicht wie die Industrieländer zunächst Rohstoffe und Material verschwenden und sich erst viel später um Effizienz kümmern. Wir müssen bereits von Anfang an – also ab sofort – in sparsames Wasser- und Abfallmanagement investieren. Dafür sind vier Aspekte ausschlaggebend:
– Erstens sollten wir weniger Geld dafür ausgeben, Wasser in unsere Häuser zu leiten. Lange Pipelines verursachen hohe Kosten für Wartung, Pumpen und Leckverluste. Es ist unbedingt erforderlich, lokale Gewässer wiederzubeleben und Grundwasserbestände gesunden zu lassen. Wasser muss grundsätzlich möglichst nahe beschafft werden.
– Zweitens müssen wir den Wasserverbrauch in unseren Haushalten reduzieren, so dass weniger gereinigt werden muss.
– Drittens müssen wir Kosten senken, indem wir die Transportwege für Abwasser kürzen. Wir müssen das existierende Kanalsystem sowie weitere Techniken nutzen, um das Abwasser so lokal wie nur möglich zu klären.
– Zu guter Letzt gilt es zu lernen, jeden Tropfen Abwasser wiederzuverwerten. Wir müssen es entweder mittels teurer Technologien zu Trinkwasser aufbereiten oder es für unsere Industrie und Gärten nutzen. Wenn es gut geklärt wird, können wir damit auch das Grundwasser aufstocken.

Man könnte sagen, dass Toiletten die am wenigsten erforschte Technologie der Welt sind. Diese Technologie muss überarbeitet werden, damit sie für alle erschwinglich wird und gleichzeitig menschliche Ausscheidungen angemessen recycelt.

Dafür sollten wir die fortschrittlichste Wissenschaft und das traditionellste Wissen zugleich nutzen. Wir kennen Spitzentechnologien für Toiletten aus Raumfahrtprogrammen. Und wir wissen über ursprüngliche Wassersysteme in traditionellen Dörfern Bescheid, die das meiste aus knappen Ressourcen herausholen können. Wir brauchen den Einfallsreichtum und die Demut der Wissenschaft, um die nächste Generation der Sanitärtechnologien zu entwickeln.

Für all dies muss unsere Generation ihre Einstellung verändern und neue Denkweisen entwickeln. Die Herausforderung besteht darin, mit den alten Mustern zu brechen. Denn moderne Reinigungstechnologien mit ihren hohen Installations- und Instandhaltungskosten sind zu teuer.

Städte müssen ihre Abfallwirtschaft verändern und in Wiederverwertung investieren. In Singapur werden beispielsweise teure Membrantechniken verwendet, die Schmutzwasser in Trinkwasser verwandeln. Eine weitaus günstigere Alternative besteht darin, Stadteinwohner dazu zu bringen, weniger Abwasser zu generieren und sicherzustellen, dass Haushalts- von Industrieabwässern getrennt werden. So kann das weniger giftige Schmutzwasser gereinigt und zur Erneuerung des Grundwassers oder zur Bewässerung genutzt werden. Von so einem neuen Ansatz könnten alle profitieren.

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