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Scheindebatte

Etwa 1,5 Millionen afghanische Flüchtlinge hätten von einer neuen Politik des pakistanischen Premierministers Imran Khan profitiert. Leider hat er sein Versprechen schnell wieder zurückgezogen.
Afghanische Flüchtlinge feiern den pakistanischen Präsidenten Imran Khan in Karachi im September 2018. picture-alliance/ZUMA Press Afghanische Flüchtlinge feiern den pakistanischen Präsidenten Imran Khan in Karachi im September 2018.

Am 16. September 2018 sagte Imran Khan kurz nach der Wahl zum Premierminister auf einer Veranstaltung: „Afghanen, deren Kinder in Pakistan geboren und aufgewachsen sind, soll die Staatsbürgerschaft verliehen werden.“ Es war ein leidenschaftliches Plädoyer für Menschen, die bislang keine Aussichten auf legale Arbeit und Grundleistungen vom Staat hatten. Khans Plan war aber umstritten und es dauerte nicht lange, bis ein Rückzieher kam.

Khans Vorhaben hätte fast 1,5 Millionen Menschen geholfen und wäre eine Kehrtwende in der langjährigen Flüchtlingspolitik gewesen. Registrierte afghanische Flüchtlinge bekamen bislang nur eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis. Die pakistanische Regierung wollte eine schnelle Rückführung, und die Sicherheitskräfte übten Druck auf die Flüchtlinge aus.

Khans Rede löste unterschiedliche Reaktionen aus. Die Internationale Ge­meinschaft, das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und afghanische Flüchtlinge würdigten den Vorstoß. Kritiker hinterfragten allerdings seine Intention. Manche hielten es für eine Masche, um Khans Partei, Pakistan Justice Movement, Stimmen zu sichern. Seine Partei setzt traditionell auf die Unterstützung der Paschtunen, eine ethnische Minderheit im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet, der auch viele afghanische Flüchtlinge angehören.

In der öffentlichen Diskussion kommen afghanische Flüchtlinge allerdings nicht gut weg. Sie werden häufig als kriminell erachtet und mit Drogenhandel, Schmuggel und Fälschungen in Verbindung gebracht. Zum Teil werden sie sogar in eine Schublade mit islamistischen Extremisten gesteckt.

Afghanistan ist seit vier Jahrzehnten von Gewalt und politischen Krisen gebeutelt. 1979 löste die sowjetische Intervention die erste Vertreibungswelle aus, bei der rund 3 Millionen Menschen von Afghanistan nach Pakistan flüchteten. In dieser Zeit unterstützte der Westen die antisowjetischen Mudschaheddin, während sich in den Flüchtlingslagern die radikal-islamistischen Taliban formierten. Der Rückzug der Sowjets brachte keinen Frieden. Schließlich übernahmen die Taliban die Kontrolle. Die Terrorattacken am 11. September 2001 in New York und Washington markierten allerdings den Wendepunkt ihrer Macht. Kurz darauf stürzten US-amerikanische Truppen die Taliban-Regierung.

Nach dem 11. September sah die pakistanische Regierung afghanische Flüchtlinge als Gefahr für die innere Sicherheit. Flüchtlinge wurden zur Rückkehr gedrängt und eingeschüchtert. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch forderte die pakistanische Regierung 2002 auf, „die Schikanen, Erpressungen und grundlosen Inhaftierungen zu stoppen und die erzwungene Rückführung afghanischer Flüchtlinge einzustellen“.

Dem UNHCR zufolge halten sich offiziell 1,4 Millionen afghanische Flüchtlinge in Pakistan auf. Weitere 800 000 Afghanen leben legal im Land ohne Flüchtlingsstatus und schätzungsweise fast 1 Million illegal. 2017 berichtete Human Rights Watch über „massenhafte Zwangsrückführungen von afghanischen Flüchtlingen“, die offiziell „freiwillige Rückkehr“ genannt wurden.

Die Flüchtlinge leben unter schwierigen Bedingungen. Die Ärmsten der Armen können sich trotz Unterstützung des UNHCR weder die Gebühren für die Rückführung leisten, noch nach Hause zurückkehren. Sehr viele von ihnen sind in Pakistan geboren und aufgewachsen. Sie arbeiten meist im informellen Sektor in schlecht bezahlten Jobs, denn laut Gesetz dürfen sie kein Gewerbe anmelden und Steuern zahlen.

Die meisten Pakistaner sehen afghanische Flüchtlinge als Belastung, obwohl sie seit langem die lokale Wirtschaft ankurbeln. Nur ein paar  Menschenrechtsorganisationen erkennen sie als marginalisierte Gruppe an, die bessere Chancen verdient.

Imran Khans Plan, Afghanen mit in Pakistan geborenen Kindern die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wurde scharf kritisiert, und er ruderte zurück. Ein politischer Kommentator sagte dazu: „Eine Idee zu haben und populär zu machen ist eine Sache, aber sie auch wirklich umzusetzen, ist eine andere.“ Der Regierungschef hat versucht, eine Debatte auszulösen, die Pakistan dringend braucht. Aber auch ein halbes Jahr später hat sich noch nichts getan.
 

Mahwish Gul kommt aus Islamabad und studiert Entwicklungs­management an der Ruhr-Universität Bochum und der University of Western Cape in Kapstadt. Ihr Master-Studiengang gehört zur Arbeitsgemeinschaft entwicklungsbezogener Postgraduierten-Programme (AGEP).
mahwish.gul@gmail.com

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