Internationale Migration

Ungenutztes Potenzial

Städte und Zuwanderer können durch eine systematischere Zusammenarbeit eine „deep globalisation” bis in die Kommune bewirken, sagt Soziologin Saskia Sassen. Bislang werden nicht alle Chancen genutzt.

Laut Sassen sind Städte der Ort zum „norm making“, denn Bürger und Staat treffen unmittelbar aufeinander. Regierungen müssten die Rahmenbedingungen für Migration und Integration kommunal und nicht ausschließlich national gestalten. Bisher jedoch nähmen Städte die Netzwerke und formalen Organisationen von Migranten kaum als Partner wahr. Kommunale Akteure sollten sich um systematische Zusammenarbeit bemühen, rät die Wissenschaftlerin.

„Die Menschen migrieren an Orte, nicht in Länder“, sagt Gibril Faal, Vorsitzender der African Foundation for Devel­opment in London. Integration geschehe vor Ort: in der Universität, an der Arbeitsstelle oder im Sportverein. Und dass sich unsere Städte und Gemeinden dadurch verändern, sei ganz normal, sagt Faal. Metropolen wie London, Mumbai oder New York sind positive Beispiele für florierende Wirtschaftszentren, die von der kulturellen Vielfalt profitieren. In verschiedenen Städten würden „China Towns“ nicht als misslungene Integration betrachtet, sondern als touristische Attraktion. Städte müssten sich stärker vernetzen und besser austauschen. Ein gutes Beispiel ist die geplante internationale Bürgermeisterkonferenz mit den Partnerstädten Kölns, die sich mit der Rolle von Städten als Integrationskräfte auseinandersetzen will.

Gibril Faal unterscheidet in der Migrationsdebatte zwischen dem „reaktiv problemorientierten Ansatz“ und dem „proaktiv lösungsorientierten Ansatz“. Er warnt davor, nur über Probleme zu dis­kutieren, statt Lösungen und neue Formen der Partizipation zu suchen. Um Integration zu erreichen, müss­ten Kommunen aktiv auf Migranten zugehen und ihnen gleiche Chancen zugestehen.

Das sieht auch Christian Kouam so, der Vorsitzende des Cameroon Diaspora Network Germany. Während der Tagung „Städtische Kooperationen mit Migrationsnetzwerken“ in Berlin Anfang September, organisiert von der Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF) und der GTZ, spricht er von einer „win-win-Situation“ für alle. Er betont, dass es Wissenstransfer in beide Richtungen gibt – von Nord nach Süd und von Süd nach Nord. Kouams Netzwerk organisiert zum Beispiel die deutsch-kamerunischen Tage in Douala vom 21. bis 23. Oktober.

Kommunale Migrationsnetzwerke unter­stützen auch die Entwicklungspolitik. Klaus Brückner, der Leiter der Berliner GTZ-Vertretung, sieht Migranten als Kooperationspartner, die in Ziel- und Herkunftsland als Multiplikatoren wirken können. Sie schicken nicht nur Geld in die Heimat und geben wirtschaftliche Impulse, sondern berichten auch Gutes und Schlechtes. Kenntnisse von Migranten seien zum Beispiel nützlich, um in den Herkunftsländern Konflikte beizulegen oder ihnen vorzubeugen, so Brückner.

Rolf Graser vom Forum für Kulturen Stuttgart e.V. sagt, dass er mit den Themen Migrations- und Entwicklungspolitik zwischen zwei Stühlen sitzt. Da diese Zusammenarbeit erst ganz am Anfang stehe, gebe es keine klaren Förderlinien. Eine Kooperation entstehe nicht einfach so, sondern fordere große finanzielle Unterstützung, an der es aber in fast allen Kommunen fehle. Anstatt interkulturell geschultes Personal einzustellen, würden im öffentlichen Dienst Stellen abgebaut. Dabei sieht Graser gerade Migranten als Experten für entwicklungspolitische Bildung. Das wäre seiner Meinung nach eine gute Zusammenarbeit mit gesellschaftlichem Nutzen.

Die Anforderung an Städte und ihre Gemeinden, die Brücke zwischen Migrations- und Entwicklungspolitik zu schlagen, schätzt Cindy Horst vom Peace Re­search Institute Oslo (PRIO) als überehrgeizig ein. Sie äußert Zweifel, ob tatsächlich die Kommunen die Zusammenarbeit zwischen Migrationsnetzwerken und Entwicklungspolitik gewährleisten müssen. Nicht jeder Zuwanderer könne und wolle ein Mini-Entwicklungshelfer seines Herkunftslandes sein. Migranten als Gruppe sind nicht homogen, sondern unterscheiden sich in Geschlecht, Religion, Ethnie, Bildung, Kaste et cetera, merkt Wolfgang Garatwa von der GTZ an. Daher gäbe es auch unterschiedliche Meinungen, was für das Herkunftsland das Richtige sei.

Über „Projektitis“ klagt indessen Helmuth Schweitzer, der Leiter des Essener Büros für interkulturelle Arbeit. Die Stadt springe von einem Projekt zum nächsten, kümmere sich aber nicht um Nachhaltigkeit. Staat, Stadt und Gesellschaft müssten sich dem Thema Zuwanderung öffnen, denn Integration sei ein wechselseitiger Prozess. Migration bedeute nicht, dass alles so bleibt, wie es ist und immer war. Migration heiße, sich für Neues zu öffnen.

Cathrine Schweikardt

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