Landwirtschaft

Impulse für den Strukturwandel

Innovation und Wissensmanagement sind die treibenden Kräfte für eine leistungsfähige bäuerliche Landwirtschaft in Entwicklungsländern. Das schreibt der ­Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Von Gerd Müller
Bundesminister Gerd Müller besucht das Institut für angewandte Agrarforschung und Ausbildung in Katibougou, Mali. Thomas Trutschel/photothek.net Bundesminister Gerd Müller besucht das Institut für angewandte Agrarforschung und Ausbildung in Katibougou, Mali.

 Was wir bei der Gründung unseres ersten grünen Zentrums in Mali im März erlebt haben, hat unsere ganze Delegation zuversichtlich gestimmt. Das landwirtschaftliche Forschungszentrum in Katibougou hat bereits beste Voraussetzungen, zu einer der Innovationsstätten für landwirtschaftliche Erzeugung und Vermarktung zu werden. Denn darum geht es: Wissenstransfer und Aufbau einer modernen Wertschöpfungskette: von der Nutzung der Böden über die Lagerung der Ernte, über die Verarbeitung bis hin zur Vermarktung an die Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir werden hierzu die bestehenden Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen in Mali gut miteinander vernetzen und das hier gewonnene Wissen im ganzen Land verbreiten.

Damit dieses Wissen aber auch angewandt wird, werden wir es in die vorhandenen Programme und Projekte unserer Entwicklungszusammenarbeit mit Mali einbetten. Beispiel Bewässerung: Hier besteht ein großes Potenzial, durch innovative Ansätze die Erträge der kleinbäuerlichen Betriebe nachhaltig zu steigern und die gesamte Wertschöpfung in der Region – vom Acker bis zum Teller – zu erhöhen. Damit können wir in Mali einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung von Armut, Hunger und Mangelernährung leisten.


 Zehn grüne Zentren

Mein Ziel ist es, in den kommenden Jahren die Entwicklung von mindestens zehn solcher „grünen Zentren“ voranzutreiben, hauptsächlich in Afrika. Diese Zentren sollen maßgeblich dazu beitragen, die Landwirtschaft in diesen Ländern zu modernisieren, die Agrarproduktion sozial- und umweltverträglich zu steigern, eine dynamische ländliche Wirtschaft zu fördern und die Bevölkerung auf dem Land und in der Stadt mit ausreichender und gesunder Nahrung zu versorgen. Der Aufbau dieser Innovationszentren ist ein wichtiger Bestandteil meiner Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“. Unter dem Dach dieser Initiative werde ich die deutsche Entwicklungspolitik stärker als zuvor auf die Bereiche ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Ernährungssicherung ausrichten.

Die Hoffnungen, dass sich alleine durch offene Grenzen und internationalen Handel der Hunger auf der Welt beseitigen ließe, wurden enttäuscht. Im Vertrauen auf die Illusion ewig niedriger Agrarpreise auf dem Weltmarkt vernachlässigten viele Entwicklungsländer jahrzehntelang ihre eigene Landwirtschaft und verließen sich auf die preiswerte Einfuhr von Nahrungsmitteln. Auch die Entwicklungspolitik hat diesen Bereich vernachlässigt. Nicht wenige Länder wurden in dieser Zeit von Nettoexporteuren zu Nettoimporteuren von Agrarprodukten. Dass dies ein Irrweg war, spürten diese Länder spätestens, als die Weltmarktpreise drastisch stiegen.

Viele Regionen auf der Welt, die heute nicht ausreichend Nahrungsmittel produzieren, haben enorme landwirtschaftliche Potenziale und bleiben sehr weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sehe ich eine meiner Hauptaufgaben darin, dazu beizutragen, diese Potenziale zu erschließen und die Chancen zu nutzen, die in der Entwicklung einer heimischen Agrar- und Ernährungswirtschaft zur Überwindung von Armut und Hunger liegen.

Investitionen in die Landwirtschaft haben laut Weltbank einen deutlich höheren Effekt auf Armutsminderung als Investitionen in andere Sektoren. Landwirtschaft kann der entscheidende Ausgangspunkt für umfassende Entwicklungsprozesse in einem Land sein. Aber um diese Wirkung zu erzielen, reicht es nicht aus, lediglich höhere Hektarerträge zu erbringen. Die Produktivitätssteigerungen müssen nachhaltig sein: Landwirtschaft muss Bodenfruchtbarkeit, natürliche Wasservorkommen und Artenvielfalt erhalten, damit auch nachfolgende Generationen sich ausreichend ernähren können. Moderne Anbaumethoden tragen dazu bei, die Folgen des Klimawandels abzumildern. Außerdem zählt letztlich nicht allein die Produktion, sondern es kommt darauf an, vollständige „Wertschöpfungsketten“ aufzubauen. Nur durch eine umfassende Entwicklung von Produktion und Ernte, Lagerung, Weiterverarbeitung, Transport und Vermarktung wird sichergestellt, dass die Gaben der Natur auch wirklich als Nahrungsmittel beim Verbraucher ankommen.


Innovation als Triebkraft

Zum Aufbau einer produktiven Agrar- und Ernährungswirtschaft in Entwicklungsländern, die in der Lage ist, die genannten Chancen zu nutzen, halte ich es für unverzichtbar, Innovationen zu fördern. Innovation ist im Laufe der Zeit zur treibenden Kraft in der Landwirtschaft geworden. Noch in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg war Produktionssteigerung hauptsächlich eine Sache von mehr Fläche, mehr Wasser, mehr Dünger.

Dies hat sich völlig geändert. Längst ist es nicht mehr der wachsende Einsatz von „Inputs“, der den entscheidenden Fortschritt bringt, sondern das Wissen um deren effizienten und effektiven Einsatz. Produktivitätsfortschritt ist dort, wo angewandte Züchtungsforschung betrieben wird, wo Forschungsergebnisse im Feld erprobt und über Aus- und Weiterbildung breit vermittelt werden. Innovation hat dabei nicht nur eine technische Seite. Eine ebenso große Rolle wie die Vermittlung von agrarwissenschaftlichem und technischem Wissen spielt die Verbreitung von betriebswirtschaftlichem und organisatorischem Know-how: Es geht beispielsweise um die Bildung von Erzeuger- und Vertriebsgemeinschaften, um Marktanbindung – und nicht zuletzt auch die Möglichkeit der Selbstorganisation von Landwirten in Verbänden, die ihnen eine angemessene politische Stimme verschaffen.

Technische und organisatorisch-institutionelle Innovationen begründen gemeinsam eine völlig neue Form von „Grüner Revolution“, die den Übergang vom Leitbild des „producing more“ zum Nachhaltigkeitsparadigma des „producing more with less“ ermöglichen. Und sie schaffen gemeinsam die Voraussetzung, begrenzte isolierte Fortschritte in einzelnen Teilbereichen der landwirtschaftlichen Wertschöpfung durch eine umfassende Entwicklung der gesamten agrarischen Wertschöpfungskette abzulösen.

Das Phänomen des Fortschritts durch Innovation war bislang in den Industriestaaten ausgeprägter als in den Entwicklungsländern. Aber auch dort ist unverkennbar, dass die Verbreitung und Anwendung von modernem Wissen und moderner Technik zur wichtigsten Triebkraft und zum bestimmenden Merkmal in Land- und Ernährungswirtschaft geworden sind. Ich sehe es als wichtige Aufgabe für die Entwicklungspolitik, diesen Trend tatkräftig und konsequent zu unterstützen. Die bereits genannten Innovationszentren sollen hierbei eine tragende Rolle spielen.


Impulsgeber für Strukturwandel

In den geplanten Innovationszentren zur Steigerung agrarischer Wertschöpfung geht es darum, Forschung, Erprobung, Demonstration, Bildung, Ausbildung und Beratung zusammenzubringen. Idealerweise bilden diese Zentren ein umfassendes Cluster von verschiedenen Einrichtungen der Wissensgenerierung und -vermittlung, bestehend aus einer Forschungseinrichtung, verschiedenen Demonstrations- und Versuchsbetrieben, einer Landwirtschaftsschule, dezentralen Aus- und Weiterbildungsangeboten sowie breitenwirksamen Beratungsdiensten. Die Zentren sollen entscheidende Impulse liefern für Ertragssteigerung, Nachernteschutz, Marktintegration und Erhöhung der Wertschöpfung vor Ort sowie die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen.

Die Zentren stehen nicht für „Hochtechnologie“. Vielmehr geht es um die Verbreitung von praktischem Wissen und Techniken, die den lokalen Gegebenheiten angepasst sind, sowie um die Entwicklung eines modernen Berufsbildes in der Landwirtschaft. Auch geht es hier um den gezielten Aufbau von Beratungsleistungen, um die Lücke zu schließen, die der rigorose Abbau von Beratungsdiensten in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern gerissen hat. Die Ausbildungs- und Beratungsangebote der Innovationszentren werden auch der – viel zu wenig beachteten – Tatsache Rechnung tragen, dass Frauen in der Landwirtschaft der Entwicklungsländer eine enorm wichtige Rolle spielen und in der Regel die Hauptverantwortung für die Ernährungssicherung in der Familie und der lokalen Gemeinschaft tragen.

Die geplanten Zentren werden keine isolierten Einzelmaßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit sein. Vielmehr bilden sie den Kern eines erweiterten, durch die Entwicklungszusammenarbeit gestützten Reformansatzes zur Förderung ländlicher Entwicklung insgesamt. Auf der einen Seite werden wir die unternehmerischen Möglichkeiten der bäuerlichen Familienbetriebe verbessern. Hierzu gehören etwa die Förderung von Erzeugergemeinschaften (etwa Genossenschaften), der Aufbau von Maschinenringen und die Erleichterung des Zugangs zu Agrarfinanzierung und moderner Informations- und Kommunikationstechnologie (etwa Smartphone-basierter Marktinformation – siehe E+Z/D+C 2014/02 S. 67 ff.). Auf der anderen Seite werden wir die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die landwirtschaftlichen Betriebe unterstützen, etwa durch agrarpolitische und agrarhandelspolitische Regierungsberatung, Institutionenförderung, ländliche Infrastruktur und regionales Ressourcenmanagement.

Wesentliche Voraussetzung für den dauerhaften Erfolg der Innovationszentren und deren entwicklungspolitische Wirkung sind der politische Wille und die Eigenverantwortung der Partnerregierungen. Ähnlich wie in Mali werden wir nun schrittweise auf weitere Länder zugehen und Vorschläge für eine innovationsgetriebene Entwicklung des ländlichen Raumes erörtern.

Dort, wo wir auf Interesse stoßen, werden wir die Innovationszentren gemeinsam mit den Partnern konzipieren und aufbauen. Die Zentren werden wir nach Möglichkeit aus existierenden Forschungs-, Bildungs- und Beratungsstrukturen im Land heraus entwickeln und in existierende nationale Entwicklungsprogramme und Projekte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit einbetten. Wir werden weitere internationale und deutsche Akteure dazu einladen, gemeinsam mit uns die Agrar- und Ernährungswirtschaft in Entwicklungsländern durch Innovationen und Wissensmanagement zu stärken.

Gerd Müller ist Bundesminister für wirtschaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung. http://www.bmz.de

 

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