Kommunalpolitik

Bürgermeister Erap, ehemals Präsident

Die Kommunalpolitik dient oft als Startrampe für eine nationale Karriere. Auf den Philippinen ist ein ehemaliges Staatsoberhaupt aber heute Bürgermeister der Hauptstadt.
Der Bürgermeister hilft der Polizei, Lastwagen von der Einfahrt in seine Stadt abzuhalten. Malasig/picture-alliance/dpa Der Bürgermeister hilft der Polizei, Lastwagen von der Einfahrt in seine Stadt abzuhalten.

Als der 76-jährige, in Schande aus dem Amt geschiedene vormalige Präsident Joseph Ejercito Estrada seine drei Jährige Amtszeit als Bürgermeister von Manila antrat, versprach er den Bürgern: „Ich werde Euch nicht enttäuschen. Ich werde im Einsatz dafür sterben, dass Manila Stolz und Ehre wiedergewinnt.“

Vor 16 Jahren hatte er ähnlich große Sprüche von sich gegeben, aber danach lief es auf dramatische Weise schief. Als er 1998 Präsident der Philippinen wurde, sagte er: „Dies wird die größte Aufführung meines Lebens.“ Estrada ist dank seiner Vergangenheit als Actionheld in zweitklassigen Filmen als „Erap“ bekannt. Die Zeit an der Staatsspitze hatte in der Tat Kinoqualität – aber anders, als er sich das erhofft hatte. 

 

Geld, Geliebte und große Häuser

Er stürzte schon 2001, nach nicht einmal der Hälfte der sechsjährigen Amtszeit. Eine breite, „People Power“ genannte Bewegung erhob sich gegen ihn, als seine persönlichen Erfolge in Sachen „Geld, Geliebte und großen Häuser“ bekannt wurden. Ihm wurde Beteiligung an illegalen Glücksspielsyndikaten vorgeworfen. Daraufhin wurde ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn eingeleitet, nur der Senat musste noch entscheiden.

Als der Eindruck entstand, Erap wolle dieses Verfahren manipulieren, gingen Tausende auf die Straßen. Nach fünf Tagen mit Massendemonstrationen ließen das Militär und Estradas politische Freunde den Präsidenten im Stich. Er musste den Präsidentenpalast Malacañang räumen und wurde unter Hausarrest gestellt. Sechs Jahre später verurteilte ihn ein Antikorruptionsgericht zu 30 Jahren Haft.

Was dann geschah, hätte sich vermutlich nicht einmal ein Amateurautor als Drehbuch einfallen lassen. Gloria Macapagal-Arroyo, die Vizepräsidentin, die ihm an der Staatsspitze nachgefolgt war, begnadigte ihn, und Estrada versprach, nie wieder ein öffentliches Amt anzustreben. Das war eigentlich überflüssig, denn das Recht dazu hatte er ohnehin verloren.

Mittlerweile hat er das Recht – und sein Versprechen – aber bereits zwei Mal gebrochen. 2010 kandidierte er wieder für das Präsidentenamt und wurde sogar zweiter. 2013 gewann er dann die Bürgermeisterwahlen in Manila. Sein Kontrahent war der 83-jährige bisherige Amtsinhaber Alfredo Lim, der während Estradas Zeit als Präsident das Ministerium für Kommunalverwaltungen geleitet hatte.

Lim zu schlagen war nicht sonderlich schwer. Er hatte Manila heruntergewirtschaftet. Lim wird den Menschen vermutlich wegen zwei Dingen im Gedächtnis bleiben: 

  • Er ließ den berüchtigten Rotlicht-Distrikt Mabini schließen, ohne dafür zu sorgen, dass dort ein neuer Wirtschaftszweig entstand. Mabini ist jetzt ein verfallender Stadtteil.
  • Er spielte 2010 eine katastrophale Rolle bei einem Busgeiseldrama, in dessen Verlauf ein entlassener Polizist acht Touristen aus Hongkong tötete. Seither sind die Beziehungen zwischen den Philippinen und Hongkong schwer belastet.

Lim unterlag Estrada in einem harten Wahlkampf knapp. Beide Kandidaten beleidigten sich gegenseitig. Erap nannte seinen Wahlsieg dann eine „Genugtuung“, die beweise, dass die Menschen ihm „trotz all der schwarzen Propaganda während des Amtsenthebungsverfahrens“ noch trauten. Er sagte den Einwohnern Manilas, er sei ein ehemaliger Häftling, den man für seine Überzeugungen habe büßen lassen.

Erap gibt sich gern volksnah und behauptet, es gehe ihm vor allem darum, die Armut zu bekämpfen. Allerdings folgten auf diese Rhetorik nie Reformen oder Programme, die die Lebenssituation der benachteiligten und marginalisierten Filipinos wirkungsvoll verbessert hätten. 

Estrada hat sich sogar mit Nelson Mandela verglichen. Das wäre aber nur dann stimmig, wenn der Befreiungskämpfer und Nobelpreisträger aus Südafrika keines seiner Ziele erreicht hätte, stattdessen aber als Suffkopf, Spieler, Charmeur und krimineller Glücksspielprofiteur bekannt wäre. Silvio Berlusconi, der ehemalige Regierungschef Italiens, ähnelt Estrada eher. Populismus, Personenkult, Sex und Korruption prägten Berlusconis politische Karriere. 

 

Kein großer Triumph?

Das Bürgermeisteramt mag auf Estrada wie ein Abstieg wirken. Immerhin war er zuvor Senator, Vizepräsident und Präsident. Die Stadt, die er von Lim übernommen hat, sieht auch nicht aus wie eine imposante Trophäe. Seit Jahren kommt sie immer weiter herunter. Manila ist mit 1,6 Millionen Einwohnern – das sind etwa 15 Prozent des Ballungsraums Metro Manila (siehe Kasten) – geradezu zum Symbole für urbanen Abstieg und Verfall geworden.   

Die Menschen leben in Manila sehr beengt. Die Zeitschrift Forbes schrieb 2006, dies sei die Stadt mit den meisten Verkehrsstaus der Welt. Kriminalität und Müll sind ebenfalls riesige Probleme. Weite Teile der Stadt sind offensichtlich verwahrlost. Die historischen Geschäftsviertel Santa Cruz und Escolta bilden heute ein riesiges, düsteres Elendspanorama. Obendrein ist Manila pleite. Als Erap sein Amt antrat, betrug die Schuldenlast 3 Milliarden Pesos (etwa 50 Millionen Euro). Obendrein schuldete die Kommune dem nationalen Haushalt 684 Millionen Pesos an nicht eingetriebenen Steuern.

Trotz der großen Probleme ist Manila aber immer noch eine bedeutende Stadt. In Metro Manila ist sie die zweit-bevölkerungsreichste. Manila hat den größten Hafen des Landes und die drittgrößte kommunale Ökonomie. Der Name ist weltbekannt. Hier haben Präsident und Regierung ihren Sitz. Der Malacañang Palast ist nicht einmal zwei Kilometer vom Rathaus entfernt.

Der Ruf der Stadt ist aber eindeutig beschädigt. Voriges Jahr berührte der amerikanische Bestsellerautor Dan Brown unbeabsichtigt einen Nerv, als er in seinem neuen Buch einen Romanhelden sagen ließ, Manila sei das „Tor zur Hölle“. Regierungsvertreter waren empört, aber viele Filipinos stimmten Brown zu.

Zu ihnen gehörte auch Estrada. „Es stimmt, Manila fährt zur Hölle“, sagte der Bürgermeister Journalisten. Mit diesem Eingeständnis wollte er natürlich betonen, dass er den Trend umkehren werde. Beobachter fragen sich indessen, ob sein Handeln sich für die Stadt als nützlich erweisen wird – oder nur für ihn selbst und seine Freunde.

 

Wie am Anfang

Tatsächlich war die Wahl zum Bürgermeister für den ehemaligen Präsidenten eine Rückkehr zu seinen Wurzeln. Seine politische Karriere begann vor 45 Jahren in San Juan, einer anderen Kommune in Metro Manila. Dort war er 17 Jahre lang Bürgermeister. Die Kommunalpolitik entspricht seinem Schauspielertalent. Hier kann er sich in Szene setzen und die Wähler mit seinem Schurkencharm, seiner Selbstironie und seinem derben Humor für sich einnehmen. 

Diego Cagahastian, der Sprecher des Bürgermeisters, sagt: „Das Geheimnis von Eraps Erfolg ist sein anhaltendes Interesse an den Massen.“ Ihm zufolge haben vor allem arme Menschen den Ex-Präsidenten gewählt, und dieser wolle „ihnen nahe sein“. Es ist kein Zufall, dass Cagahastian früher Drehbücher für Erap-Filme geschrieben hat.

Als er seinen Amtseid leistete, versprach Estrada, er werde aufräumen. Das bezog sich nicht nur auf Müll, sondern auch auf Verbrechen und Korruption. „Ohne Frieden und Ordnung kann es kein Wirtschaftswachstum geben“, sagte er. Den ersten Tag als Bürgermeister verbrachte er mit einem Besen in der Hand. Er fegte zusammen mit anderen kommunalen Führungskräften bekannte Straßen.

In den vergangenen Monaten hat er einige Prestigeprojekte verwirklicht. Das heruntergekommene Rathaus wurde renoviert. Erap hat Polizeibeamte abgesetzt. Er hat das Verkehrsaufkommen reduziert, in dem er das Bus- und Lastwagenaufkommen in der Stadt begrenzte. Obendrein ließ er ein paar Wartehäuschen an Bushaltestellen mit kostenlosem WLAN-Zugang ausstatten. Um Korruption und Kriminalität zu bekämpfen, werden Überwachungskameras samt einer Kommandozentrale im Rathaus installiert.

Estrada findet sogar Zeit für Außenpolitik. Er ist nach Hongkong geflogen, um sich für das Busmassaker zu entschuldigen. Die internationale Bühne schien ihm zu gefallen. Allerdings war die philippinische Regierung Anfangs nicht einverstanden. Das änderte sich, als sie merkte, dass Estrada sie entlastete.

Das größte Problem der neuen Rathausspitze sind die Finanzprobleme Manilas. Wie früher in San Juan baut Estrada jetzt auf den Privatsektor. Er hat viele seiner politischen Freunde im Stadtrat untergebracht, so dass er Beschlüsse leicht durchpauken kann. Er schließt Verträge mit Firmen und vergibt großzügig Aufträge. Mit einer koreanischen Firma hat er beispielsweise vereinbart, dass diese 10 000 solarbetriebene Straßenlampen aufstellt und auf manchen der Masten Werbebildschirme installieren darf. 

 

Die Erap-und-Isko-Show

Pressesprecher Cagahastian behauptet dass Erap, der als Präsident für spätnächtliche Trunkenheit bekannt war, diszipliniert seine Agenda verfolgt. „Er arbeitet normalerweise von 8 Uhr bis 20 Uhr, und zu Beginn der Lastwagensperre war er sogar schon um 4 Uhr auf den Beinen.“ Tatsächlich wurden der Bürgermeister und sein Vize, Isko Moreno, dabei gesehen, wie sie persönlich Busse auf den Straßen Manilas anhielten. Die Fotos erschienen in Zeitungen und auf Websites.

Fraglich ist freilich, ob Estradas Lösungen tatsächlich wirken oder nur kosmetisch sind. Bisher überzeugt seine Leistung nicht unbedingt. Es stimmt natürlich, dass die Einschränkung des Bus- und LKW-Verkehrs die Staus reduziert hat. Aber der Preis dafür ist, dass viele Pendler nun noch mehr Stunden als zuvor damit verbringen, morgens zu ihrer Arbeit und abends wieder nach Hause zu fahren. Und als die Speditionsfirmen androhten, den Lieferverkehr ganz einzustellen, knickte das Rathaus ein und ließ wieder mehr Fahrten zu. 

Die WLAN-Wartehäuschen sehen nicht so aus, als wären sie heftigem Regen gewachsen – und die Internetverbindung ist manchmal brüchig. Der Name ist aber Programm und betont die Bedeutung von Bürgermeister und Vizebürgermeister: „Erap and Isko WIFI city“.  

Estrada agiert wie immer populistisch und vergibt Geld, Jobs und Gefälligkeiten. Viele Wähler durchschauen das. Bei seinem Amtsantritt kamen viele und hofften auf großzügige Gesten. Erap erfüllte diesmal aber keine Wünsche. 

 

Unberechenbare Wendungen

Die Zukunft wird zeigen, wem Erap als Bürgermeister wirklich dient – den Einwohnern der Stadt oder den Firmen, mit denen er Verträge schließt. Klare Hinweise wird es geben, wenn Erap zwei umstrittene Themen angeht. Dabei geht es erstens um ein Hochhaus mit Eigentumswohnungen, das die historische Skyline Manilas verändern wird, und zweitens um eine riesiges Landgewinnungsvorhaben im Wert von Milliarden Pesos an der Küste, das Experten zufolge die Umwelt schädigen wird. Bisher hat sich das Rathaus jedenfalls nicht damit schwergetan, die Zerstörung historischer Gebäude zuzulassen, um Platz für Fastfood-Ketten und Eigentumswohnungen zu schaffen.

Als Staatschef verkündete Estrada in den ersten Monaten noble Absichten und große Ideen. Aber schon bald wurde er in einer zweiten Rolle bekannt – als tolpatschiger, betrunkener, gangsterhafter Frauenheld und Spieler, der andere sogar körperlich anging. Wo ist dieser zweite Erap geblieben?

Der Bürgermeister selbst sagt bereitwillig, er sei kein Heiliger. Seine Familie war immer umstritten – und ist es noch. Erap hat zwei Söhne im Senat. Gegen einen von ihnen wird ermittelt, weil er in einen riesigen Skandal, bei dem Milliarden an Steuermitteln veruntreut wurden, verwickelt sein soll.

Was Estrada angeht, sind Vorhersagen schwierig. Es kann sein, dass er sich 2016 wieder als Präsident bewirbt. Cagahastian, sein Mann für die Medien, sagt dazu: „Ich weiß es wirklich nicht.“ Das einzige, was sich über die Karriere dieses Filmstars mit Sicherheit sagen lässt, ist, dass die Wendungen des Geschehens immer überraschend sind. 

 

Alan C. Robles ist ein philippinischer Journalist und Medientrainer. Er ist Korrespondent einer Tageszeitung in Hongkong, betreibt die Satirewebsite hotmanila.ph, ist Chef vom Dienst der beliebten Website seiner Frau raisarobles.com und hat früher Onlinejournalismus beim Internationalen Institut für Journalismus in Berlin gelehrt.
editor@hotmanila.ph

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