Vernachlässigte Tropenkrankheiten

Vergessene Patienten

Laut der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization – WHO) sind 1,5 Milliarden Menschen weltweit von vernachlässig­ten Tropenkrankheiten wie Schistosomiasis oder Afrikanischer Trypanosomiasis betroffen. Medikamente sind nur ein Teil der Lösung.
Dorfbewohner in Äthiopien werden von mobilen Gesundheitsteams über die bakterielle Augeninfektion Trachom aufgeklärt, die unbehandelt zu Erblindung führt. kd Dorfbewohner in Äthiopien werden von mobilen Gesundheitsteams über die bakterielle Augeninfektion Trachom aufgeklärt, die unbehandelt zu Erblindung führt.

240 Millionen Menschen weltweit leiden unter Schistosomiasis, auch Bilharziose genannt, einer von parasitären Würmern verursachten Krankheit. Laut WHO leben mehr als 700 Millionen Menschen in Gegenden, in denen sie endemisch ist. Die Krankheit wird durch kontaminiertes Wasser verbreitet.

Eine Behandlung mit Tabletten tötet den Wurm. Für Kinder unter sechs Jahren sind diese allerdings nicht zugelassen. Jutta Reinhard-Rupp, Leiterin des Global Health Instituts beim deutschen Pharmakonzern Merck, ist Teil eines Konsortiums, das derzeit eine neue Rezeptur des Medikaments Praziquantel entwickelt. Diese kleinere und besser schmeckende Tablette wäre für Kinder angenehmer und würde mehr genommen.

Leider badeten viele der behandelten Patienten später wieder in kontaminiertem Wasser, sagt Reinhard-Rupp und fügt hinzu: „Medikamente allein reichen nicht aus. Wir müssen auch in Bewusstseinsbildung und Prävention investieren.“

Vernachlässigte Krankheiten werden durch Viren, Bakterien, Protozoen und parasitäre Würmer verursacht und betreffen vor allem arme Menschen in Afrika, Asien und Amerika (siehe Interview mit Martin Kollmann in D+C/E+Z e-Paper 2018/03, S. 28). Krankheiten in reichen Ländern erhalten mehr Aufmerksamkeit. Lange hatte der Kampf gegen HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria Priorität für die UN. Entsprechend gab es kaum Mittel für die Erforschung und Prävention vernachlässigter Krankheiten. Für sie waren zwischen 2000 und 2011 nur vier Prozent der 850 weltweit neu zugelassenen Medikamente bestimmt.

Gemeinnützige Organisationen wie die Drugs for Neglected Diseases initiative (DNDi) versuchen, diese Lücke zu schließen. DNDi entwickelt mit der Unterstützung von Gebern neue Medikamente. Zusammen mit dem Pharmariesen Sanofi arbeitet DNDi an einer Behandlung der Afrikanischen Trypanosomiasis oder „Schlafkrankheit“. Ein neues Medikament wurde getestet und wird derzeit von der Europäischen Arzneimittelagentur geprüft. „Wir glauben, dass es zur Beseitigung der Krankheit beitragen wird“, sagt Graeme Bilbe, Direktor für Forschung und Entwicklung bei DNDi. „Wenn wir uns ambitionierte Ziele setzen und Regierungen, Forscher, Pharmaunternehmen und Generikahersteller zusammenbringen, können wir Großes schaffen.“

Für Thomas Gebauer, Leiter der internationalen Nichtregierungsorganisa­tion medico international, sind gewerbliche Schutz- und Urheberrechte Teil des Problems: „Das Patentsystem ermöglicht es Pharmaunternehmen, die Preise zu erhöhen und sich auf zahlungskräftige Patienten zu konzentrieren.“ Dabei wird die Innova­tion in anderen Bereichen gedämpft. „Wettbewerber versuchen, sich durch Patente auf leicht veränderte Versionen bestehender Medikamente Zugang zu lukrativen Märkten zu verschaffen.“ Laut Gebauer bringen 50 Prozent der neu entwickelten Medikamente keine Verbesserungen. Er fordert einen öffentlich finanzierten Forschungspool. Zudem kann zivilgesellschaftlicher Druck helfen. Erst durch solches Engagement seien antiretrovirale Aids-Behandlungen in Entwicklungsländern bezahlbar geworden, so Gebauer.

Medikamente sind nur ein Teil der Lösung. „Vernachlässigte Krankheiten sind vernachlässigte Patienten“, sagte Franz von Roenne, GIZ-Experte für globale Gesundheit, bei einer Veranstaltung von GIZ, hr-info und Frankfurter Rundschau im August. Schlechte Infrastruktur, Misswirtschaft und Korruption hindern viele Menschen am Zugang zu Tabletten. Mit Unterstützung der GIZ hat Kamerun regionale Fonds zur Gesundheitsförderung eingerichtet. Sie binden Gemeindevertreter in ländlichen Gebieten ein. Damit konnte die Verteilung von Arzneimitteln dezentralisiert werden.

Letztlich sind soziale Faktoren entscheidend. Angemessener Wohnraum, sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen, nährstoffreiche Lebensmittel, Arbeitsbedingungen, Bildung und andere Faktoren beeinflussen die Gesundheit in hohem Maße. Dies erfordert einen inte­grierten, sektorübergreifenden Ansatz, der zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung beitragen würde. Nicht-übertragbare Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Adipositas entwickeln sich in Entwicklungsländern zunehmend zu einem Problem (siehe auch Dossier zu nicht-übertragbaren Krankheiten).


Link
Drugs for Neglected Diseases (DNDi):
https://www.dndi.org

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