Kommunalverwaltung

Lebensqualität durch Vielfalt

Vertreter von mehr als 100 Kommunalverwaltungen aus 28 Ländern haben sich Ende Mai in Bonn zur „Bürgermeisterkonferenz“ getroffen. Sie diskutierten darüber, was Städte zum Schutz der Arten­vielfalt unternehmen können. Ihre Ergebnisse stellten sie den auf der UN-Naturschutzkonferenz anwesenden Ministern vor. Mit dabei war auch Carlos Alberto Richa. Er ist Bürgermeister der süd­brasilianischen Stadt Curitiba, die schon in den 1960er Jahren mit Öffentlichen Nahverkehrsprogrammen und anderen umweltfreundlichen Maßnahmen Schlagzeilen machte.


[ Interview mit Carlos Alberto Richa ]

Sind Sie mit den Ergebnissen der Bürgermeisterkonferenz zufrieden?
Vor dem Hintergrund, dass die Städte ihre Partnerschaft im Kampf um die Artenvielfalt bekräftigen konnten: ja. Denn vor der Konferenz wurde ihnen nicht die Bedeutung beigemessen, die ihrer tatsächlichen Verantwortung entspricht. Schließlich müssen Städte die Lebensqualität von über 70 Prozent der Weltbevölkerung sichern. Ich habe den Eindruck, dass das, was 2007 diskutiert wurde, jetzt konkretisiert wurde. Dennoch hatte ich auf bessere Ergebnisse gehofft. Außerdem würde ich mich freuen, wenn in Zukunft noch mehr Bürgermeister unseren Weg einschlügen. Einer der wichtigsten Aspekte der Bürgermeisterkonferenz ist ja der Ideen- und Erfahrungsaustausch. Wir wollen uns auch wieder treffen, um die bereits existierenden Partnerschaften zu bewerten und uns unsere Leistungen gegenseitig zu präsentieren.

Wie sollten Kommunalverwaltungen agieren, um die Artenvielfalt zu schützen?

Auf unterschiedliche Art und Weise. Ein wirksamer Weg ist die Einführung öffentlicher Nahverkehrssysteme, die den kollektiven Transport und nicht das Auto fördern. Das reduziert Schadstoffe und erhöht gleichzeitig die Lebensqualität. Eine andere Möglichkeit ist der Schutz und die Bewahrung von Fauna und Flora. Aber jede Stadt muss je nach ihren Gegebenheiten einen eigenen Weg finden. Passende Strategien sehen in reichen und armen Ländern möglicherweise unterschiedlich aus.

Bitte erzählen Sie mehr darüber, was Sie in Curitiba tun, um die Artenvielfalt zu schützen.
Es gibt verschiedene Programme, ein sehr gutes heißt „Biocity“. Es verbindet die Wiederanpflanzung einheimischer Arten und Maßnahmen zur Flusssanierung mit sozialem Wohnungsbau und öffentlicher Bildung. Heute leben über 300 einheimische Vogelarten in den städtischen Wäldern, Parks, Schutzgebieten und auf unseren Plätzen. Ein Teil des Programms heißt „Viva Barigui“, dessen Ziel die Sanierung eines der wichtigsten Flüsse der Stadt ist. Außerdem fördern wir durch Steuervergünstigungen die Schaffung von privaten Schutzgebieten. In „Santa Felicidade“, einem der traditionellsten Bezirke mit großen Grüngebieten, schaffen wir gerade ein Reservat. Wir haben auch ein Wohnprojekt für ausgegrenzte Familien, bei dem Bildung, Freizeit, Gesundheit und Umwelt miteinander verknüpft werden. Ein Aspekt ist die Umsiedlung von Familien aus Umweltschutzgebieten – in der Regel in der Nähe der Flüsse – in Gebiete, die sich besser zum Wohnen eignen. Die Ausweitung des Müllrecyclings ist ein weiteres Programm – das sollte aber eigentlich in jeder umweltbewussten Stadt auf der Tagesordnung stehen.

Wie verhält sich Artenvielfalt zu Entwicklung?

In Curitiba sehen Sie, dass ökonomische Entwicklung und Biodiversität miteinander harmonieren können. Dazu ist aber eine Stadtplanung wichtig, die Umweltschutzkriterien berücksichtigt, zum Beispiel indem sie den öffentlichen Nahverkehr zur Priorität macht, sowie die städtische und soziale Infrastruktur verbessert.

Hat Ihre Stadt eine besondere Umwelttradition?

Curitiba wurde dank der unermüdlichen Arbeit mehrere Generationen von Managern, Ingenieuren, Architekten, Technikern und Stadtbeamten so etwas wie ein Modell für den Umweltschutz. Diese Menschen wussten, wie sie mit der Bevölkerung und den Unternehmern, also denjenigen Frauen und Männern, die die Stadt ausmachen, zusammenarbeiten. Ihre Grundlage waren eine solide Stadtplanung sowie kreative Lösungen für dringende Probleme. Das ist nicht leicht. Denn auf der einen Seite ist es unmöglich, Dinge nur langfristig zu lösen – schließlich müssen die Menschen heute leben. Auf der anderen Seite erreicht man nichts, wenn man nur kurzfristige Maßnahmen ergreift, ohne an die Zukunft zu denken. Die kommunalen Behörden müssen da ein Gleichgewicht finden.

Stimmt es, dass viele kommunale Behörden davor zurückschrecken, etwas Neues zu probieren, und lieber versuchen, die Lösungen anderer Städte zu übernehmen?

Das ist eine komplexe Frage. Generell sehe ich kein Problem darin, Ideen zu übernehmen, die bereits an anderer Stelle funktioniert haben. Aber sie müssen immer zu den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Besonderheiten der jeweiligen Stadt passen. Für den Erfolg von Umweltschutzstrategien muss die Politik genau auf die spezifischen Eigenheiten jeder Stadt abgestimmt werden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Respekt für die Kultur der Menschen. Programme versagen, wenn die Öffentlichkeit sie nicht akzeptiert. Öffentliche Autoritäten, gesellschaftliche Gruppen, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen müssen einbezogen und Standards der Mitverantwortung etabliert werden. Dazu sind Bildung und Bewusstseinstrainings notwendig. In einigen Schulen in Curitiba haben die Kinder zum Beispiel Ökologieunterricht im Wald neben der Schule. Das Wissen um korrektes ökologisches Verhalten nehmen sie mit nach Hause und verbreiten so Ideen, die dazu beitragen, dass sich eine gesunde Einstellung in der ganzen Bevölkerung etabliert.

Was unterscheidet die Menschen von Curitiba von den Bewohnern vergleichbar großer Städte in Brasilien?

Curitiba hat 1,8 Millionen Einwohner, 3,2 Millionen Menschen leben in der Metropolregion mit 26 Gemeinden. Einige Leute vergleichen Curitiba mit europäischen Städten. Aber da stimme ich nicht überein. In Curitiba siedelten Italiener, Deutsche, Polen, Portugiesen, Japaner, Ukrainer und mehrere andere ethnische Gruppen, die später absorbiert wurden, einschließlich Araber, Juden, Chinesen und Spanier. Wir sind eine riesige, multiethnische Gemeinschaft. Die Nachkommen von Afrikanern und einheimischen Indios spielten auch eine wichtige Rolle bei der kulturellen Entwicklung Curitibas. Momentan beenden wir gerade ein Wohnungsprojekt, das so weit wie möglich die Besonderheiten eines Indio-Dorfes beachtet. Es ist in die Umgebung eingebunden und wird von Indios bewohnt werden. Dadurch soll es zur Vielfalt beitragen und kein Ghetto werden. Ich denke schon, dass die Menschen hier besondere Eigenschaften haben, die sie von anderen Städten unterscheidet – schließlich macht Curitiba die Vielfalt zu einem ihrer Trümpfe im Streben nach Lebensqualität und Wohlstand. Aber grundsätzlich sind wir eine brasilianische Stadt mit guten und schlechten Seiten wie andere Metropolen auch.

Am 29. Mai trugen Sie mit anderen den Ministern auf der UN-Naturschutzkonferenz den „Bonn Call for Action“ vor. Worum geht es in dem Papier?

Die Städte müssen sich stärker engagieren. Als führende Kommunalpolitiker fordern wir, dass alle politischen Ebenen lokale Beiträge zu globalen Strategien anerkennen und unterstützen. Damit das passiert, muss der internationale inter­institutionelle Vertrag, der in Bonn diskutiert wurde, bestätigt werden. Nur so können wir das Überleben unseres Planeten garantieren.

Was sollte nach dem Plenum als nächstes geschehen?

Ich hoffe, dass unsere Aktion als Vorbild dient. Jeder sollte passende Lösungen suchen, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Es muss klar werden, dass es machbar ist, auf Stadtebene die notwendigen Veränderungen durchzusetzen.

Das Interview führte Claudia Isabel Rittel nach der Bürgermeisterkonferenz in Bonn, die von der „Local Governments for Sustainability Association“ (ICLEI), der Stadt Bonn und InWEnts „Servicestelle Kommunen in der Einen Welt“ organisiert wurde.

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